Wenn sich die Rotorblätter eines Ventilators drehen, entsteht ein gleichmäßiger Wind. Im Sommer nutzen viele diesen Luftzug zur Abkühlung. Allerdings trocknen dadurch auch die Augen aus – ein unangenehmer Nebeneffekt.
Was im Alltag unerwünscht ist, nutzt die Lebensmittelindustrie schon seit Längerem zu ihrem Vorteil: Sie trocknet Früchte und Gemüse mit Vorliebe ohne Wärmezufuhr. Denn Wärme vermindert Nähr- und Aromastoffe.
Doch auch dieses nichtthermische, konvektive Trocknen von Lebensmitteln mittels großer Ventilatoren hat einen Haken: Die Trocknung benötigt viel Zeit und Energie. Daher sucht die Branche bereits seit Langem nach einer energieeffizienteren Methode.
Eine Technologie setzt auf den sogenannten Ionenwind. Sie funktioniert zwar bereits im kleinen Maßstab, scheiterte bislang allerdings beim Hochskalieren auf Industrieverhältnisse. Empa-Forschende haben nun eine energieeffizientere Trocknungsanlage entwickelt, die auf Ionenwind basiert und sich für die Industrieanwendung eignet.
Wind ohne Bewegung: So entsteht Ionenwind
Ein Ionenwind wird nicht durch die drehenden Rotorblätter eines Ventilators erzeugt. Er entsteht, indem etwa ein Metalldraht mit einer positiven Hochspannungsquelle von typischerweise 10.000 bis 30.000 V verbunden wird. Der Draht lädt sich dadurch positiv auf und ionisiert die umliegende Luft.
„Normale“ Luft besteht aus verschiedenen Gasen wie Sauerstoff (O2), Stickstoff (N2) oder Kohlenstoffdioxid (CO2). Jedes dieser Moleküle besteht aus Atomen und diese wiederum aus positiv und negativ geladenen Elementarteilchen, den Protonen und Elektronen. Die Elektronen werden von dem positiv geladenen Draht angezogen, während die viel schwereren Protonen vom Draht abgestoßen werden.
Diese elektrostatischen Kräfte sorgen letztlich dafür, dass sich Elektronen aus den Gasmolekülen abspalten. Die verbleibenden Moleküle sind nun positiv geladen oder „ionisiert“. Sie kollidieren auf ihrem Weg vom Draht weg hin zum darunterliegenden geerdeten Kollektor mit anderen Luftmolekülen und stoßen diese an. Durch diesen Impuls beziehungsweise die dadurch ausgelöste Teilchenbewegung entsteht dann der Ionenwind, der auch als elektrohydrodynamischer Luftstrom bezeichnet wird.
Auf Gittern statt auf Platten trocknen
Forscher wollten Ionenwind bereits mit verschiedenen Ansätzen für die industrielle Trocknung von Lebensmitteln nutzen – bisher aber ohne nennenswerten Erfolg, da eine Hochskalierung nicht möglich war. Der Empa-Forscher Thijs Defraeye aus der Abteilung „Biomimetic Membranes and Textiles“ und sein Team verfolgten die Idee aber weiter und variierten diverse Prozessparameter.
Als erstes legten sie die zu trocknenden Lebensmittel nicht wie bisher auf eine Platte, sondern verwendeten ein Gitter. „Das ist jetzt keine ,Rocket Science‘, aber bis jetzt hat noch niemand diese Anpassung bei der Trocknung mittels Ionenwind in Betracht gezogen“, sagt Defraeye.
Was nach einer kleinen Änderung klingt, machte einen riesigen Unterschied: Das Wasser kann nun an allen Seiten des Gemüses und der Früchte entweichen. Dadurch trocknen die Lebensmittel durch den Ionenwind doppelt so schnell wie auf einer undurchlässigen Oberfläche, die bisher weltweit verwendet wurde.
Vor allem aber werden die Früchte und das Gemüse auf dem Gitter durch den Ionenwind einheitlicher getrocknet. Im Gegensatz zu den gängigen Ansätzen der elektrohydrodynamischen Trocknung lässt sich die neue Konstruktion zudem besser hochskalieren, was damit auch für die Industrie interessant ist.
Anlagenprototyp liefert vielversprechende Ergebnisse
Bei der weiteren Verfeinerung ihres neuen Konzepts setzten die Empa-Forscher auf aufwendige Computersimulationen. Dadurch ließen sich verschiedene weitere Anpassungen und deren Einfluss auf den Trocknungsprozess virtuell durchspielen. So konnte die Anlage „in silico“ optimiert werden, ohne jedes Mal ein neues Konstrukt physisch bauen zu müssen.
Doch lassen sich die Ergebnisse der Computerberechnungen auch in die Praxis umsetzen? Lässt sich das Verfahren so tatsächlich optimieren? In Zusammenarbeit mit Forschenden der kanadischen Dalhousie University wurde dort im Labor ein erster Prototyp der neuen Trocknungsanlage gebaut.
Erste Versuche damit zeigten in der Tat erhebliche Verbesserungen: Das Trocknen mittels Ionenwind ist deutlich schneller und verbraucht weniger als die Hälfte der benötigten Energie im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren. Außerdem wurden die Lebensmittel gleichmäßiger getrocknet, und die Nährstoffe blieben besser erhalten.
Zurzeit ist das Team um Defraeye daran, in Zusammenarbeit mit einem Schweizer Detailhändler das Konzept weiterzuentwickeln.