Eingesetzt wird das gemeinsam mit DMG MORI entwickelte Fräs-Dreh-Zentrum seit einem halben Jahr am Fertigungsstandort Höchstadt a. d. Aisch in der Präzisionsweichbearbeitung von großen, kundenspezifischen Wälzlagerringen mit Gewinden, Fräsbearbeitung, Passungen etc. Vor knapp zwei Jahren startete ein Projektteam mit der Formulierung der Anforderungen an das künftige „Industrie 4.0-Produktionssystem“ in Höchstadt, das stellvertretend für viele andere Produktionen ist:
kosteneffizient kleine Losgrößen produzieren,
trotzdem geringe Rüstzeitanteile,
schnelle und schlanke Engineeringprozesse,
trotz sehr kleiner Losgrößen eine hohe Prozessstabilität,
flexible Produktionseinheiten,
maximale Lieferzuverlässigkeit und kürzeste Durchlaufzeiten,
geringste Fehlerkostenanteile auch bei Kleinstlosgrößen.
Diese Anforderungen gingen nicht nur in die Konzeption der Werkzeugmaschine 4.0 an sich ein, sondern bestimmten auch die Auswahl und die Modifikationen des direkten Umfeldes der Werkzeugmaschine. Es ist also eher von einer 4.0-tauglichen Produktionszelle zu sprechen, zu der auch eine 3-D-Messmaschine, ein Werkzeugvoreinstellgerät, ein neuartiges Spannsystem und ein in die Werkzeugmaschine integriertes Laser-Beschriftungssystem zählen. Mit letzterem wird jedes Teil per Data-Matrix-Code eindeutig gekennzeichnet. Mit der somit festgelegten individuellen Identität jedes Werkstücks werden sämtliche Zeichnungen, Prozessdaten und Qualitätsdaten aus der Maschine und den Peripheriegeräten in die eigens hierfür geschaffene Cloud gespeichert.
Selbstoptimierende Produktionszelle
Schon allein die Vernetzung der Maschine mit den Peripheriegeräten und die intelligente Verarbeitung der Daten erlaubte es, selbstoptimierende Prozesse zu implementieren. So wurden beispielsweise die Grundlagen gelegt, dass eine Adaption der Spannkräfte im Betrieb erfolgen kann. NC-Programm, Messmaschine und Spannsystem bilden einen Regelkreis. Höhere Spannkräfte beim Schruppen ermöglichen größere Vorschübe und geringere Spannkräfte beim Schlichten führen zu kleineren Formtoleranzen – mehr Produktivität bei gleichzeitig mehr Präzision ist ein echter Mehrwert. Ein ähnliches Szenario realisierten die Spezialisten mit dem Werkzeugvoreinstellsystem: Die Werkzeuge werden optisch vermessen, die Geometriedaten digitalisiert und online der Maschine bzw. dem NC-Programm zur Verfügung gestellt. Die NC-Programme werden also nicht mehr auf Basis idealer Werkzeugdaten, sondern mit realen Werkzeugdaten, die auch den Werkzeugverschleiß beinhalten, kompiliert. Damit fallen weniger Justier- und Nachrüstarbeiten an der Maschine an.
Automatische Nachschmierung
Ein weiterer Regelkreis der Produktionszelle besteht aus einer Standardrollenumlaufführung mit Beschleunigungsaufnehmer, einer Auswerteelektronik und dem automatischen Schmierstoffgeber FAG Concept8. Der Beschleunigungssensor erfasst eine geringfügige Verschlechterung des Schmierzustandes an den Führungswagen über minimale Veränderungen in den Schwingungsmustern und initiiert die Nachschmierung durch den Schmierstoffgeber. Ziel dieses Systems ist es, bedarfsgerecht und nicht mehr zeit- oder weggesteuert nachzuschmieren. Drei Effekte stehen hier im Vordergrund: Die manuelle Nachschmierung entfällt, der Schmierstoffbedarf sinkt um bis zu 30% und gleichzeitig werden die Laufruhe und das Schwingungsverhalten der Umlaufführung permanent auf dem Niveau des Neuzustandes gehalten.
