Prozessautomation Prozessindustrie spricht Ethernet

12.06.2014

Die Potenziale von Industrial Ethernet sind heute auch in der Prozessautomatisierung bekannt und unbestritten. Und wenn auch noch nicht alle technischen Fragen beantwortet sind, ist eine stärkere Verbreitung kaum mehr aufzuhalten. Insofern ist es geboten, dass alle Protagonisten jetzt an einem Strang ziehen.

Der Fertigungsautomatisierung eilt der Ruf voraus, schneller und innovativer zu sein als die Prozessautomation. Technologische Neuerungen hatten in der Vergangenheit ihren Ursprung zumeist im Konsumerbereich und wurden bisweilen dann in der Fertigungsindustrie und mit erheblichem zeitlichem Abstand in der Prozessautomatisierung übernommen. So dauerte es nach der Erfindung des Ethernets durch Robert Metcalfe im Jahr 1973 mehr als zwei Jahrzehnte, bis diese Technologie für Anwendungen in der Industrieautomatisierung geeignet war. Heute kommt Industrial Ethernet hauptsächlich in der Fertigungsautomatisierung mit ihren großen Datenmengen und hohen Geschwindigkeitsanforderungen zum Einsatz. Hier ist der Übergang von Feldbussen zu Industrial Ethernet auch auf der Feldebene bereits weit fortgeschritten.

Aber auch in der Prozessindustrie ist das Thema Ethernet in der Zwischenzeit angekommen. So hat etwa der Profibus-International-Arbeitskreis „Fieldbus Integration“ bereits im Jahr 2007 begonnen, an einer Spezifikation für die Einbindung der in der Verfahrenstechnik eingesetzten Protokolle Hart und Foundation Fieldbus in Profinet zu arbeiten. Und mit dem Einsatz intelligenterer Geräte stehen nun auch komplexe Feldgeräte wie Durchflussmessgeräte oder Antriebe zur Verfügung, die bereits heute die Vorteile von Industrial-Ethernet-Protokollen – wie zum Beispiel Ethernet/IP oder Profinet – nutzen. Damit lassen sich auch durchgängige Lösungen von der Feld- bis zur Unternehmensleitebene realisieren, die weitere Vorteile bieten und etwa die Einbindung fertigungstechnischer Komponenten unterstützen. Wie aber wird sich der Einsatz von Industrial Ethernet gerade in der Prozessindustrie weiter entwickeln?

Kommunikationsprotokolle auf Basis 
von Analogtechnik

Beim Vergleich der Prozess- mit der Fertigungsautomatisierung fallen deutliche Unterschiede auf: Verfahrenstechnische Anlagen werden oft über viele Jahre und Jahrzehnte hinweg betrieben, weshalb lange Technologielebenszyklen typisch sind. Aus diesem Grund werden heute häufig noch Kommunikationsprotokolle auf der Basis von Analogtechnik eingesetzt. Dazu kommt, dass aufgrund besonderer Anforderungen die in der Fertigungsindustrie bereits akzeptierten Industrial-Ethernet-Protokolle nicht direkt für neue Anwendungen in die Prozessindustrie übernommen werden können. Zu den Besonderheiten der Verfahrenstechnik zählen etwa die Zweileiter-Verkabelung mit passender Verbindungstechnik oder die notwendige Unterstützung großer Leitungslängen in ausgedehnten Anlagen. Weiterhin ist eine Zertifizierung für Ex-Bereiche notwendig, die eine geringere Stromaufnahme und die Unterstützung von Eigensicherheit erforderlich machen. Weitere industriespezifische Forderungen sind beispielsweise Stromversorgung über das Kommunikationskabel oder eine Redundanzunterstützung. Diese Forderungen finden sich auch in der Namur-Empfehlung 74 mit ihren Anforderungen an ein offenes und leistungsfähiges Kommunikationssystem für die Verfahrenstechnik.

Trotz dieser besonderen Herausforderungen wird Indus­trial Ethernet neben Feldbussen und der Wireless-Technologie langfristig eine wichtige Rolle für die Anbindung der Feldgeräte in der Prozessindustrie spielen. Dabei wird die Analogtechnik zwar nicht gänzlich ersetzt, aber zumindest ergänzt. Dafür sprechen unter anderem die Verfügbarkeit der Daten auch über die Feld­ebene hinaus, die erhöhte Bandbreite für den Datenaustausch und die gesteigerte Genauigkeit der übertragenen Daten sowie die Übertragungsgeschwindigkeiten. Wegen dieser Vorteile haben verschiedene Feldbusorganisationen heute bereits einzelne Industrial-Ethernet-Protokolle wie etwa Foundation-Fieldbus-High-Speed-Ethernet oder Hart-IP als Standard für den verfahrenstechnischen Einsatz spezifiziert. Darüber hinaus gibt es weitere Protokolle wie Profinet, EtherNet/IP oder Modbus TCP, die ursprünglich für die Fabrikautomation konzipiert wurden und nun auch für die Prozessindustrie vielversprechend sind. In verschiedenen Normungsgruppen sind derzeit weitere Standardisierungsbemühungen erkennbar, Protokolle aus der Fertigungs- für die Prozessautomatisierung nutzbar zu machen und bestehende technische Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Schließlich hat sich in der Prozessindustrie für die Produktions- und Unternehmensleitebene der Datenaustausch auf Ethernet-Basis bereits fest etabliert.

