Damit der neue Blu-ray-Player sicher beim Kunden ankommt, benötigen Online-Versandhäuser fertige Kartonlösungen, wie die Klingele-Gruppe in Delmenhorst sie aus Wellpappe herstellt. Seit Unternehmensgründung im Jahr 1955 wächst der Standort Delmenhorst: Auf einer Gebäudefläche von mittlerweile 44.000 Quadratmetern produzieren 220 Mitarbeiter jährlich bis zu 140 Millionen Quadratmeter Wellpappe in unterschiedlichen Stärken und Papierqualitäten. Doch auch die Wohngebiete in unmittelbarer Nachbarschaft des Standorts wachsen. Weil sich beide immer mehr aufeinander zubewegen, benötigte Klingele eine zündende Idee, um die Lärmemissionen vor allem in der Nacht und am Wochenende zu begrenzen.
Das Schließen der insgesamt 20 Oberlichter im Dach war letztlich der Startschuss zu einem umfassenden Energie- und Prozessdatenmanagement. Anstatt die Lichter täglich auf langen Wegen per Hand zu schließen, suchte Elektromeister Wilfried Rodehau gemeinsam mit den Verantwortlichen für das Gebäudemanagement bei Klingele eine Lösung, „die über eine bloße Schalttafel mit roten Lampen“ hinausgeht. Wenn schon investieren, dann so nachhaltig, dass sich die Oberlichter am besten vom Schreibtisch aus steuern und überwachen lassen.
Vorhandene Kommunikation genutzt
„Ethernet ist bei uns überall vorhanden. Damit kommen wir gut zurecht und wollen es auch über die Bürokommunikation hinaus nutzen“, erklärt der Elektromeister. Mit dem Wago I/O-System 750 fand er die passende Technik für sein Vorhaben. Die Einarbeitung in die Softwareplattform Codesys gelang dabei reibungslos – Wago begleitete die Systemintegration mit technischer Unterstützung. Seitdem erfasste Klingele die Verbrauchs- und Prozesskennzahlen von immer mehr Anwendungen.
Mit dieser Transparenz hatte das Unternehmen freie Bahn für die energetische Optimierung und Energieeinsparungen in seinen Gebäuden und in der Produktion. Auch eine Pilotanlage zur Abwasseraufbereitung bezog der Wellpappenoproduzent in sein Energiedatenmanagement ein.
„Damit sie gut läuft, müssen wir die Anlage ständig im Blick behalten“, sagt Rodehau. Doch die Mitarbeiter, die sie überwachen, haben ihren Arbeitsplatz oft nicht dort, wo die Anlage steht. Eine bestehende Netzwerkverbindung zwischen dem Hauptproduktionsgebäude und dem Nebengebäude mit der Pilotanlage ebnete schließlich den Weg für eine weitere Wago-Steuerung. Das I/O-System 750 sammelt alle für die Betriebsüberwachung notwendigen Kennzahlen wie Ein- und Ausgangstemperaturen und überträgt sie per TCP/IP an die Leitwarte. Der modulare Aufbau des Systems erlaubt es, die Temperaturen oder Drehzahlen aus der Maschinensteuerung heraus abzugreifen sowie weitere Sensoren einzubinden. Welche Form ein Signal letztlich hat, ist unerheblich, weil Wago die passenden Module im Standardprogramm hat.
Das System in Delmenhorst arbeitet so gut, dass nachfolgend auch anderen Klingele-Standorte diese Form der Erfassung von Energie- und Prozessdaten übernommen haben. Für Rodehaus, der neben seiner Arbeit in der Instandhaltung auch als Energiemanager im Werk Delmenhorst aktiv ist, bringt der Blick mit der Lupe in die Kennzahlen der Gebäudetechnik und der Produktionsmaschinen wertvolle Aussagen über die Produktivität des Betriebs.
Das Unternehmen nutzt die Technik darüber hinaus zur Fehleranalyse im Zusammenspiel mit Qualitätssicherung und Rückverfolgbarkeit. Die Messdatenerfassung und -speicherung erlaubt es, Produktionsbedingungen auch Monate später nachzuvollziehen. Das hilft beispielsweise im Reklamationsfall bei der Suche nach Ursachen. Deshalb sind nach Meinung von Wilfried Rodehau die Bereiche Energiemanagement, Ressourceneffizienz und Qualitätsmanagement nie losgelöst voneinander zu betrachten.
Produktionsqualität gleich mit verbessert
Das Netzwerk aus aktuell mehr als 20 Wago-Controllern liefert stetig Verbrauchs-, Prozess- und Zustandsdaten, die vielfältig nutzbar sind. So spart etwa eine dauerhaft richtig temperierte Lagerhalle nicht nur Energie, sondern wirkt sich auch auf die Qualität der in ihr liegenden Fertigware oder Papierrollen aus. Dieser Aspekt wird im Bogenlager deutlich: „Wir haben uns gefragt, warum sich sonst plan liegende Wellpappe an bestimmten Lagerplätzen beginnt zu wölben“, blickt Rodehau zurück. Gewellte Bögen lassen sich schlecht verarbeiten und Reklamationen sind vorprogrammiert.
Deshalb hat sich das Team auf Spurensuche begeben und mit Temperaturmessungen herausgefunden, dass durch ungünstige Sonneneinstrahlungen in einem eng begrenzten Bereich des Lagers die Temperaturen bis zu 15 Grad über dem Durchschnitt lagen. Die Lösung für das Problem: Die Glasscheiben erhielten eine Sonnenschutzbeschichtung.
Potenziale auf einen Blick erfassen
Um das Optimierungspotenzial hinter den erhobenen Messdaten sichtbar zu machen, haben die Klingele Papierwerke die Ergebnisse in eine anschauliche Visualisierung einfließen lassen. Vergleichbar mit einem Drehzahlmesser gehen die Anzeigen in den roten Bereich, wenn etwas nicht stimmt. Für den Verantwortlichen des Gebäudemanagements ist diese Darstellung die Basis dafür, dass sich für jeden Mitarbeiter Ziele, Strategien und Erfolge schnell und direkt erschließen – am besten hinterlegt mit harten Eurozahlen, die hinter den Einsparungen stecken.
Deshalb sei es für ihn wichtig gewesen, die Messdatenerfassung über die Wago-Schnittstelle per TCP/IP breit im Unternehmensnetzwerk verfügbar zu machen. „Wenn wir etwas einsetzen, dann möchten wir die Technik auch so gut wie möglich nutzen“, fasst Wilfried Rodehau die Motivation für die schrittweise aufgebaute Messdatenerfassung zusammen. Weitere Projekte seien deshalb schon allein aufgrund der ISO 50001-Zertifizierung des Standortes in Planung.