Zunächst müssen wir den Begriff von der Bionik abgrenzen, die schon seit Urzeiten Lösungen in der Natur für die Technik abkupfert. Der VDI präzisiert Bionik als "Forschungs- und Entwicklungsansätze, die ein technisches Anwendungsinteresse verfolgen und auf der Suche nach Problemlösungen, Erfindungen und Innovationen Wissen aus der Analyse lebender Systeme heranziehen und dieses Wissen auf technische Systeme übertragen." Wir kennen unzählige Beispiele dafür, so den Vogelflug, den Klettverschluss oder den Lotuseffekt.
Die biologische Transformation hingegen geht wesentlich weiter und macht die Technologie der Biologie ähnlicher. Sie beschreibt, wie etwa Fraunhofer-Präsident Prof. Dr. Reimund Neugebauer erklärt, den Prozess der zunehmenden Nutzung von Ressourcen, Strukturen und Prozessen der Natur in der Technik. Dabei setzt sie freilich neben der interdisziplinären Zusammenarbeit eine erfolgreiche digitale Transformation voraus. Sie vereint Prinzipien der Ingenieurwissenschaften mit denen der Lebenswissenschaften, von Biologie und Mikrobiologie über Biochemie bis hin zur Genetik. Ausgereifte Sensorik und Detektionssysteme machen sichtbar, was bisher nicht zu erkennen war. Mithilfe der Digitalisierung lassen sich unter anderem große Datenmengen verarbeiten, um Zusammenhänge aus der Natur in neuen Modellen nachzuvollziehen. "Erst damit können wir viele Vorgänge, die über Jahrmillionen zu einer Optimierung geführt haben, in technische Fragestellungen und Lösungen überführen."
Entscheidende Faktoren
Das heißt, es wird nicht nur ein Faktor betrachtet, etwa Kosten oder Zeit, sondern auch Energie- und Ressourceneffizienz sowie eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft. Kurz: Komplexe, verzahnte Systeme, die wechselseitig interagieren, werden komplex geregelt und optimiert. Bei diesen Bemühungen stehen wir indes erst ganz am Anfang. Mit den modernen Möglichkeiten eröffnet sich hier ein ganz neuer Suchprozess, der beispielsweise zu selbstheilenden Beschichtungen führt, also Lacksystemen, die Korrosionsschäden mithilfe von Mikroverkapselungen selbstständig ausbessern. Oder zu medizinischen Implantaten, die sich nach einer gewissen Zeit im Gewebe auflösen. Oder zu Basisträgermaterial für Elektronikbauteile, das sich vollständig abbaut – und so übrigens auch dazu beiträgt, dass sich weniger Mikroplastik in der Natur anreichert. Die biologische Transformation beschränkt sich jedoch nicht auf die Materialebene, sie schaut genauso auf Prozessebene der Natur über die Schulter. So entwickeln die Forscher nach dem Vorbild der Schwarmintelligenz mathematische Ansätze für die Auslegung von Maschinensteuerungen, für die Verkehrstechnik und die Logistik. Das gelingt heute, weil wir die Vorgänge in der Natur in hoher Geschwindigkeit und in Echtzeit beobachten können.
In diesem Zusammenhang muss auch die Wissenschaft umdenken, müssen Ingenieure mit Biologen, Logistikern oder Produktionsspezialisten als Pioniere einer werteorientierten Wertschöpfung neue Lösungen entwickeln. In zehn Jahren, meint Professor Neugebauer, werden wir ganz neue Studiengänge haben, in denen Ingenieurwissenschaften, Mechatronik, Informatik, maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz sowie biologische Strukturen und Prozesse gebündelt sind. Ziel ist eine Nachhaltigkeit durch minimalen Einsatz von Ressourcen und durch Kreislaufwirtschaft – ganzheitlich gedacht und mit dem Menschen im Mittelpunkt. Denn Wertschöpfung ist erst sinngebend, wenn sie den Menschen mit einbezieht.