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„Die Agilität begeistert“ Interview zur richtigen Antriebstechnik bei Fahrerlosen Transportfahrzeugen

SEW-Eurodrive vernetzt mit seinen autonomen mobilen Assistenzsystemen die einzelnen Produktions- und Montageprozesse. Bei der Antriebstechnik kommt bald auch das neue ArgoDrive von ebm-papst zum Einsatz.

Bild: SEW-Eurodrive
19.11.2021

Fahrerlose Transportfahrzeuge sind in der Industrie in unterschiedlichsten Umgebungen kaum mehr wegzudenken. Hoch und vielschichtig sind auch die Anforderungen an die Antriebstechnik der mobilen Assistenzsysteme. SEW-Eurodrive hat unter der Marke Maxolution autonome Transportfahrzeuge für viele Einsatzzwecke im Angebot und weiß genau, worauf es jeweils ankommt. Kristin Wisniewski vom Maxolution-Produktmanagement und Marc Zoller, Manager Maxolution Engineering Support geben im Gespräch mit A&D Einblicke, was eine gute Antriebstechnik ausmacht und, warum hier ein Partner zum Einsatz kommt.

SEW-Eurodrive bietet aus dem umfangreichen Baukasten des Geschäftsfelds Maxolution System Solutions mobile Assistenzsysteme für die Produktions- und Distributionslogistik, Montage und mobile Roboter an. Welche Trends sehen Sie hier?

Wisniewski:

Einen deutlichen Wachstumstrend sehen wir im Bereich Logistik; das bestätigt auch unser Auftragseingang. Passend hierzu geht auch die Marktforschung von einem exponentiellen Wachstum aus. Der steigende Bedarf gilt sowohl für mobile Assistenzsysteme, die größere Lasten transportieren, als auch für den Transport von Kleinladungsträgern wie diversen Materialboxen. Die klassisch liniengeführten Fahrzeuge werden immer weiter durch laserbasierte, frei fahrende Assistenten abgelöst.

Welche Manövrierfähigkeiten sind bei Fahrerlosen Transportfahrzeugen Ihrer Erfahrung nach überwiegend und künftig gefragt?

Zoller:

Der Platzbedarf spielt unserer Erfahrung nach eine immer stärkere Rolle. Gerade bei Retrofit-Projekten von Produktionsanlagen, die wir zunehmend durchführen, und in der Intralogistik ersetzen wir manuelle durch automatisierte Transporte. Das heißt, meistens ist das Layout bereits vorgegeben und Wegstrecken sind dann sehr eng, weil alles für manuelle Transporte ausgelegt wurde. Fahrerlose Transportfahrzeuge schaffen dann ohne omnidirektionale Bewegungen kaum die Kurven. Geht es jedoch um klassische Montagetechnik, so ist die Linienbewegung aktuell noch der Standard. Die Fahrzeuge fahren auf Linie hintereinander her, Ausweichmanöver werden nicht benötigt. Das freie Fahren mit omnidirektionalen Bewegungen ist derzeit also primär im Materialtransport angesiedelt. Und je größer die Fahrzeuge sind, beispielsweise mehrere Meter Länge, desto mehr spielt Omnidirektionalität seine Stärken aus und wird fast schon zur Pflicht.

Bisher hat SEW-Eurodrive unter ihrer Marke Maxolution jedoch verschiedene Antriebslösungen bei ihren Fahrerlosen Transportfahrzeugen im Angebot: vom Drehschemel über einen Differentialantrieb hin zu einem omnidirektionalen Konzept. Warum sind Sie so „vielgleisig“ unterwegs?

Wisniewski:

Die Stärke von Maxolution ist, aus einem großen modularen Baukasten innovative, passgenaue Lösungen für die unterschiedlichsten Applikationen in ganz verschiedenen Branchen bereitstellen zu können. Das fängt natürlich mit der Antriebstechnik an, geht aber auch über die Energieversorgung, Ladetechnik, Navigation und mehr. Dafür benötigen wir einfach ein breites Portfolio an Technologien, Modulen, Funktionen und Software.

Aber wäre es nicht einfacher und effizienter, alle Fahrerlosen Transportfahrzeuge mit einer skalierbaren Antriebslösung zu realisieren?

