„Die hohe Inflation und der Ukraine-Krieg mit all seinen Folgen werden auch unsere Branche noch lange belasten. Materialengpässe und Schwierigkeiten in der Lieferkette dauern an, zudem kehren immer mehr Staaten zu protektionistischen Maßnahmen zurück. Die Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau haben einmal mehr mit ihrer unternehmerischen Freiheit ihre Innovationskraft und Anpassungsfähigkeit bewiesen“, sagte VDMA-Präsident Karl Haeusgen auf der Jahres-Pressekonferenz des Verbands.
„Daher sind wir zuversichtlich, unser Ziel eines realen Produktionswachstums von 1 Prozent in diesem Jahr zu erreichen und halten auch an unserer Prognose für das kommende Jahr fest. Wir rechnen für 2023 weiterhin mit einem leichten realen Produktionsrückgang von 2 Prozent. Das ist weit entfernt von den Rückschlägen früherer Jahre und zeigt die Robustheit unserer Industrie.“
Insbesondere das Ziel einer klimaneutralen Wirtschaft sei für den mittelständischen Maschinen- und Anlagenbau und seine innovativen Technologien eine große Chance. „Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Unternehmen auf eine verlässliche und bezahlbare Material- und Energieversorgung bauen können. Hier sind die EU und die deutsche Regierung gefordert, die Märkte offen zu halten und alle zur Versorgung notwendigen Maßnahmen rasch und mit möglichst wenig bürokratischem Aufwand umzusetzen“, mahnte Haeusgen.
Engpässe in Lieferketten weiter groß, aber leichte Entspannung
Die Produktion im Maschinen- und Anlagenbau wird weiterhin durch Schwierigkeiten in den Lieferketten und durch Materialengpässe spürbar beeinträchtigt. Laut der jüngsten VDMA-Blitzumfrage von Anfang Dezember, an der mehr als 600 Mitgliedsfirmen teilnahmen, sehen 74 Prozent der Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit durch solche Engpässe gravierend oder merklich beeinträchtigt. Im Juni waren es allerdings noch 87 Prozent gewesen. Von einer merklichen Entspannung berichten die Firmen in der jüngsten Umfrage mit Blick auf Chemikalien, Kunststoffen und Metallerzeugnissen.
Nach wie vor angespannt ist die Lage dagegen bei Elektronikkomponenten, wenngleich mit rückläufiger Tendenz. Diese Entwicklung kann sich nach Ansicht der VDMA-Volkswirte positiv auf die Produktion der Schlussmonate 2022 auswirken. Von Januar bis einschließlich Oktober lag die reale Produktion im Maschinen- und Anlagenbau noch um real 0,4 Prozent unter ihrem Vorjahreswert. Der Auftragseingang blieb in den ersten zehn Monaten des Jahres real um 1 Prozent unter dem Vorjahr, die Auftragsreichweite betrug im September 2022 noch 11,9 Monate und ist damit unverändert sehr hoch.
VDMA-Umfrage: Hälfte der Unternehmen blickt optimistisch auf 2023
Für das kommende Jahr erwartet der Verband ein unverändert schwieriges Umfeld: Das Wachstum in China bleibt voraussichtlich schwach, der Krieg in der Ukraine bringt weiterhin hohe Energiepreise mit sich und nahezu weltweit antworten die Zentralbanken auf hohe Inflationsraten mit steigenden Zinsen.
„Das wird die Weltwirtschaft und damit auch die Investitionsgüterindustrien auf absehbare Zeit belasten“, sagte Haeusgen. „Dennoch ist die Stimmung in vielen Ländern der Erde in den vergangenen Wochen nicht mehr so negativ gewesen, wie in den ersten Monaten nach Beginn des Ukraine-Kriegs. Daher rechnen wir für 2023 nur mit einem leichten realen Produktionsminus von 2 Prozent. Das ist, gemessen an früheren Wachstumseinbußen, ein moderater Rückgang der Produktion und deutlich weniger als von vielen befürchtet“, betonte der VDMA-Präsident.
