Verbindungen aus Lanthan und Wasserstoff Supraleiter bei höheren Temperaturen möglich

Der Blick ins Innere einer Diamantstempelzelle

Bild: Leonid Dubrovinsky
28.11.2022

Alle heute bekannten und in Forschung und Industrie angewendeten Supraleiter sind nur unterhalb von rund - 120 °C supraleitend. Weltweit werden daher Materialien gesucht, die diese Eigenschaft bei höheren Temperaturen haben. Aufgrund theoretischer Modellierungen sind Hydride immer stärker in den Fokus gerückt.

Supraleitende Materialien sind dadurch charakterisiert, dass sie unterhalb einer bestimmten Temperatur, der sogenannten Sprungtemperatur, ihren elektrischen Widerstand verlieren. Grundsätzlich wären sie ideal geeignet, um elektrische Energie über sehr weite Strecken vom Stromproduzenten zu den Konsumenten und Konsumentinnen zu transportieren.

Zahlreiche energiewirtschaftliche Herausforderungen wären auf einen Schlag gelöst: So könnte beispielsweise der an Küsten von Windrädern erzeugte Strom ohne Verluste ins Landesinnere geleitet werden. Dies wäre aber erst dann möglich, wenn Materialien verfügbar sind, die bei normaler Raum- und Umgebungstemperatur supraleitende Eigenschaften haben.

Die ersten positiven Testergebnisse bereits 2019

Im Jahr 2019 wurde bei Experimenten, die vom Max-Planck-Institut in Mainz koordiniert wurden, eine ungewöhnlich hohe Sprungtemperatur von - 23 °C gemessen. Die Messung fand bei einem Kompressionsdruck von 170 GPa statt, 1,7 Millionen Mal höher als der Druck der Erdatmosphäre.

Bei dem Material handelte es sich um ein Lanthanhydrid (LaH10+δ), eine Verbindung von Atomen des Metalls Lanthan mit Wasserstoffatomen. Der Bericht über diese Experimente und weitere ähnliche Berichte werden bis heute kontrovers diskutiert. Sie haben international ein großes Interesse an Lanthanhydriden mit unterschiedlichen Zusammensetzungen und Strukturen geweckt.

Daran knüpft die neue Studie an. Die Messdaten von 2019 ließen vermuten, dass sich unter sehr hohen Kompressionsdrücken noch andere supraleitende Lanthanhydride bilden. Diese Überlegungen haben sich jetzt bestätigt: Im Hochdrucklabor des Bayerischen Geoinstituts (BGI) wurden insgesamt sieben Lanthanhydride erzeugt: die zwei schon bekannten Verbindungen LaH10+δ und LaH3 sowie die bisher unbekannten Lanthanhydride LaH~4, LaH4+δ, La4H23, LaH6+δ und LaH9+δ.

Diese Verbindungen entstanden aus Proben, die Lanthan und Paraffin – eine wasserstoffreiche Mischung aus gesättigten Kohlenwasserstoffen – enthielten. Die Proben wurden in Diamantstempelzellen sehr hohen Drücken zwischen 96 und 176 GPa ausgesetzt und dabei auf über 2.200 °C erhitzt.

Lanthanhydride in vielen unterschiedlichen Anordnungen

In Kooperation mit dem Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg und dem Center for Advanced Radiation Sources in Chicago gelang es, die Strukturen der neuen Verbindungen aus Lanthan und Wasserstoff zu identifizieren. Dabei stellte sich heraus, dass Lanthanhydride mit der gleichen Anordnung von Lanthan-Atomen sich hinsichtlich ihres Wasserstoffgehalts erheblich unterscheiden. Anders gesagt: Das gleiche Gerüst aus Lanthan-Atomen kann mit unterschiedlich vielen Wasserstoff-Atomen verknüpft sein. Dabei können die Wasserstoff-Atome sehr verschieden angeordnet sein.

Die Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass es eine ähnliche strukturelle Vielfalt auch bei Hydriden geben kann, die statt des Lanthan andere Metalle aus der Gruppe der Seltenen Erden enthalten. Diese überraschende Erkenntnis widerlegt eine Hypothese, die bei der Erforschung supraleitender Materialien bisher eine zentrale Rolle gespielt hat: nämlich das Vorurteil, dass eine bestimmte Anzahl und Anordnung von Lanthan-Atomen nur eine einzige Konfiguration von Wasserstoff-Atomen zulässt.

Vor diesem Hintergrund erklärt die Koordinatorin der Studie, Prof. Dr. Dr. h.c. Natalia Dubrovinskaia vom Laboratorium für Kristallographie der Universität Bayreuth: „Bei der Suche nach Supraleitern mit höheren Sprungtemperaturen sind theoretische Modelle und hierauf basierende Berechnungen unentbehrlich. Wasserstoffhaltige Festkörper haben sich dabei als vielversprechende Materialien erwiesen. Die Supraleitfähigkeit dieser chemischen Verbindungen hängt, wie wir heute wissen, wesentlich von der Anzahl und der Anordnung der Wasserstoffatome ab. Umso wichtiger ist es, dass in die theoretischen Modelle keine falschen Annahmen einfließen, die zur Folge haben, dass wasserstoffhaltige Festkörper mit hoher Sprungtemperatur unentdeckt bleiben.“

Prof. Dr. Dr. h.c. Leonid Dubrovinsky vom BGI ergänzt: „Unsere Erkenntnisse zu den Lanthanhydriden führen uns nachdrücklich vor Augen, dass wir bei der Suche nach optimalen Supraleitern die Anzahl der möglichen wasserstoffhaltigen Verbindungen und die Vielfalt der möglichen Konfigurationen von Wasserstoff-Atomen nicht unterschätzen dürfen.“

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  • Das Bayerische Geoinstitut auf dem Campus der Universität Bayreuth

    Das Bayerische Geoinstitut auf dem Campus der Universität Bayreuth

    Bild: UBT

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