Kommentar Netzwerk? Braucht niemand!

Dr. Oliver Kleineberg kam 2007 zu Belden und verantwortete in der Industrial IT Plattform das Advanced Development. Seit Ende 2017 ist er Global CTO Industrial Networking bei der Hirschmann Automation and Control GmbH, einem Unternehmen von Belden. Dr. Kleineberg engagiert sich durch aktive Mitarbeit und Gestaltung in der internationalen Standardisierung. Er studierte an der FH Esslingen Informatik und promovierte an der irischen Universität Limerick.

Bild: Belden
02.09.2019

TSN, SDN, 5G, OPC – jede Menge Abkürzungen und neue Technologien für die Automatisierungsnetze der Zukunft. Wegbereiter für neue Wertschöpfungsketten im IIoT, ohne sie ist die Zukunft schier unvorstellbar… oder? Was wird tatsächlich benötigt, um die flexible Automation in Smart Grids oder der Smart Factory Wirklichkeit werden zu lassen?

Dr. Oliver Kleineberg war mit diesem Beitrag im A&D-Kompendium 2019/2020 als einer von 100 Machern der Automation vertreten.

Die Idee für ein universelles Steuerungsnetzwerk für die Automatisierungstechnik ist nicht neu – dieses Ziel hat in den so genannten Feldbuskriegen zu einer großen Anzahl miteinander konkurrierender Technologien geführt. Der Markt wurde zersplittert, die Anwender sind bis heute verunsichert.

Auf den Feldbuskrieg folgte die gleiche Auseinandersetzung nochmals – rund um Industrial Ethernet. Wie also diesen Teufelskreis durchbrechen und dafür sorgen, dass eine herstellerneutrale Technologie am Markt akzeptiert wird? Die Antwort lag in der IT-Welt: Hier hatte sich bereits lange vorher das Standard Ethernet der IEEE 802 gegen andere Technologien durchgesetzt. Dem Standard Ethernet fehlte lediglich die Zuverlässigkeit, die in Industrienetzen vorausgesetzt wird: Ausfallsicherheit, niedrige, berechenbare Latenz und die Fähigkeit, unterschiedliche Dienste rückwirkungsfrei im gleichen Netz zu betreiben.

Rettung aus dem Automobilumfeld

Im Jahr 2010 starteten die ersten Diskussionen in der IEEE 802.1 zu dem, was später auf den Namen „TSN – Time-sensitive Networking“ getauft wurde. Hirschmann war an diesen Diskussionen federführend beteiligt. Und fast wäre TSN damals schnell wieder in der Versenkung verschwunden: Die IEEE 802.1 Arbeitsgruppe fand das Thema zwar spannend, der Markt der industriellen Automatisierung wurde aber als nicht groß genug eingeschätzt, um ein so ambitioniertes Projekt wie TSN zu rechtfertigen.

Was nun? Die nötige Schützenhilfe erschien aber rechtzeitig Anfang 2011 auf der Bildfläche. Mehrere Hersteller aus dem Automobilumfeld, darunter ein großer Fahrzeughersteller bekundeten ihr Interesse – TSN sollte in ihren Augen langfristig im Automobil als universelles Steuerungsnetz eingesetzt werden.

Ohne diese Schützenhilfe und den großen Automotive Markt hätte es TSN, wie wir es heute kennen, vermutlich nie gegeben. Die auf der SPS 2018 gestartete OPC FLC Initiative wäre wohl auch nicht entstanden: Alle großen Automatisierungshersteller spezifizieren gemeinsam eine Kommunikationslösung auf Basis von OPC UA und TSN: Rückblickend auf die Zeit der Feldbuskriege eigentlich völlig undenkbar.

Daten sind wichtiger als das Netzwerk

Ist das Thema „Automatisierungsnetze“ also durchgespielt? Der Film zu Ende, der Endanwender erlebt das „Happyend“? Der Name „IIoT – Industrial Internet of Things“, das durch TSN maßgeblich ermöglicht wird, ist eigentlich irreführend. Denn eigentlich interessiert niemand das Netzwerk – interessant sind lediglich die Daten, die über dieses Netzwerk übertragen werden. Das Netzwerk selbst ist bestenfalls das Mittel zum Zweck, schlimmstenfalls ein Kostenfaktor. Und dennoch ist es – mehr denn je – die Basis moderner, flexibler Automatisierungsanlagen.

Das Ziel, insbesondere der Hersteller von industrieller Kommunikationstechnologie ist es in Zukunft, die Komplexität dieser Netze für den Benutzer beherrschbar zu machen. Damit kann sich der Anwender darauf konzentrieren, was wirklich relevant ist: Die Übertragung und Auswertung von Daten, angefangen bei einfachen Sensordaten, über die „Big Data“ Analyse zur Optimierung von Geschäftsprozessen oder zur Gerätewartung bis hin zur Steuerung synchronisierter Achsen.

Das Netzwerk braucht in der Tat niemand – aber die Daten, die es als universelles Übertragungsmedium zur richtigen Zeit am richtigen Ort bereitstellt, sind unverzichtbar. Wer hätte gedacht, dass aus einer kleinen Diskussion im Jahre 2010 eine solche Erfolgsstory werden würde? Und das letzte Kapitel dieser Story ist mit Sicherheit noch nicht geschrieben.

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