Bei Stahlseilen für den Brückenbau gibt es keine Kompromisse: Sie müssen gewaltigen Kräften standhalten, und das viele Jahre lang. Schon vor dem Bau einer Brücke müssen die Stahlseile und ihre Verankerungen ausführlich getestet werden – dafür gibt es genaue Prüfvorschriften.
Diese Versuche sind normalerweise sehr aufwändig, sie benötigen viel Zeit und Energie. An der TU Wien wurde nun allerdings ein völlig neues Prüfverfahren für Brückenseile entwickelt: Man spannt das Seil in eine tonnenschwere Vorrichtung ein und bringt es bei seiner eigenen Resonanzfrequenz zum Schwingen.
So kann es bis zu 30-mal pro Sekunde wechselnd belastet werden – damit erhält man bereits im Lauf eines einzigen Tages zuverlässige Daten über das Dauerschwingverhalten. Die Anlage wird nun von der TU Wien und der TÜV Austria TVFA am Science Center der TU Wien betrieben.
Neue Idee für Brückenseil-Tests
Mit Brückenbau beschäftigt sich Prof. Johann Kollegger vom Institut für Tragkonstruktionen der TU Wien bereits seit vielen Jahren. Mehrere neue Brückendesigns wurden von ihm entwickelt, auch die Idee für die neuartige Testmethode für Brückenseile hatte er bereits vor einigen Jahren.
Kleinere Varianten der Prüfanlage wurden im Lauf der Jahre an der TU Wien gebaut, nun gelang es schließlich, eine solche Anlage in voller Größe zu errichten und damit Experimente an Seilen durchzuführen, wie man sie für den Bau großer Schrägkabelbrücken benötigt.
Die erste wirkliche Belastungsprobe hat die Prüfmaschine nun erfolgreich abgeschlossen: Ein Schrägkabelsystem mit 151 Litzen wurde erfolgreich geprüft, mit über zwei Millionen Lastwechseln und einer zyklischen Belastung zwischen 1.450 t und 1.900 t. Hauptverantwortlicher für diese Arbeit ist der Bauingenieur Dr. Wolfgang Träger.
„Wenn man bisher große Stahlseile prüfen wollte, hat man sie in servo-hydraulischen Prüfanlagen immer und immer wieder extremen Kräften ausgesetzt – etwa einmal alle ein bis zwei Sekunden, und das über ein bis zwei Monate hinweg“, erklärt Träger. „Nach rund zwei Millionen solcher Belastungen lässt sich dann sagen, ob das Seil eine ausreichende Ermüdungsfestigkeit aufweist.“
Die High-Tech Rüttelmaschine
An der TU Wien macht man das allerdings ganz anders: Zwischen zwei Seilen wird ein 20 t schwerer Stahlrahmen festgezurrt – auf der einen Seite das Seil, das man überprüfen möchte, auf der anderen Seite ein starkes Behelfsseil. In dieser sogenannten Kopplungseinheit sind zwei rotierende Massen eingebaut. Wenn man sie in Bewegung versetzt, kann der ganze Stahlrahmen zum Schwingen angeregt werden – ähnlich, wie eine ungleichmäßig beladene Waschmaschine im Schleudergang zu schwingen beginnt.
Im Gegensatz zur Waschmaschine, die recht unvorhersehbar in verschiedene Richtungen rüttelt, lässt sich die Schwingung in der Versuchsanlage aber präzise steuern: Gerüttelt wird exakt in Richtung der Seile, mit genau vorgegebener Frequenz und Amplitude.
„Wir stellen die Schwingung so ein, dass wir genau die Resonanzfrequenz des Seils erreichen“, sagt Wolfgang Träger. „Bis zu 30-mal pro Sekunde kann das Seil auf diese Weise belastet werden.“ Bei jedem einzelnen Belastungszyklus wird das Seil 5 mm gedehnt, dann wird es um 10 mm kürzer, bevor es wieder seine Ausgangslage erreicht.
Im Anschluss an den Dauerschwingversuch wird das Seil mit einer kaum vorstellbaren Kraft von 42 Meganewton belastet, um die Tragfähigkeit des Prüfkörpers zu bestimmen – das entspricht der Gewichtskraft von rund 50 Eisenbahnlokomotiven oder knapp 1.000 Elefanten.
Millionen Belastungszyklen
In einem gewöhnlichen Universitätslabor mitten im verbauten Gebiet kann man eine derart mächtige Anlage kaum aufbauen, daher nutzte man eine Halle im Science Center der TU Wien am Arsenal in Wien. „Während der Experimente ist es extrem laut in der Halle, man spürt die Vibrationen am ganzen Körper“, erklärt Träger. „Aber mit unserer Methode können quasi über Nacht Millionen Belastungen aufgebracht werden, um zuverlässige Aussagen über die Dauerschwingfestigkeit der Drahtseile treffen zu können.“
Damit wird nicht nur Zeit gespart, sondern auch Energie. Der Energieeinsatz kann im Vergleich zu bestehenden Anlagen um den Faktor 1.000 gesenkt werden und zusätzlich wird die Prüfdauer um den Faktor 30 bis 60 reduziert.
Ähnliche Anlagen gibt es derzeit nirgendwo sonst auf der Welt. Die TU Wien wird in Zukunft in Kooperation mit der TÜV Austria TVFA eine Palette an Materialprüfungen anbieten – wie zum Beispiel die Prüfung von Spanngliedern für Windkraftanlagen, Tübbingsegmenten für den Tunnelbau und Stützen für den Hochhausbau.