Nachhaltiger Baustoffkreislauf So wollen Forscher Lücken im Beton-Recycling schließen

Für Bauschutt existieren bislang kaum nennenswerte Recyclingverfahren. Im Projekt „Recycontrol“ wird deshalb nach neuen Ansätzen gesucht.

Bild: iStock, shaunl
12.07.2021

Rohstoff- und Baumaterialknappheit treiben die deutsche Baubranche um. Trotzdem werden nur rund 25 Prozent des anfallenden Bauschutts recycelt. Mit Künstlicher Intelligenz und Computer Vision arbeiten Hannover Forscher daran, diesen Anteil deutlich zu steigern.

Die Herstellung von Baustoffen wie Zement und Beton ist maßgeblich an den weltweit emittierten Treibhausgasen beteiligt. Gleichzeitig gibt es so gut wie kein echtes Recycling in diesem Bereich: Bislang wird eher down- als upcycelt.

An dieser Stelle setzt das Verbundforschungsvorhaben „Recycontrol“ an, das an der Leibniz-Universität Hannover (LUH) angesiedelt ist. In ihm entwickeln Partner aus Industrie, Wissenschaft und Wirtschaft neue Methoden auf Basis von Künstlicher Intelligenz und Computer Vision. Damit soll eine hochwertige Nutzung von vorhandenem Bau-Abbruchmaterial möglich werden.

Warum bisherige Ansätze mangelhaft sind

Die Gründe für die Lücke im Baustoffkreislauf sind vielfältig. Eine Hauptursache ist jedoch die Zusammensetzung der Rezyklate: Sie unterliegt großen Schwankungen, was sich negativ auf die Robustheit und Qualität der daraus neu hergestellten Betone auswirkt.

Zwar lassen sich diese Schwankungen in den Materialeigenschaften durch eine deutliche Steigerung des Zementgehalts (teilweise bis zu 20 Prozent) kompensieren. Das ist jedoch weder wirtschaftlich noch ökologisch. Somit steht der Einsatz von Rezyklaten in direkter Konkurrenz zur geforderten Reduktion der Treibhausgasemissionen bei der Betonherstellung.

Ein anderer Ansatz, den Schwankungen zu begegnen, ist eine Abtrennung nachteiliger Bestandteile durch Siebung. Die Qualität der ausgesonderten Restmassen ist dann jedoch meistens so gering, dass diese selbst für ein Downcycling nicht mehr geeignet sind und deponiert werden müssen. Auch dieser Ansatz ist daher nicht zielführend.

Beton schon im Mischer optimieren

Um verstärkt Betonrezyklate einsetzen zu können, will die Forschergruppe in „Recycontrol“ Technologien entwickeln, mit denen sich der Einfluss von unterschiedlichen Zusammensetzungen dieser Stoffe auf das Endprodukt kontinuierlich erfassen und aussteuern lässt. Dabei sollen jedoch weder Wirtschaftlichkeit noch Umweltbilanz des Endprodukts negativ beeinträchtigt werden.

Für eine solche Betonproduktion im Sinne von Industrie 4.0 braucht es automatisierte, selbstlernende Prozessüberwachungs-, -steuerungs- und -regelungsmethoden. Sie sollen mittels berührungsfreier Messsysteme die schwankende Zusammensetzung der Betonausgangsstoffe erfassen und darauf aufbauend die Eigenschaften des Endprodukts durch Zugabe speziell abgestimmter Additive während des Mischprozesses aussteuern.

An der Entwicklung derartiger Techniken beteiligen sich die Unternehmen Master Builders Solutions (ehemals BASF Construction Solutions ), Heidelberger Beton, Pemat Mischtechnik, Bikotronic Steuerungstechnik, Alcemy sowie die Bundesanstalt für Wasserbau (BAW). Die Partner planen, zunächst das Strömungsverhalten des Betons während des Mischvorgangs mittels Computer-Vision-Methoden zu erfassen und hinsichtlich der vorliegenden Frischbetoneigenschaften auszuwerten. So soll es möglich sein, Daten über die genaue Betonzusammensetzung bereits unmittelbar im Mischer zu gewinnen und basierend darauf die Mischung gezielt durch Zugabe neuer Additive auszusteuern.

Industrieunternehmen unterstützen Vorhaben

Mittels kontinuierlicher Datenerfassung soll die Steuerungssoftware der Mischanlage dabei selbstlernend ausgelegt werden. Das bedeutet, dass die Anlage basierend auf gewonnenen Messdaten – innerhalb vorgegebener Grenzen – selbst lernt, wie die Mischung durch eine Veränderung der Zusammensetzung am effektivsten auszusteuern ist. Hierdurch lässt sich nach Auffassung der Projektverantwortlichen die Ressourceneffizienz bei der Herstellung von Beton signifikant steigern.

„Das Forschungsthema ist für Industrie, Zertifizierer und Planungsstellen von großer Bedeutung“, sagt Prof. Michael Haist vom LUH-Institut für Baustoffe, der das Vorhaben gemeinsam mit Prof. Christian Heipke vom Institut für Photogrammetrie und Geoinformation und Industriepartnern entwickelt hat. „Es ist ein deutliches Signal für den Stellenwert des Forschungsvorhabens, dass wir aus sämtlichen beteiligten Industriezweigen Forschungspartner gewinnen konnten und darüber hinaus namhafte Unterstützer, die das Projekt mit ihrer Expertise begleiten“, ergänzt Heipke.

Die Projektkoordination übernimmt Dries Beyer, die Arbeitsgruppe Betontechnologie leitet Tobias Schack, beide vom Institut für Baustoffe. Die unterstützenden Unternehmen (Hochtief, Insensiv und Moß Abbruch-Erdbau-Recycling) begrüßen das Forschungsvorhaben und sehen einen deutlichen Mehrgewinn für zukünftige Aufgaben in der Baubranche.

Der Projektname „Recycontrol“ setzt sich zusammen aus „Recycling“, „Cybernetic“, „Concrete“ und „Control“. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Vorhaben in den kommenden drei Jahren mit rund vier Millionen Euro.

Bildergalerie

  • Das Team von der Fakultät für Bauingenieurwesen und Geodäsie freut sich über den Erfolg (von links): Tobias Schack, Dries Beyer, Max Coenen, Prof. Christian Heipke, Anne Ponick, Prof. Michael Haist, Manfred Wiggenhagen und Amadeus Langer.

    Das Team von der Fakultät für Bauingenieurwesen und Geodäsie freut sich über den Erfolg (von links): Tobias Schack, Dries Beyer, Max Coenen, Prof. Christian Heipke, Anne Ponick, Prof. Michael Haist, Manfred Wiggenhagen und Amadeus Langer.

    Bild: Leibniz-Universität Hannover

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