Genaue Umsetzung noch ungeklärt

Trotz der eindeutigen Argumente für die Verwendung von Industrial Ethernet auch zur Kommunikation in prozesstechnischen Anlagen muss die genaue Umsetzung dieser Technologie für den optimalen Einsatz in der Prozessindustrie noch geklärt werden. Einzelne Lösungsansätze wie Power over Ethernet, implementierte Industrial-Ethernet-Feldgeräte mit Ex-Unterstützung oder die Unterstützung von Leitungslängen bis zu 1.000 m, aufsetzend auf einem Zweidrahtkabel, stehen zwar bereits zur Verfügung, müssen jedoch zu einem Gesamtkonzept zusammengeführt werden. Damit würden dann die bislang üblichen Remote-I/O-Geräte und deren Verkabelung oder auch Profibus DP/PA-Koppler überflüssig werden. Allerdings gehen mit einer solchen Ethernet-Spezialversion für die Prozessindustrie die Vorteile eines hohen Verbreitungsgrads und den damit verbundenen Skaleneffekten für preisgünstige Gerätetechnik verloren.

Proxies ebnen den Weg

Während die Industrial-Ethernet-Standardisierung für die Feldebene einer verfahrenstechnischen Anlage noch nicht abgeschlossen ist, lassen sich heute bereits praktikable Lösungsansätze zur Einbindung von Geräten in Feldbusinseln erkennen. Vielversprechend zur Integration von Industrial Ethernet mit beliebigen Feldbussen sind zum Beispiel Proxies. Dabei übernimmt der Proxy im Industrial Ethernet-Netz die Rolle eines Feldgeräts, während er im Feldbus als Master auftritt.

Proxies bewirken eine Offenheit in der Kommunikation zwischen dem Industrial-Ethernet-Netz und Feldbussen und bieten einen Investitionsschutz für Gerätehersteller und Anwender. Noch gibt es am Markt keine industrietauglichen Proxies – für welche Protokolle auch immer. Es sind jedoch Bemühungen erkennbar, diesen Zustand zu ändern. Zudem scheint eine Anbindung an das Ethernet-Netz einer Anlage für einfache Geräte wie beispielsweise Temperatursensoren derzeit nicht sinnvoll. Anspruchsvolle Feldgeräte allerdings, die eine Reihe an Werten erfassen und versenden können, profitieren von einer Anbindung ans Ethernet-Netz.

Bereits heute wird Industrial-Ethernet in der Prozessindustrie häufig als Backbone-Netz eingesetzt und für Nebenprozesse wie Wareneingänge und Warenausgang verwendet, weshalb an einer Zunahme von Industrial-Ethernet-Technologie im Umfeld der Prozessautomatisierung mittelfristig kein Zweifel bestehen kann. Dafür sprechen die individuellen Vorteile einer Nutzung in verfahrenstechnischen Anlagen. Um die Akzeptanz von Industrial Ethernet zu erhöhen, wird es erforderlich sein, dass Gerätehersteller eine größere Palette an Ethernet-tauglichen Feldgeräten anbieten. Eine Schlüsselrolle kommt dabei Anbietern wie Softing Industrial Automation zu, die sowohl Kommunikationstechnologien aus dem prozesstechnischen als auch aus dem fertigungstechnischen Bereich im Portfolio haben.

Neben den technischen Herausforderungen müssen aber auch die politischen Rahmenbedingungen gelöst werden: So präferieren die Hersteller verschiedene eigene Protokolle, was zu einer Verunsicherung der Anwender führt, wie sie bereits in den sogenannten Wireless- und Feldbuskriegen der Vergangenheit zu beobachten war. Um dieser Entwicklung vorzubeugen, muss ein Entgegenarbeiten der Steuerungshersteller auf alle Fälle vermieden werden – eine Herausforderung, die die Organisationen und Arbeitskreise durch eine enge Zusammenarbeit unterstützen können.

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