Touch-Systeme mit Glasoberfläche sind bei Smartphones und Tablet-PCs längst etabliert. Basierend auf der projiziert-kapazitiven Technologie entwickeln sich diese Multi-Touch-Screens zu einem industrietauglichen Eingabesystem und bieten das Potenzial für einen großen Innovationssprung bei den Bedienkonzepten in der Industrieautomation und im Maschinenbau.
Aufbau und Funktion
Projiziert-kapazitive Touch Screens bestehen aus zwei separaten Sensorflächen - Glas oder Polyesterfolien - die mit hochtransparentem ITO (Indium-Zinn-Oxid) leitfähig beschichtet sind. Durch einen Ätzprozess werden die ITO-Flächen in viele kleine, quadratische Einzelfelder segmentiert und zueinander lageversetzt als X-/Y-Schnittpunkte in Reihen und Spalten abgebildet. Die Strukturen sind außerhalb des Sichtbereichs mit gedruckten Leiterbahnen aus Silberleitfarbe kontaktiert und leitend zum Anschlusskontakt geführt. Die beiden Sensorflächen werden hochtransparent und elektrisch isolierend miteinander verklebt. Dadurch wird über die gesamte aktive Fläche ein matrixförmiges Netz von einzeln adressierbaren Sensoren mit ruhenden Referenzkapazitäten gebildet. Bei der Annäherung eines Fingers über die matrixförmige Sensorfläche wird dessen Position durch Veränderung der Kapazität der Einzelsensoren erkannt. Durch Interpolation der angrenzenden Sensorkapazitäten kann der Controller die exakte Position der Betätigung berechnen und in X-/Y-Koordinaten umwandeln. Die elektronische Auswertung arbeitet bezüglich der Berührungserkennung mit zwei Hauptmethoden. Bei beiden Arten wird ein kapazitives Sensorfeld durch nichtleitende Medien, wie z. B. durch Glas, projiziert. Dabei wird die Änderung der Eigenkapazität (self-capacitance) oder der Gegenkapazität (mutual capacitance) der Sensoren ermittelt. Bei der Eigenkapazitätsmethode wird der durch eine Annäherung erhöhte Ladungsfluss der X- und Y-Sensoren zum Erdungsniveau ermittelt. Die Betätigungsposition ist die Stelle, an der die Sensoren einen erhöhten Ladungsfluss aufzeigen. Die Methode der Gegenkapazität detektiert eine Änderung der Kapazität in der Sensormatrix infolge einer Parallelkopplung des Fingers zu den Schnittpunkten. Die Auswertungselektronik eines industrietauglichen PCI-Touch-Controllers verwendet idealerweise eine Kombination beider Methoden.
Industrieanforderung Störfestigkeit
Wie der Controller die geringen Kapazitätsänderungen des Sensors analysiert und weiterverarbeitet, ist der Kernpunkt eines EMV-stabilen Eingabesystems. Die erste Störquelle ist immer das hinter dem Touch Panel integrierte Display. Mit optimierten A/D-Wandlern und besonderen Algorithmen wird diese Einstrahlung unterdrückt. Für folienbasierende Sensoren sind Lösungen mit einer zusätzlichen Abschirmfolie zum Display möglich. Die größte Herausforderung besteht jedoch in der Beständigkeit gegenüber externen Funk- und leitungsgebundenen Störquellen sowie gegen kapazitiv gekoppelte Störimpulse auf der Masseverbindung der Spannungsversorgung. Die Anforderungen der industriellen EMV-Beständigkeit werden mit einem speziellen Sensordesign sowie mit optimierter Hardware und Software erfüllt. Handelsübliche PCAP-Controller aus dem Consumer-Bereich genügen diesen hohen EMV-Anforderungen nicht. Industrietaugliche Touch-Panel erfüllen die EMV-Norm nach IEC-61000-4-3 bis 4-6 mit 10 V/m und dem Ergebnis Level A, d. h. keinerlei Beeinflussung der Touch-Funktion während der Störeinstrahlung.
Design & Konstruktion
Projiziert-kapazitive Eingabesysteme mit geschlossener Glasfront ohne Schmutzkanten sind leicht zu reinigen, kratz- und abriebfest sowie chemisch resistent. Sie ermöglichen daher einen vielfältigen Einsatz in der Industrieautomation, im Maschinenbau und in der Medizintechnik. Die Sensorlagen sind hinter dem Frontglas geschützt und werden dadurch mechanisch nicht beansprucht. Der Verbund mehrerer Gläser erhöht zusätzlich die mechanische Robustheit des Panels. Der Einsatz von Foliensensoren hinter chemisch gehärteten Gläsern reduziert das Gewicht für Handheld-Applikationen und bewirkt zusätzlich einen Splitterschutz.
