Industrie 4.0 treibt die Automatisierungsbranche um. Von flexibler Produktion und Losgröße 1 über modulare und vernetzte Anlagen bis hin zu neuen Geschäftsmodellen ist die Rede. Doch was braucht es für Maschinenbauer und Anlagenbetreiber, um die Anforderungen der Smart Factory bedienen zu können?
Die Produktivität der eigenen Prozesse muss erhöht werden: schnellere Marktreife der Produkte, schnellere Inbetriebnahme von Maschinen und Anlagen, Fehlerquellen eliminieren, geringe Umrüstzeiten. Insbesondere die zeitaufwändige Inbetriebnahme ist schon lange ein erheblicher Kostenfaktor für den Maschinenbau. Tests lassen sich im Vorfeld meist nicht durchführen, weil die notwendige Hardware oder das Produktionsumfeld nicht zur Verfügung stehen.
Simulation alleine reicht nicht
Natürlich gibt es seit vielen Jahren Simulationslösungen für Produktionsanlagen. Hier lässt sich das Verhalten der Maschinen in einer virtuellen Umgebung schon im Vorfeld überprüfen. Das Problem dieser Tools: Durch programmierte Logiken wird versucht, das Verhalten realer SPS, Antriebe, Roboter, Frequenzumrichter & Co. nachzubilden. Deshalb sind viele Simulationen von der Realität immer ein Stück weit entfernt, weil es kaum Einblicke in das Innenleben der Geräte gibt.
Hinzu kommt ein nicht zu unterschätzender Aufwand für den Export der Daten aus der Engineering- oder Produktionsumgebung für die Simulationswelt. Durch Inkompatibilitäten muss eine Bearbeitung der Daten erfolgen, oft sind nicht alle Parameter übertragbar und das Gleiche gilt auch wieder für den Weg zurück. Zusätzlich ist es für viele Maschinen- und Anlagenbauer auch eine Kosten- und Zeitfrage, ob sich jeweils eigene Plattformen im Bereich Engineering, Simulation und Anlagen-/Maschinensteuerung überhaupt rechnen und sich die Produktivität damit steigern lässt.
Real durch Virtualisierung
Für ABB ist die Simulation von Maschinen und Produktionsanlagen im Zeitalter von Industrie 4.0 ein unverzichtbares Mittel, um die Produktivität zu erhöhen. Allerdings reicht dem Automatisierungsspezialisten die einfache Simulation nicht aus. ABB hebt die Simulationswelt auf ein höheres Level, durch die Art und Weise, wie die Simulation erfolgt: alles basiert auf virtuellen Prototypen.
Statt dass ein Simulationstool versucht, über eigene Logiken die Arbeitsweise einer SPS oder Frequenzumrichters nachzubilden, läuft eine komplett virtualisierte Hardware in der Simulationsumgebung. Genau hierfür erzeugt ABB von seinen Produkten mit allen Eigenschaften exakt nachgebildete virtuelle Geräte, auf denen dann die gleichen Parameter und Anwendungen laufen wie im realen Produkt. In der Simulation gibt es die identischen Funktionen, Ausführungsgeschwindigkeiten, Latenzzeiten wie im physikalischen Gerät. Das gilt auch für das Verhalten zwischen Produkten, die gegenseitige Interaktion lässt sich „real“ simulieren. Während ABB bei seinen Robotern schon länger mit virtuellen Prototypen arbeitet, führt das Unternehmen nun auch bei den Antrieben, Frequenzumrichtern, Bedienterminals und Steuerungen die virtuellen Instanzen ein. Mit diesen essenziellen Automatisierungskomponenten kann die Simulation kompletter Anlagen mit virtuellen Prototypen durchgeführt werden. Der komplette Code beispielsweise eines Frequenzumrichters lässt sich 1:1 zwischen dem virtuellen und realen Gerät austauschen. Es muss kein Export, Bearbeitung und Import der Daten mit all seinen Nachteilen erfolgen. Hat man in der Simulation neue Parameter oder eine verbesserte Firmware mit Erfolg ausgetestet, lässt sich der Datensatz direkt auf das Gerät in der Produktion überspielen.
Drehkreuz Automation Builder
Genau hier macht sich die Integration der Simulation in ABBs bekannter Softwaresuite Automation Builder bezahlt. Der Automation Builder fasst die für die Konfiguration, Programmierung, Fehlerbeseitigung und Pflege von Automatisierungsprojekten notwendigen Tools unter einer Bedienoberfläche zusammen. Weil auch die Simulation in der Lösung integriert wird, funktioniert die Verzahnung der virtuellen und realen Geräte mit einem Datensatz umso besser. Fehlende Komponenten für die Simulation lassen sich vom Anwender erstellen.
In der Simulation können dann Abhängigkeiten und Auswirkungen auf andere Fertigungsmodule, Antriebe & Co. mit überprüft werden: Alle virtuellen Prototypen sind miteinander im Automation Builder vernetzt und interagieren wie in der realen Anlage. Was passiert beispielsweise, wenn ein Sensor defekt ist? In der Simulation lässt sich testen, wie die (virtuellen) Geräte reagieren und ob alle Eventualitäten abgefangen werden. Man benötigt keine reale Maschine, die in der Testzeit dann nicht produktiv wäre. Es lassen sich auch Fehler kreieren, um zu überprüfen, ob die Maschine dann in den sicheren Stopp geht oder nur eine Alarmmeldung kommt. Bei der Inbetriebnahme von Maschinen in einer Fabrik oder gar im Produktivbetrieb fehlt für diese Tests fast immer die Zeit. Geplante Produktionsstillstände oder Betriebsferien werden primär für Wartungsfenster oder Umrüstungen verwendet. Gerade Umrüstvorgänge und Umbauten erfordern ohne Simulation viel Glück, dass beim Hochfahren der Anlagen alles wie geplant läuft.
ABB hat im Automation Builder auch die Zeit virtualisiert – sie lässt sich wie ein Gummiband dehnen. Innerhalb der Simulation bleiben alle Vorgänge synchron, nur beschleunigt, wenn Echtzeitsimulationen zu viel Zeit benötigen würden. Gerade bei der Anlagenoptimierung, wo eine Vielzahl von Szenarien simuliert werden, spart ein schnellerer Ablauf wieder Zeit.
Mehr Produktivität im Betrieb
ABBs Automatisierungslösungen hören mit der Simulation von Anlagen und realen Produkten nicht auf. Um auch den produktiven Betrieb effizient überwachen und optimieren zu können, hat ABB mit zenon eine neue SCADA-Lösung in sein Portfolio aufgenommen. Auch hier erfolgt eine Verzahnung mit dem Automation Builder: Über die Simulation lassen sich die Reaktionen der SCADA-Software auf bestimmte Aktionen testen.
zenon bedient auch ABBs Credo des „Internet of Things, Services and People“ IoTSP. Mit der SCADA-Lösung wird der Service-Gedanke über die Einbindung von Cloud-Diensten abgebildet. Standortübergreifend ist so auch die Zusammenarbeit mehrerer Produktionsverantwortlicher möglich.
Lesen Sie mehr über die Möglichkeiten der SCADA-Lösung im Interview mit Dr. Sönke Kock, Leiter Automation Solutions bei ABB: „Werkzeuge für Industrie 4.0“