Diese Einschätzung teilt er mit zahlreichen Unternehmern aus der Branche: Laut Umfrage schaut nahezu die Hälfte der Befragten (48 Prozent) optimistisch oder verhalten optimistisch ins neue Jahr. 38 Prozent sind unentschieden, lediglich 14 Prozent zeigen sich pessimistisch oder verhalten pessimistisch.
Beschäftigung soll ausgebaut werden; Fachkräftemangel bremst
Diese Zuversicht spiegelt sich auch in der Beschäftigungslage der Branche wider. Im September 2022 waren es 1,019 Millionen Menschen in den Stammbelegschaften (Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten) des Maschinen- und Anlagenbaus in Deutschland – ein Plus von 1,0 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Damit bleibt die Branche der größte industrielle Arbeitgeber im Land.
Deutlich mehr als die Hälfte (54 Prozent) der vom VDMA im Herbst befragten Maschinenbaufirmen wollen ihren Personalstand im kommenden Jahr sogar ausbauen, gut 30 Prozent wollen ihn konstant halten. Allerdings haben die Unternehmen unverändert große Schwierigkeiten, diese Stellen auch zu besetzen. Der allgemeine Fachkräftemangel führt dazu, dass nahezu alle befragten Firmen (97 Prozent) hier Engpässe spüren.
Preisbremsen für Energie: Zu komplex und bürokratisch
Die Risiken in der Energieversorgung hat der Maschinen- und Anlagenbau bisher gut gemeistert, „allerdings auch, weil eine Gasmangellage verhindert wurde“, sagte der VDMA-Präsident. „Energiekosten kommen in unserer Industrie vor allem durch energieintensiv hergestellte Vorprodukte an. Deshalb halten wir das Konzept der Preisbremsen für Strom, Gas und Fernwärme in dieser kritischen Zeit für sinnvoll. Es sollte entlang der gesamten Wertschöpfungskette wirken.“
Insbesondere durch die europäischen Beihilferegelungen seien diese Preisbremsen nun aber zu komplex geworden. Erste Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau wollen trotz hoher Kosten davon absehen, die Hilfen in Anspruch zu nehmen, erläuterte Haeusgen. „Wenn man ein wirksames Instrument schaffen will, das nicht nur einen Rettungsschirm darstellt, dann muss es einfach und unbürokratisch sein“, forderte er.
Exportförderinstrumente erhalten und ausbauen
China ist für den deutschen und europäischen Maschinen- und Anlagenbau ein enorm wichtiger Markt und wird dies auf absehbare Zeit bleiben. Die Volksrepublik ist der zweitwichtigste Exportmarkt und ausländische Investitionsstandort für den Maschinenbau aus Deutschland. Doch die aggressive Wirtschaftspolitik der chinesischen Regierung stellt die mittelständische Industrie vor neue, große Herausforderungen. Der VDMA hat daher eine umfassende China-Position erarbeitet, die sich mit den Zielen der Regierung in Peking und ihren Mitteln zur Durchsetzung beschäftigt, ebenso wie mit den Handlungsoptionen der Unternehmen. „China will sich wirtschaftlich weiterentwickeln und die Innovationskraft der eigenen Wirtschaft stärken. Dazu wird strategisch in das Wirtschaftsgeschehen eingegriffen, zum Nachteil ausländischer Unternehmen“, erläuterte Haeusgen.