Die matrixförmige Anordnung der kapazitiven Einzelsensoren benötigt keine Kalibrierung. Auch unter rauen Umgebungsbedingungen arbeitet der projiziert-kapazitive Multi-Touch-Screen immer positionsgenau. Das Frontglas ist komplett durchgängig und dient als Designelement in der Konstruktion des Eingabesystems. Die rückseitige Bedruckung der Gläser erfolgt im Siebdruckverfahren mit Zweikomponentenfarben. Glas/Glas-Sensoren werden im Reinraum automatisiert hinter das designte Frontglas mit flüssigem UV-Klebstoff gebondet. Die Foliensensoren werden mit einem speziellen Verfahren hochtransparent laminiert. Die Frontgläser werden, je nach Konstruktion der Bedienfront, in mehreren Stufen bearbeitet und veredelt. Die Glaskanten werden gefräst, geschliffen und je nach Anforderung auch kantenpoliert. Die Verklebung in eine Trägerplatte oder in ein Gehäuse ermöglicht frontseitig den umlaufenden mechanischen Schutz der Glaskanten und rückseitig die einfache Montage von Display und Elektronik. Der umlaufende Spalt zwischen Glas und Rahmen wird mit Dichtungsmaterial automatisiert vergossen; Schutz nach IP 67K ist somit über die komplette Fronteinheit möglich.
Eine optimale Lesbarkeit des Displays, auch unter Tageslichteinfluss, wird durch die Auswahl von chemisch entspiegelten Glasoberflächen realisiert. Die kratzfeste Anti-Glare-Oberfläche des Frontglases bricht und zerstreut einfallendes Umgebungslicht und verhindert somit Reflexionen. Die vom Multi-Touch-User gewohnte Fingergestik unterliegt bei unbehandelten Gläsern einer sehr hohen Haftreibung bei der Fingerbewegung auf der Glasoberfläche. Eine ausgewählte Anti-Glare-Oberfläche reduziert diese Haftreibung wesentlich und ermöglicht ein angenehmes Gleiten des Fingers über das Multi-Touch-Panel. Die Transparenz der Frontgläser und der Kontrast des Bildschirminhaltes werden jedoch durch zu stark entspiegelte Gläser beeinträchtigt. Daher ist eine optimale Auswahl des Anti-Glare-Faktors für die jeweilige Anwendung erforderlich. Für HMI-Eingabesysteme häufig geforderte Funktionstasten außerhalb der aktiven Fläche des PCI-Panels werden durch kapazitive Einzeltasten hinter dem Frontglas realisiert. Flächige und punktuelle Beleuchtung von Symbolen und Tastpunktbeschriftungen sowie Status-LEDs werden hinter das Frontglas integriert. Bedruckte Beschriftungen im Verschwinde-Effekt sind nur bei rückseitiger Durchleuchtung erkennbar. Zusätzliche Slider und Wheels können im oder auf dem Glas als haptische Fingerführung für den Anwender realisiert werden.Die Multi-Touch-fähigen PCI-Panels steigern die Ergonomie und entwickeln sich zu einem intuitiven Bedienkonzept, auch für den Industriebereich.
Merkmale und Bedienkonzepte
In der Automation findet die Fingergestik beispielsweise beim Durchblättern von Einstellmöglichkeiten und bei der Suche innerhalb von Dokumentationen Anwendung. Weitere Möglichkeiten sind das Navigieren mittels Wischen in Übersichten sowie das Vergrößern von Prozessbildern und Kennlinien über die Zoom-in-Gestik. Mit der Zwei-Hand-Bedienung kann der Anwender mit der einen Hand einen Parameter auswählen und mit der anderen eine Pegeländerung justieren. Unbeabsichtigte Parameteränderungen oder Befehlsausführungen sind nahezu ausgeschlossen, wenn der Anwender hierfür zwei Tastflächen gleichzeitig aktivieren und bestätigen muss. Komplexe Maschinen- und Anlagenvisualisierungen lassen sich mit Multi-Touch somit sehr viel leichter überblicken und intuitiv bedienen, was die Anlagensicherheit erhöht. Damit Multi-Touch zu einem vollständig integrierten Bedienkonzept werden kann, müssen das Betriebssystem und die HMI-Software die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen. Windows 7, in der Standard- und der Embedded-Variante, unterstützt bereits alle Multi-Touch-Funktionen.