Keramiken mit niedriger Wärmeleitfähigkeit werden unter anderem für Wärmeschutzbeschichtungen oder thermoelektrische Anwendungen gebraucht. Forscher um Matthew J. Rosseinsky von der University of Liverpool in Großbritannien wollten ein besonders wärmeisolierendes Material finden.
Als Ausgangspunkt wählten sie die Verbindungsklasse der Titanate und grenzten ihre Suche anschließend durch Berechnung der Energien weiter ein: auf Titanate mit Anteilen von Yttriumoxid und Bariumoxid. Eine Künstliche Intelligenz sollte dann herausfinden, welche Zusammensetzung ein Material mit besonders niedriger Wärmeleitfähigkeit ergeben würde.
Quasikristall mit überraschender Struktur
Dafür wandte das Team maschinelle Lernmodelle an und trainierten sie an Keramiken mit bekannter Zusammensetzung und Wärmeleitfähigkeit. Das Ergebnis der Suche bestätigte die ursprüngliche chemisch-intuitive und berechnete Eingrenzung auf Barium-Yttrium-Titanate.
Die Ergebnisse zeigten aber auch, dass die chemische Zusammensetzung die Wärmeleitfähigkeit weiter beeinflussen kann. „Die KI stieß uns auf genau eine der beiden Regionen mit vielversprechender Zusammensetzung aus der Energieberechnung“, berichtet Rosseinsky.
Die Forschenden synthetisierten daraufhin ein neues, bislang unbekanntes Oxid aus zehn Anteilen Barium-, sechs Anteilen Yttrium-, vier Anteilen Titan- und 27 Anteilen Sauerstoffatomen. Das neue Material war metastabil und besaß eine überraschende Struktur: Seine Atome waren nicht wie in „normalen“ Kristallen periodisch angeordnet. Stattdessen beobachteten die Forscher eine „quasikristalline“ Struktur.
In Quasikristallen sind die Atome zwar regelmäßig angeordnet, aber eine vollkommene Periodizität im dreidimensionalen Raum fällt aus. Erst wenn eine „Fernordnung“ hinzukommt, lässt sich eine durchgehende, kristalltypische Periodizität erkennen.
KI als wissenschaftliche Entscheidungshilfe
Das neue Barium-Yttrium-Titanat besaß diese quasikristalline Struktur: aperiodisch, aber in Fernbeziehung geordnet. Was der Befund bedeutet, verdeutlichen die Forscher: „Oxidische Quasikristalle wurden an Grenzflächen bereits beobachtet. Das ist aber das erste Material, das durchgehend, also nicht nur an der Oberfläche, als Quasikristall identifiziert wird.“
Eine Messung der Wärmeleitfähigkeit ergab dann tatsächlich niedrigere Werte als von fast allen anderen bekannten Übergangsmetalloxiden dieser Art – nur ein Molybdänoxid mit komplizierter Kristallstruktur leitete die Wärme noch weniger. Das Team konnte die niedrige Wärmeleitfähigkeit auch theoretisch erklären: Demnach verhielt sich der Quasikristall glasähnlich. Gläser haben eine ungeordnete Materialstruktur und sind als gute Wärmeisolatoren bekannt.
Hervorzuheben ist laut den Autoren der in „Angewandte Chemie“ veröffentlichten Arbeit, dass das neue Funktionsmaterial durch ein Verfahren unter Einbeziehung von Künstlicher Intelligenz gefunden wurde. „Unsere Studie zeigt, wie Künstliche Intelligenz bei wissenschaftlichen Entscheidungen hilft, die den wissenschaftlichen Entdeckungsprozess beschleunigen“, sagt Rosseinsky.