Kostensensible Autofahrer glauben es schon lange zu wissen: Die Verbrauchs- und Emissionsangaben der Fahrzeughersteller und die tatsächlich im Straßenverkehr erzielbaren Werte stimmen nicht überein. Was von Autohändlern lange schulterzuckend als Nörgelei abgetan wurde, ist zwischenzeitlich amtlich festgestellt und im Plenarsitzungsdokument A7-0168/2013 des Europäischen Parlaments nachzulesen.
Abweichungen zwischen Norm- und Realverbrauch sowie zwischen Norm- und Realemissionen im unteren zweistelligen Prozentbereich gelten demnach eher als die Regel denn als Ausnahme. Der Grund für diese Diskrepanz wurde in Brüssel analysiert. So entfällt mehr als ein Drittel der zwischen 2002 und 2010 verwirklichten CO2-Einsparungen auf eine zielgerichtete Nutzung von Flexibilitätsbestimmungen rund um die angewandten Prüfverfahren. Mit anderen Worten: Mehr als ein Drittel der vermeintlich eingesparten Emissionen besteht nur auf dem Papier, hat nichts mit technischen Innovationen zu tun und kann vor allem unter realen Fahrbedingungen nicht erreicht werden.
Um die Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Kraftstoffverbrauch und den realen Emissionen sowie den Werten der Typgenehmigung zu beseitigen, hat das EU-Parlament eine „legislative Entschließung“ zur Änderung der einschlägigen EU-Verordnung 510/2011 eingeleitet. Ein wesentlicher Bestandteil der Initiative lautet, sicherzustellen, dass die Prüfverfahren die Emissionen, die unter realen Fahrbedingungen entstehen, die Real Driving Emissions (RDE) also, angemessen widerspiegeln.
Kurs auf den WLTC
Damit beginnt eine vielschichtige Geschichte. Denn parallel zu dem Vorstoß aus Brüssel arbeiten bereits seit 2009 auch nationale Normierungsinstitute der wichtigsten weltweiten Automobilmärkte unter Koordination der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa in Genf (UN-ECE) an dem Thema. Das ambitionierte Ziel dort lautet, einen Testzyklus festzuschreiben, der nicht nur weltweit gültig ist, sondern auch die Realitäten des Straßenverkehrs besser abbildet als der allgemein als recht synthetisch empfundene Neue Europäische Fahrzyklus (NEFZ). Das neue Verfahren mit dem Namen Worldwide Harmonized Light Duty Driving Test Cycle (WLTC) soll nach dem Willen der Urheber ab 2017 in Kraft treten.
Dr.-Ing. Ulrich Eichhorn, Geschäftsführer des Verbands der Automobilindustrie (VDA), zweifelt diesen Termin an. Mehr noch: Ebenso wie die Lobbyisten des europäischen Automobilherstellerverbands ACEA sind auch die Vertreter des VDA derzeit darum bemüht, den Einführungstermin für den WLTC zu kippen. So verweist Eichhorn auf Unklarheiten im Verordnungstext sowie auf mehr als 60 offene Punkte, die noch geklärt werden müssten. Und: Auch die Messtechnik ist nach Aussagen von Eichhorn in Teilbereichen noch nicht verfügbar, um den WLTC mit Leben zu erfüllen.
Der Grund: Zusätzlich zu den auch schon für den NEFZ durchgeführten Tests auf der Prüfstandsrolle sollen für den WLTC auch Messungen im realen Verkehr durchgeführt und in die Beurteilung mit einbezogen werden. Doch die dafür erforderliche portable Messtechnik (Portable Emissions Measurement System, PEMS) steckt zumindest in Teilbereichen noch in den Kinderschuhen. So verweist Eichhorn beispielsweise darauf, dass die derzeit verfügbare portable Messtechnik zwar in der Lage sei, die Partikelmenge zu detektieren, nicht jedoch die Partikelanzahl.
Als weiteres noch ungelöstes Aufgabenfeld nennt Eichhorn die Entwicklung eines Normalisierungstools, um die breit gestreuten Werte aus den PEMS-Messungen auf eine normierte Fahrt zurückzurechnen. Dies sei schon alleine deshalb erforderlich, weil sonst klimatische Verhältnisse, die Abgaslast des vorausfahrenden Fahrzeugs oder viele andere Einflussfaktoren von außen die empfindliche Messtechnik irritieren und so die Messwerte verfälschen würden.
Völlig strittig ist schließlich auch der Umgang mit den politisch festgeschriebenen Grenzwerten für die CO2-Emissionen. Da der neue WLTC mehr Beschleunigungsvorgänge und eine höhere Spitzengeschwindigkeit im Vergleich zum NEFZ vorsieht, werden die gemessenen CO2-Emissionen unweigerlich steigen. Da die strafzahlungsbewehrten CO2-Grenzwerte auf Grundlage des alten Zyklus zustandegekommen sind, müssen Überleitungsformeln und Umrechnungsfaktoren ermittelt werden.
Einführungstermin wackelt
Mittlerweile erscheint vielen Experten ein Einführungstermin im Jahr 2017 als zu ehrgeizig. Erste Veröffentlichungen gehen mittlerweile von 2021 aus. Nicht zuletzt deshalb, weil die ab diesem Zeitpunkt einzuhaltenden, neuen CO2-Grenzwerte an den neuen Zyklus angepasst werden könnten, ohne dass es zu einer in der Industrie befürchteten Verschärfung der Grenzwerte durch die Hintertür kommt.
Damit wird sich auch die Einführung von PEMS-Messungen von RDE verschieben. Denn schon in der Stellungnahme des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie des Europaparlaments zur aktuellen legislativen Entschließung schreibt der Verfasser Markus Pieper, dass „das neue Testverfahren noch nicht festgelegt ist und wahrscheinlich auch nicht festgelegt wird, bevor der neue Prüfzyklus WLTC und die entsprechenden Testverfahren zur Verfügung stehen“.