Deshalb sei es richtig und wichtig, dass die Bundesregierung nun eine Neubewertung des Verhältnisses zu China vornimmt und eine entsprechende Strategie erarbeitet. „Der Markt China ist aber kurz- und mittelfristig nicht ersetzbar und deshalb sollten die Exportförderinstrumente nicht abgebaut werden. Die Exporte nach China sorgen in Deutschland für gut bezahlte und hoch qualifizierte Arbeitsplätze“, mahnte der VDMA-Präsident. „Vielmehr kann die deutsche Politik mit ihren Förderinstrumenten helfen, neue Absatzmärkte zu erschließen. So brauchen wir zum Beispiel endlich ein funktionierendes Exportkreditversicherungssystem für kleine Auftragswerte.“
Zudem müsse die EU weitere Freihandelsabkommen mit Partnerländern in Asien abschließen und das Mercosur-Abkommen endlich umsetzen. „Darüber hinaus gilt es, den EU-Binnenmarkt vor unfairen Handelspraktiken aus Drittstaaten zu schützen, vor allem aus China. Dabei muss es aber immer eine Balance zwischen offensiven und defensiven Handelsinstrumenten geben. Eine „Festung Europa“ darf es nicht wieder geben!“, betonte Haeusgen.
Inflation Reduction Act mit begrenzten Auswirkungen
Auch die aktuellen Belastungen im Verhältnis der EU zu ihrem wichtigsten Handelspartner USA bereiten dem Maschinen- und Anlagenbau Sorgen. „Wir erleben eine intensive Debatte zum amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) und damit zur Frage, ob Europa eine signifikante Verlagerung von Industriewertschöpfung und Arbeitsplätzen in die USA droht“, sagte der VDMA-Präsident. Im Maschinen- und Anlagenbau sei damit nicht zu rechnen, „die Auswirkungen des IRA auf unsere Industrie sind begrenzt“, betonte er.
Denn: Die neuen amerikanischen Steuergutschriften stehen ausschließlich für Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien zur Verfügung und wirken sich daher vornehmlich auf die Sektoren aus, die Teil dieser Wertschöpfungsketten sind. Viele andere wichtige Branchen im Maschinen- und Anlagenbau - zum Beispiel Verpackungsmaschinen, Baumaschinen, Landtechnik oder Robotik - sind allenfalls indirekt betroffen und können von den erhöhten amerikanischen Investitionen sogar profitieren.
„In bestimmten Bereichen wie Windenergie oder Wasserstoff jedoch, die auch für die nachhaltige Transformation wichtig sind, könnten Investoren amerikanische Projekte den europäischen vorziehen. Hier muss die EU eine Antwort finden, wenn man im Technologiehochlauf und der damit verbundenen Wertschöpfung mithalten will. Es geht dabei nicht um noch höhere Milliardensummen, sondern um die Einfachheit und Verlässlichkeit der Förderung. Hier können wir von den USA sogar lernen“, erläuterte Haeusgen.
Grundsätzlich bedeute der Inflation Reduction Act in Teilen jedoch einen Bruch mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO. „Er ist damit ein bedauerlicher weiterer Schritt der USA weg vom Freihandel“, bemängelte Haeusgen. „Anstatt reflexartig nach einem ,Buy-European‘-Programm zu rufen, wäre es viel sinnvoller, eine Offensive für eine größere Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu starten. Das heißt konkret: das regulatorische Umfeld durchforsten, Innovationshemmnisse beseitigen und in den bereits zahlreich vorhandenen Förderprogrammen die Prozesse vereinfachen“, forderte der VDMA-Präsident.
Geplantes EU-Lieferkettengesetz für Mittelstand nicht machbar
Nach Ansicht des VDMA werden Rahmenbedingungen und Regulierung in Europa derzeit jedoch so konzipiert, dass sie dem Industriestandort Europa mehr schaden als nutzen. „Die politischen Absichten und Ziele der EU, die grüne und nachhaltige Transformation zu gestalten, wird von uns unterstützt. Doch lassen viele Gesetzesvorschläge die Realitäten im industriellen Mittelstand unberücksichtigt“, beklagte Haeusgen. Als Beispiele nannte er die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung oder das EU-Lieferkettengesetz: Beide Regelwerke werden nicht nur unverhältnismäßige, sondern auch unnötige Belastungen für den international vernetzten europäischen Mittelstand mit sich bringen, seine Wettbewerbsfähigkeit spürbar schwächen und sind damit kontraproduktiv mit Blick auf die verfolgten Ziele.