Großes Potential: Reale Lastdaten
Wie hoch werden Maschinen und deren Komponenten tatsächlich ausgelastet und wie lange werden sie noch halten? Mit den gemessenen Lastdaten und den daraus ermittelten tatsächlichen Lastkollektiven können erstmals an einer Werkzeugmaschine im Serieneinsatz diese Fragen beantwortet werden. Die Untersuchungen führten zu zwei neuen datenbasierten Services, die Schaeffler auf der Hannover Messe Industrie 2016 im Rahmen der Sonderschau Predictive Maintenance 4.0 vorstellte: die Restlaufzeitberechnung von Wälzlagern auf Basis realer Lastkollektive sowie die automatisierte Wälzlagerdiagnose, die durch eine intelligente Verarbeitung von Schwingungsdaten realisiert wurde. Die fortlaufende Berechnung der Restlaufzeit von Wälzlagern eröffnet folgende Möglichkeiten:
Höhere Auslastung von einzelnen Achsen und ganzen Maschinen,
aktive Steuerung der Maschinenauslastung im Hinblick auf vorausschauende Wartung und Instandhaltung,
bedarfsgerechte Instandhaltungsintervalle auf Basis realer Beanspruchungen und die
Nutzung von realen Felddaten und Lastkollektiven für die konstruktive Optimierung und das Re-Engineering von Maschinen durch den Hersteller.
Außerdem implementierten die Ingenieure das FAG ProCheck, ein klassisches Condition Monitoring System, mit dem auch eine Kollisionserkennung möglich ist. Hierbei geht es darum, künftig die Schwere einer Kollision bewerten zu können und einen Zusammenhang zwischen der Kollision und einer möglichen Initial-Lagerschädigung herzustellen. Der Plan: Dem Betreiber sollen mit diesem System künftig Handlungsempfehlungen zur Verfügung stehen, ob er nach einer Kollision die Maschine weiter betreiben kann, ob er die Performance verringern sollte oder gar ein Instandhaltungsteam angefordert werden muss.
Weitere Forschungsprojekte
Mit diesen installierten und integrierten Technologien und Konzepten ist nun eine Keimzelle geschaffen, in der weitere Entwicklungen wachsen können. Hier stehen vor allem die ungenutzten Potenziale im Vordergrund, die sich aus den standardisierten Zugriffsmöglichkeiten, der Transparenz und den Verarbeitungs-Algorithmen der Daten ergeben. Die Möglichkeiten zur Generierung von Mehrwert für unterschiedliche Interessengruppen aus den „Felddaten“ sind damit noch lange nicht ausgeschöpft. Für die kommenden Monate und Jahre forciert Schaeffler weitere Forschungsprojekte, darunter:
die Korrelation von Bearbeitungskräften mit Qualitätsmerkmalen und Prozessparametern,
einen teilebezogenen und einen maschinenbezogenen Energieausweis und
die Prozess-Simulation im Vorfeld ergänzend zum Prozessmonitoring, Schlagwort: Digitaler Zwilling.
Dipl.-Ing. (DH) Roberto Henkel, Leiter Leitsegment Genauigkeitslager von Schaeffler in Höchstadt, erklärt abschließend: „Unser übergeordnetes Ziel ist es, den Wertstrom von der Maschine aus horizontal zu digitalisieren, d.h. sowohl den vorgelagerten Engineeringprozess zu beschleunigen und die Zeit bis zum ersten Span zu verringern, als auch weitere Maschinen, Anlagen und Fertigungszellen in die digitalen Kreisläufe mit einzubeziehen“. Dabei ergänzt er: „Wir wollen keine Insellösung schaffen, sondern mit Kunden, Instituten und Hochschulen in den Dialog treten, mit dem Ziel, skalierbare Lösungen zu entwickeln.“