Die sogenannte Gezeitenkatastrophe ereignete sich in einer 4,4 Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie, in deren Zentrum ein Schwarzes Loch mit der 35-millionenfachen Masse unserer Sonne haust. Diesem Massemonster ist eine Riesensonne zu nahe gekommen und durch die Gezeitenkräfte des Schwarzen Lochs in Stücke gerissen worden.
„Die Gezeitenkräfte entstehen, indem das Schwarze Loch an der Vorderseite des Sterns stärker zieht als an der Rückseite“, erläutert der Hauptautor der Veröffentlichung, Simeon Reusch von DESY. „Durch diese Differenz wird die Riesensonne zunächst in die Länge gezogen, bis sie schließlich zerreißt.“
Eine Badewanne in den Sternen
Die Sternentrümmer formen um das Schwarze Loch eine sogenannte Akkretionsscheibe – ähnlich wie Wasser in einer Badewanne einen Strudel bildet, wenn man den Stöpsel zieht. Bevor die Sternmaterie schließlich auf Nimmerwiedersehen im Schwarzen Loch verschwindet, kreist sie wie das Wasser über dem Badewannenabfluss immer schneller, heizt sich dabei enorm auf und fängt an, hell zu leuchten.
„Diese Gezeitenkatastrophe war möglicherweise sogar das leuchtstärkste vorübergehende kosmische Phänomen, das jemals beobachtet worden ist“, betont Ko-Autor Marek Kowalski von DESY. Aufgrund der enormen Helligkeit des Ereignisses gehen die Forscher davon aus, dass der zerrissene Stern eine Riesensonne gewesen sein muss, damit sich genug leuchtende Materie auf der Akkretionsscheibe sammeln konnte.
Die intensive Strahlung hat einen Hohlraum in die riesige Staubwolke gebrannt, von der das Schwarze Loch in der fernen Galaxie umgeben ist. Im Umkreis von rund einem halben Lichtjahr verdampfte der Staub dabei sofort. Dahinter heizte ihn die Strahlung extrem auf, sodass er schließlich hell im Infrarotbereich zu leuchten begann. Durch geometrische Effekte erreichte dieses Lichtecho erst ein Jahr nach dem Ende des Riesensterns sein Maximum.
„Das Lichtecho im Infrarotbereich ist eine Schlüsselsignatur der Gezeitenkatastrophe“, berichtet Reusch. „Damit hat sich die Natur dieses aufleuchtenden Objekts verraten.“
Teil eines zerissenen Sterns aufgefangen
Das Phänomen war zuerst mit dem Observatorium Zwicky Transient Facility (ZTF) beobachtet worden, das speziell nach solchen vorübergehenden Ereignissen („Transients“) Ausschau hält. Astronomen hatten dann die Himmelsposition mit zahlreichen anderen Instrumenten bei verschiedenen Wellenlängen ins Visier genommen, von den Radiowellen bis zur Gammastrahlung. Beobachtungen mit dem Infrarotsatelliten „WISE“ der US-Raumfahrtbehörde NASA enthüllten rund ein Jahr nach dem ursprünglichen Ausbruch das Lichtecho.
Am Südpol ging dem Observatorium IceCube zudem ein energiereiches Neutrino ins Netz, das von dem Ereignis stammen könnte. Damit hätte IceCube möglicherweise zum zweiten Mal ein Teilchen von einem zerrissenen Stern aufgefangen – ein Erfolg der noch jungen Disziplin der Neutrino-Astronomie.
„Neutrinos liefern uns Einblicke in kosmische Objekte, die mit Licht und anderer elektromagnetischer Strahlung nicht möglich sind“, erläutert Kowalski, der die Neutrino-Astronomie bei DESY leitet. „Mit elektromagnetischer Strahlung schauen wir nur auf die Oberfläche eines Objekts. Neutrinos erreichen uns jedoch ungehindert aus dem Inneren.“
Kosmischer Teilchenbeschleuniger
Insbesondere die Kombination aus Beobachtungen im Bereich der elektromagnetischen Strahlung mit Neutrinos ermöglichen neue Erkenntnisse. Die Forscher bezeichnen das als Multi-Messenger-Astronomie, weil die Boten („Messenger“) in beiden Bereichen ganz unterschiedlicher Natur sind.
So zeigen die Messungen im Bereich der Radiowellen, dass es sich bei dem Phänomen um einen kosmischen Teilchenbeschleuniger handelt. Die davon unabhängige Messung des Neutrinos untermauert diese Beobachtung und deutet auf einen Beschleuniger von Atomkernen, nicht der sehr viel leichteren Elektronen. Genaueren Aufschluss sollen weitere Analysen der Messdaten von IceCube bringen.
An der Arbeit waren 49 Forscher von 30 Institutionen beteiligt.