Die Bildverarbeitungsindustrie entwickelt sich seit vielen Jahren sehr positiv und mit Wachstumsraten, die meist über denen des gesamten Automatisierungsumfeldes liegen. Die rasante Weiterentwicklung findet nicht nur bei den Bildsensoren statt, sondern auch auf der Ebene der Auswertung von Bildern (Stichwort Deep Learning / Künstliche Intelligenz) und deren Transport. Zahlreiche Experten versprechen sich derzeit viel von einer neu an den Start gehenden Technologie: Die Schnittstelle 10 GigE Vision soll der Bildverarbeitung zusätzlichen Schub verleihen und die Grenzen des Machbaren weiter verschieben.
Hintergrund dieser Entwicklung ist, dass in vielen Applikationen immer häufiger Kameras mit Auflösungen von 5 und mehr Megapixeln zum Einsatz kommen. Die dabei eingesetzten CMOS-Sensoren erlauben aufgrund ihrer extrem leistungsfähigen Datenschnittstellen von aktuell bis zu 90 GigaBit/s selbst bei hohen Auflösungen sehr hohe Bildfrequenzen. Für die Weiterleitung der daraus resultierenden enorm großen Datenmengen sind daher Interfaces mit möglichst hoher Bandbreite erforderlich.
Die maximalen Geschwindigkeiten von Bildverarbeitungsschnittstellen haben in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Nach aktuellem Stand der Technik ermöglichen Systeme auf Basis von 1 GigE Vision eine Datenübertragung von etwa 120 MB/s, USB3-Vision erreicht maximal circa 360 MB/s und Camera Link-Systeme können pro Sekunde bis zu rund 850 MB an Daten weiterleiten.
Bildverarbeitungssysteme, die mit einem vierkanaligen CoaXPress-6-Interface ausgestattet sind, setzen mit Übertragungsgeschwindigkeiten bis etwa 2500 MB/s die Messlatte aktuell am höchsten. Nach derzeitigem Stand der Dinge wird die neue Schnittstelle 10 GigE-Vision rund 1250 MB/s ermöglichen, was die Frage aufwirft, warum Hersteller und Anwender von Industriekameras mit so hohen Erwartungen entgegenfiebern, wo sie doch hinter den Werten von CoaXPress zurückbleibt.
Gute Argumente für 10 GigE Vision
Die Schnittstelle 10 GigE Vision weist jedoch gegenüber anderen Verfahren eine Reihe von Vorzügen auf. So hat sich das Ethernet-Protokoll in der Industrie seit vielen Jahren bestens bewährt. Sowohl in Bezug auf die Topologie als auch auf die Software lässt sich 10 GigE Vision von bestehenden 1 GigE Vision-Applikationen transparent skalieren und ist auch in der Serverwelt weit verbreitet.
Die erforderlichen Switche sind bereits als preisgünstige Massenware erhältlich. Netzwerkeigenschaften und Vorteile der bisherigen 1 GigE-Schnittstelle gelten fast alle auch für 10 GigE. Und GigE ist ein gut akzeptierter Standard in der industriellen Bildverarbeitung.
Für den kommenden Erfolg des Schnittstellenneulings spricht auch die große Auswahl an standardisierten Komponenten für die Feldverkabelung. Industrielle Ethernet-Kabel mit M12x8-Verbindungen sind bereits seit Jahren „10 GigE-ready“, und auf der I/O-Seite, sprich bei den erforderlichen Steuersignalen und auch beim Thema LED-Beleuchtungen, bietet sich der M12x12-Standard für Bildverarbeiter geradezu an, um robuste Verbindungen mit IP-Schutzklasse und Zertifizierung auf Basis von Industriestandards zu schaffen.
Für Anwender ist neben der Datenübertragungsgeschwindigkeit auch die maximal mögliche Kabellänge ein entscheidendes Kriterium. Hier punktet 10 GigE Vision gegenüber anderen Schnittstellen mit einer maximalen Übertragungslänge von bis zu 100 Metern beim Einsatz von CAT6a-Kabeln: Bei USB3-Vision liegt das Limit bei 2 Metern, mit Camera Link ist bei 10 Metern das Ende der Fahnenstange erreicht, und CoaXPress stößt bei 35 Metern an seine Grenzen. Hinzu kommt, dass sich bei 10 GigE mehrere Kameras oder Sensoren aufgrund des paketorientierten Protokolls und der möglichen Anbindung über Switche ein Kabel teilen können – dies ist ein Alleinstellungsmerkmal Ethernet-basierter Schnittstellen. Die Preise für 10 GigE-Komponenten von der Schnittstelle bis hin zu den Kabeln liegen bereits jetzt deutlich unter dem Niveau anderer Optionen und werden weiter fallen.
Neue Technologie
Kamera-Datenströme haben technische Besonderheiten. Derzeit erfordert die Konfiguration eines PCs mit 10 GigE Netzwerkkarte und –Kamera noch etwas Know-how, um die theoretisch maximale Geschwindigkeit einer 10 GigE-Kamera auch ausreizen zu können.
Aktuelle Kameras mit 10 GigE wie die hr342XGE von SVS-Vistek mit 31 Megapixeln oder die hr25XGE mit 25 Megapixeln liefern mehr als 1,1 GB/s an Netto-Bilddatenrate, was nahe am theoretischen Maximum des Interfaces liegt. Eine derartige Bandbreite erfordert auf der Verarbeitungsseite Anpassungen und eröffnet neue Möglichkeiten, denn diese enorme Bandbreite steht günstig von der Hardware und skalierbar von der Applikationsseite zur Verfügung.
10 GigE Vision in der Anwendung
Haupteinsatzgebiete für 10 GigE Vision sehen viele Experten auf dem Factory Floor, wo hohe Übertragungsgeschwindigkeiten beziehungsweise weite Kabelstrecken erforderlich sind. Direkte Folgen einer schnelleren Bilddatenübertragung bestehen ja darin, dass mehr Zeit für die Auswertung der Bilddaten zur Verfügung steht und somit genauere Aussagen über die Qualität des Prüflings möglich werden oder einfach der Durchsatz pro Prüfeinheit erhöht werden kann.
Ob Anwender ihre bestehenden Anlagen von 1 auf 10 GigE Vision aufrüsten werden, hängt im Wesentlichen von der Aufgabenstellung ab: Bei lange laufenden Systemen ohne Bedarf an mehr Leistung oder zusätzlichen Bildauswertungen wird ein Austausch der Schnittstelle keinen wirtschaftlichen Vorteil bringen.
Wenn bestehende Anlagen durch einen Wechsel auf 10 GigE hingegen einen schnelleren Bildeinzug oder eine verbesserte Bildauswertung erlauben, so profitiert der Anwender von einer höheren Inspektionsqualität oder einer Steigerung des Produktionsflusses, und ein System-Upgrade durch einen Austausch des PCs und der Aufnahmeeinheit macht möglicherweise Sinn. 10 GigE ist ein äußerst ökonomisches Hochgeschwindigkeitsinterface.
Die Prognose von SVS-Vistek lautet: 10 GigE Vision wird sich innerhalb weniger Jahre zu einer der wesentlichen Schnittstellentechnologien in der Bildverarbeitung entwickeln. Beim Design neuer Anlagen wird der Anteil an 10 GigE Vision-Systemen künftig sicher deutlich zunehmen.