Zoller:

Ja, das wäre sicher ideal! Allerdings sind die Anforderungen sehr unterschiedlich. Beispielsweise realisieren wir Fahrzeuge, die nur Kleinladungsträger von rund 20 kg transportieren ebenso wie Lösungen, die mehrere Tonnen zuverlässig bewegen müssen. Dies über nur eine skalierbare Antriebslösung hinzubekommen, ist aus unserer Sicht kaum möglich. Außerdem ist es auch preislich eine Herausforderung, beispielsweise eine omnidirektionale Antriebslösung zu verbauen, wenn die Applikation diese Beweglichkeit nicht erfordert. Darum benötigen wir Skalierbarkeit über verschiedene Antriebslösungen hinweg.

Was ist Ihnen bei Maxolution denn besonders wichtig, wenn es um die Wahl der Antriebslösung geht? Preis, Flächenbeweglichkeit, Kompaktheit, Skalierbarkeit, etc.?

Wisniewski:

Prinzipiell spielt natürlich alles eine Rolle, die Gewichtung hängt von der anvisierten Applikation ab. Müssen Kleinladungsträger wie Materialboxen bewegt werden, legen wir großen Wert auf die Kompaktheit und auf den Preis der Antriebslösung – denn der Markt ist hier sehr preissensitiv. Geht es um den Transport größerer Nutzlasten, spielt die Kompaktheit weniger eine Rolle, weil die Fahrzeuge entsprechend größer sind. Und überall bevorzugen wir natürlich ein skalierbares Antriebskonzept, um schnell und preiswert projektspezifische Fahrzeuge bauen zu können. Generell spielt die omnidirektionale Flächenbeweglichkeit ebenfalls überall eine Rolle. Das ist meist noch kein „must have“, aber die Vorzüge überzeugen unsere Kunden sowohl bei kleinen als auch großen Fahrzeugen zunehmend.

Zoller:

Ein Grund, warum wir nicht alle Fahrerlosen Transportfahrzeuge mit einer skalierbaren Antriebslösung realisieren können, ist die Energieversorgung. Bei leichten Fahrzeugen arbeiten wir mit dem Kleinspannungsbereich von 48 VDC. Bei großen Modellen mit Transportgewichten von mehreren Tonnen lässt sich der Antrieb aber nicht mehr mit 48 VDC realisieren, sondern wir müssen im Niederspannungsbereich arbeiten. Unabhängig vom Spannungsbereich und dem Antriebskonzept ist für uns auch die Modularität sehr wichtig, sprich, wir wollen in unserem Baukastensystem ein Antriebskonzept je nach Kundenanforderungen und Applikation durch ein anderes per „Plug & Play“ ersetzen können. Hierfür müssen auch die Schnittstellen einheitlich sein und gängigen Standards folgen. Ein anderes Antriebssystem darf idealerweise also keine Änderungen am Fahrzeugkonzept nach sich ziehen, wie eben bei den Schnittstellen oder der Software. Das gefällt uns gerade am neuen omnidirektionalen ArgoDrive von ebm-papst sehr gut, dass wir aktuell in der Validierungsphase haben und damit ein Prototypenfahrzeug aufbauen.

Was erwarten Sie sich von dem neuen Fahr-Lenk-System von ebm-papst?

Wisniewski:

ebm-papst kennen wir durch einige gemeinsame Entwicklungsprojekte ja schon länger und wir schätzen die hohe fachliche Kompetenz. Wir haben eine offene und ehrliche Zusammenarbeit und versuchen Probleme zusammen zu lösen – das ist auch der Erfolg der gemeinsamen Projekte. Das neue ArgoDrive hat seinen Ursprung aus dieser Zusammenarbeit. Wir bei SEW-Eurodrive selbst sind im Niederspannungsbereich mit der eigenen Antriebstechnik unterwegs, deshalb setzen wir im Kleinspannungssegment große Hoffnung auf das ArgoDrive von ebm-papst. Damit können wir jetzt auch Fahrerlose Transportfahrzeuge für kleine Gewichtsklassen entwickeln und unseren Baukasten so optimal ergänzen.

Zoller:

Und weil das ArgoDrive eine mechatronische Einheit ist, bei der in einem Modul alles von der Umrichterelektronik bis hin zur Safety integriert ist, passt diese Komponente wunderbar in unseren modularen Baukasten. Hinzu kommt die sehr einfache Servicefähigkeit, denn beim ArgoDrive gibt es keine große Fehlersuche. Sollte der Antrieb wirklich einmal ausfallen, lässt sich das ganze Modul einfach austauschen. Im ArgoDrive ist alles enthalten und der Servicetechniker muss nicht herausfinden, liegt es am Motor, am Umrichter, an der Verdrahtung...

