Weltweit arbeiten Staaten daran, ihren Treibhausgasausstoß zu senken. Erneuerbare Energieträger werden dabei fossile Brennstoffe zunehmend ersetzen: Die ambitioniertesten Szenarien gehen gemäß dem Pariser Klimaabkommen bis 2050 von einem Rückgang der Nachfrage nach fossilen Brennstoffen um bis zu 75 Prozent im Vergleich zu 2019/20 aus.
Länder, die derzeit in hohem Maße vom Handel mit Öl und Gas abhängig sind, müssen daher neue wirtschaftliche Strategien in Erwägung ziehen. Eine Möglichkeit ist die Umstellung bestehender Wertschöpfungsketten für fossile Energieträger auf die Herstellung und den Export sogenannter Power-to-X-Produkte (PtX). Dazu zählen grüner Wasserstoff und dessen Derivate wie Ammoniak und Methanol.
Im Auftrag der GIZ haben Forschende des Fraunhofer ISI untersucht, welche Risiken und Chancen dieser Umstieg beispielhaft für Saudi-Arabien, Kasachstan und Nigeria mit sich bringen könnte. Ihre Ergebnisse haben sie in der Studie mit dem Titel „The role of green hydrogen in the energy transformation of fossil fuel exporters“ zusammengefasst.
Verschiedene Grade der Abhängigkeit und unterschiedliche PtX-Potenziale
Saudi-Arabien, Kasachstan und Nigeria sind derzeit alle stark, aber in unterschiedlichem Maße von Öl- und Gasexporten abhängig. Gleichzeitig weisen sie auch verschiedene Herausforderungen und Potenziale hinsichtlich der Diversifizierung ihrer Wirtschaftssysteme auf:
In Saudi-Arabien hatte der Export fossiler Brennstoffe 2021 einen Anteil von rund 24 Prozent am Bruttoinlandsprodukt und rund 57 Prozent an den gesamten Exporteinnahmen. Einen Großteil seines Öls und Gases exportiert Saudi-Arabien in die wachsenden Volkswirtschaften Asiens. Die Kosten für die Ölförderung gehören zu den niedrigsten weltweit, wodurch Saudi-Arabien auf dem Weltmarkt sehr wettbewerbsfähig ist. Dennoch hat das Land schon begonnen, seine Wirtschaft zu diversifizieren. Die chemische Industrie wächst und es bestehen bereits Handelsbeziehungen für Blauen Ammoniak mit Japan und Südkorea. Saudi-Arabien hat ein besonders hohes Potenzial für Solarenergie, was niedrige Wasserstoffpreise ermöglichen könnte. Außerdem könnten bestehende Gaspipelines für den Transport von Wasserstoff umgenutzt werden, was einen zusätzlichen Wettbewerbsvorteil darstellt.
In Kasachstan macht der Handel mit Öl und Gas etwa die Hälfte der Exporteinnahmen aus (47 Prozent im Jahr 2021). Dabei geht der größte Teil des Rohöls in die EU, insbesondere nach Deutschland. Raffiniertes Öl wird vor allem in die USA, Erdgas primär nach China exportiert. Die Produktionskosten für Rohöl liegen in Kasachstan weit unter dem weltweiten Durchschnitt. Das Land verfügt außerdem über große Kohlevorkommen und weitere fossile Ressourcen und besitzt eine gut entwickelte Bergbauindustrie. Die metallverarbeitende Industrie könnte als Schlüsselsektor die Nachfrage nach grünem Wasserstoff zur Produktion von nachhaltigem Stahl vorantreiben. Das Land hat zudem ein vielversprechendes Potenzial für Windenergie und baut derzeit seine maritimen Handelswege am Kaspischen Meer aus, was den Export von Wasserstoff nach Asien und Europa erleichtern könnte.
In Nigeria machten Erdöl und Erdgas 2021 mehr als 90 Prozent des Nettoexportbudgets aus. Wichtige Handelspartner für Rohöl sind dabei Indien und Spanien. Auch in Nigeria liegen die Kosten für die Rohölproduktion weit unter dem globalen Durchschnitt. Allerdings steht das Land derzeit vor massiven Herausforderungen aufgrund des zunehmenden Öldiebstahls aus seinen Pipelines. Ähnlich wie in Saudi-Arabien besteht in Nigeria ein großes Potenzial für Solarenergie, das jedoch aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte und die dadurch geringere verfügbare Landfläche beschränkt wird. In Nigeria könnte weiterhin die Produktion von Düngemitteln in Zukunft ein Anwendungsfall für die Nutzung von grünem Ammoniak sein und die langfristige Diversifizierung der Wirtschaft in Richtung chemischer Industriezweige unterstützen.
Direkte und indirekte wirtschaftliche Effekte der abnehmenden Nachfrage
Um die makroökonomischen Auswirkungen des wirtschaftlichen Wandels in den drei Ländern zu bewerten, führten die Wissenschaftler:innen mit Blick auf die Wertschöpfung und den Arbeitsmarkt eine sogenannte Input-Output-Analyse durch. Der Export fossiler Energieträger zählt bislang in allen drei Ländern zu den wichtigsten Industriezweigen. Bei einem Rückgang in diesem Bereich sind daher aufgrund von volkswirtschaftlichen Verflechtungen auch Auswirkungen in anderen Branchen zu erwarten, etwa in der verarbeitenden Industrie und im Groß- und Einzelhandel.
Auch wenn die Zahl der Beschäftigten im direkt betroffenen fossilen Energiesektor derzeit vergleichsweise gering ist, sind daher Auswirkungen auf Wertschöpfung und Beschäftigung in anderen Sektoren wie etwa der Landwirtschaft und Lebensmittelversorgung zu erwarten. Gezielte Strategien sind daher erforderlich, um langfristig den Verlust von Arbeitsplätzen in den primär und sekundär betroffenen Sektoren auszugleichen. Der Aufbau eines Wasserstoffsektors könnte hierbei langfristig zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Sektoren wie Baugewerbe, Maschinenbau, Metall- und Elektronikindustrie beitragen.
Umstieg auf grünen Wasserstoff kann Verluste abmildern
In der Studie wird deutlich, dass in allen drei Ländern hohe Potenziale für die Erzeugung von grünem Wasserstoff bestehen. Auch wenn die zukünftigen Marktpreise für grünen Wasserstoff heute noch schwer abzuschätzen sind, kann davon ausgegangen werden, dass die möglichen Erlöse aus potenziellen Wasserstoffexporten voraussichtlich nicht ausreichen, um die Verluste aus dem sinkenden Export fossiler Brennstoffe vollständig zu kompensieren, da der für die Zukunft erwartete globale Bedarf an Wasserstoff und E-Fuels deutlich geringer ist als die derzeitige Nachfrage nach Erdöl und Erdgas.
„Dennoch kann der Aufbau eines Power-to-X Sektors die Folgen des Rückgangs der globalen Öl- und Gasnachfrage abmildern und signifikant zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Diversifizierung in den betroffenen Ländern beitragen“, bilanziert Dr. Inga Boie, Projektleiterin der Studie am Fraunhofer ISI.