„Die Politik glaubt zum Beispiel, ein Mittelständler könnte in allen Stufen seiner Lieferkette in fernen Ländern dafür sorgen, dass nicht nur Kinderarbeit verhindert wird, sondern auch europäische Umweltstandards eingehalten werden, Religionsfreiheit gewährleistet ist und Gewerkschaften gebildet werden dürfen. Wer das nicht nachweisen kann, riskiert, künftig verklagt zu werden, wenn das EU-Lieferkettengesetz wie vom EU-Parlament vorgesehen kommt. In Summe scheint es leider so zu sein, dass bei vielen politischen Entscheidungsträgern die Wettbewerbsfähigkeit eines für Europa und auch die grüne und digitale Transformation entscheidenden Sektors völlig nachrangig ist“, bilanzierte der VDMA-Präsident.
Ampel-Regierung muss Weichen für Transformation stellen
Zum „Jahrestag“ der Ampel-Koalition in Berlin forderte Haeusgen, dass die Regierung ihre abgegebenen Versprechen nun auch umsetze. Es gehe insbesondere darum, Wachstumsbremsen zu lösen durch Bürokratieabbau und ein Belastungsmoratorium, sowie die ehrgeizige Verkürzung von Planungs- und Genehmigungsverfahren endlich umsetzen.
„Wir müssen den notwendigen Transformationsturbo zünden, für Investitionen in Klimaschutz, Effizienz und Digitalisierung. Der Maschinen- und Anlagenbau steht hierfür mit einem breiten Angebotsportfolio bereit“, sagte er. Der VDMA forderte die Regierung zudem auf, die Staatsfinanzen auf tragfähige Grundlage zu stellen. Dies bedeute, die Schuldenbremse verfassungskonform einzuhalten und die Staatsquote perspektivisch auf maximal 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu deckeln. „Wir brauche eine zukunftsorientierte Umschichtung der Staatsausgaben: Weniger konsumtive und dafür mehr investive Ausgaben, etwa in Verkehrswege, Digitalisierung und Bildung“, betonte Haeusgen.
Deutschland hinkt in der Forschungsförderung anderen Ländern immer noch hinterher: Nur gut 3 Prozent der Forschungs- und Entwicklungsausgaben der Unternehmen kommen hierzulande vom Staat, während in Großbritannien und Frankreich 7 Prozent und mehr erreicht werden. „Deshalb braucht es themenoffene und breitenwirksame Förderinstrumente. Die Einführung einer steuerlichen Forschungsförderung war richtig, und sie ist wichtiger denn je. Sie sollte deshalb ausgeweitet und die Industrielle Gemeinschaftsforschung gestärkt werden. Vor allem aber darf die notwendige Krisenintervention sich nicht zur kleinteiligen, überregulierten Industriepolitik verstetigen“, mahnte der VDMA-Präsident.
Transformationschance Manufacturing-X
Eine große Chance für den Erhalt und Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit der mittelständischen Industrie sowie der technologischen Souveränität in Deutschland und Europa sieht der VDMA im Ausbau der Digitalisierung. Hierbei kann das Projekt Manufacturing-X eine entscheidende Rolle spielen. Es geht dabei um die Schaffung eines föderativen Datenökosystems für die Industrie, in dem Unternehmen ihre Daten untereinander sicher teilen können, ohne diese abgeben zu müssen.
„Für die Entwicklung von digitalen Geschäftsmodellen und für die europäische Datenökonomie ist das eine extrem wichtige Entwicklung“, erläuterte Haeusgen. Der VDMA hat sich von Beginn an stark für das Thema Manufacturing-X engagiert, gemeinsam mit dem ZVEI und anderen Akteuren. „Wir gehen davon aus, dass im Frühjahr die Initiative in eine konkrete Umsetzungsform kommt. Hier ist die Politik nun am Zug“, resümierte Haeusgen.