Sie erwähnten vorhin ein Prototypenfahrzeug mit dem ArgoDrive. Wie liefen denn die ersten Tests ab?

Zoller:

Alle Tests liefen wirklich sehr gut und vielversprechend ab. Insofern sind wir bei SEW-Eurodrive äußerst optimistisch, unsere gemeinsam definierten Ziele mit dem ArgoDrive auch zu erreichen. Vor allem sind wir über die Agilität des Prototyps mit der neuen Antriebstechnik begeistert. Hinzu kommen sehr ruhige Fahrmanöver, hier ist nichts ruckartig, alles passiert geschmeidig und „souverän“.

Wo wird das ArgoDrive erstmals in einem für Kunden fertigen mobilen Assistenzsystem zum Einsatz kommen?

Wisniewski:

Momentan entwickeln wir ein Gestellfahrzeug mit dem ArgoDrive. Hier ist bereits die niedrige Bauhöhe des ArgoDrive von großem Vorteil, um Gestelle einfach unterfahren zu können. Ich denke, das wird eine sehr erfolgreiche Entwicklung. Und generell wird das ArgoDrive Bestandteil von unserem modularen Baukasten. Wir planen es auch schon in weiteren Entwicklungen ein, denn das Antriebskonzept ist ja sehr skalierbar, was die Nutzlast und Beweglichkeit betrifft. Reicht eine bidirektionale Fahrweise, dann können wir ein klassisches Dreirad mit einem ArgoDrive kostengünstig realisieren. Wird eine omnidirektionale Fahrweise benötigt, so lässt sich auf zwei oder vier ArgoDrives setzen.

Sehen Sie also Potenzial, mit dem ArgoDrive andere Antriebslösungen im Kleinspannungsbereich abzulösen, weil die Vorteile auf der Hand liegen?

Zoller:

Wenn sich das ArgoDrive im Prototyp und beim Kunden dann bewährt, werden sicherlich noch viele weitere Maxolution-Lösungen damit folgen. Neben der Möglichkeit mit einem, zwei oder vier Modulen zu arbeiten, kommt ja noch hinzu, dass ebm-papst das ArgoDrive für eine zusätzliche Skalierbarkeit für verschiedene Gewichtsklassen anbietet. Insofern lassen sich mit der Antriebslösung eine Vielzahl von Fahrzeugen realisieren. Ob wir damit künftig bisherige Antriebslösungen ersetzen, hängt wie anfangs schon erwähnt auch von den Einsatzzwecken ab. Denn auch für das klassische bidirektionale Fahren wird es weiterhin einen Markt geben.

Die Antriebstechnik ist in Ihrem Baukasten idealerweise per Plug&Play einsetzbar. Wie aufwendig ist aber die Steuerung der Antriebe, welche „Hilfestellung“ gibt es hier von ebm-papst?

Zoller:

ebm-papst hat das ArgoDrive als mechatronisches System entwickelt – das heißt, diese Einheit enthält die gesamte Elektronik. Das macht uns das Leben leichter, denn wir müssen nur Geschwindigkeit und Lenkwinkel vorgeben, den Rest erledigt das ArgoDrive selbst. Und das gleiche gilt für die Safety aufgrund der ebenfalls integrierten Sicherheitstechnik, die sowohl eine sichere Geschwindigkeit und Bremsenansteuerung als auch einen sicheren Lenkwinkel ermöglicht. Uns als Hersteller von Fahrerlosen Transportfahrzeugen erspart das wertvolle Entwicklungszeit.

Was unterscheidet SEW-Eurodrive von anderen Lösungsanbietern für mobile Assistenzsysteme?

Zoller:

Die Stärke der SEW-Eurodrive ist die Kombination von einer großen, international agierenden Firma mit der Schnelligkeit eines Mittelständlers, die wir uns bewahrt haben. Und damit sind wir bei Maxolution der ideale Ansprechpartner für technologisch anspruchsvolle, kundenindividuelle Lösungen mit entsprechend komplexer Aufgabenstellung. Kundenwünsche realisieren wir über unseren innovativen, modularen Baukasten, aus dem wir sehr schnell aus standardisierten Modulen Fahrzeuge zusammenkonfigurieren können. Und weil SEW-Eurodrive auf standardisierte Module setzt, garantieren wir unseren weltweiten Service mit kurzen Reaktionszeiten. Das ist sicher eine sehr einzigartige Kombination, die wir am Markt haben.

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