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Hans Beckhoff im Interview „Vertrauen reduziert Komplexität“

BECKHOFF Automation GmbH & Co. KG

„Der Durchsatz einer Maschine lässt sich über leistungsstarke PC-based Control nur durch die Zykluszeit­reduzierung um zwei bis fünf Prozent erhöhen“, sagt Hans Beckhoff, geschäftsführender Inhaber von Beckhoff.

Bild: Beckhoff
24.05.2017

Im Gespräch verrät Hans Beckhoff, Geschäftsführender Inhaber, warum er am Anfang nicht ernst genommen wurde, Intelligenz nicht in jeder Komponente etwas verloren hat und Digitalisierung ohne Menschlichkeit scheitert.

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A&D:

Ihre Passion als Diplom-Physiker war die Kernphysik. Wie kamen Sie zur Automatisierung?

Hans Beckhoff:

Physik habe ich mit faustischen Antrieb studiert, weil ich herausfinden wollte, was die Welt im Innersten zusammenhält. Die andere Seite meines Wesens war geprägt vom Aufwachsen in einem Elektrikerhaushalt. Am Ende meines Studiums hatte ich sowohl einen wissenschaftlichen Hintergrund mit der Kernphysik, als auch die praktische Ausbildung aus meinem Elternhaus. Physik und Elektroinstallation liegen nicht zu weit auseinander. Es ist immer spannend, wie viel Technologie man in die Automatisierung einbringen kann, und wie wissenschaftliche Ansätze oftmals zum Erfolg führen.

Sie haben schon sehr früh mit PC-basierten Steuerungen angefangen. Waren Sie damals überzeugt, dass sich diese Technik durchsetzen wird?

Angefangen habe ich in meinem Unternehmen 1980, damals mit Mikroprozessor-basierten Positioniersteuerungen für Maschinen. Dann kamen jede Menge Schnittstellen- und I/O-Karten hinzu, letztlich schlossen wir über eine langsame Schnittstelle auch noch einen PC mit Festplatte für die Datenspeicherung an. Das war der Moment der Erkenntnis: Dieses System hatte die falsche Herangehensweise, wir müssen den PC selbst nutzen für die Maschinensteuerung. Wir haben unsere komplette Software aus der Motion-Steuerung genommen und unter Microsoft DOS in den PC implementiert. Erstaunlicherweise ging das ganz gut; das war die Geburtsstunde der PC-basierten Steuerungstechnik. Uns wurde im Anschluss deutlich, dass unser bisheriges Geschäftsfeld abhandenkommen könnte, sozusagen ein disruptiver Wandel stattfand. Das war ein großer Schreck, denn da wir das erkannt haben, würden andere es auch erkennen. Wir haben lange überlegt, ob wir eine andere Lösung machen sollten. Letztendlich gingen wir aber den Weg, uns an die Spitze der Bewegung PC-basierter Steuerung zu setzen – ein richtiger Entschluss.

Neben PCs setzten Sie in den 80er Jahren schon auf Lichtwellenleiter. Waren Sie damals zu visionär und technikgetrieben?

Hätten wir genau das Gleiche gemacht wie große Automatisierer und einfach „Beckhoff“ auf die Lösungen geschrieben, hätte niemand einen Anlass gehabt, von uns zu kaufen – da nimmt man lieber das Original. Weil wir uns von Anfang an technologisch sehr stark differenziert haben, stießen wir 80 Prozent aus diesem großen Markt so vor den Kopf, dass sie uns nicht ernst genommen haben. Aber aus den verbliebenen 20 Prozent haben wir viele gute Kunden gewonnen. Wir haben die revolutionären Technologien zusammen mit klein- und mittelständischen Unternehmen entwickelt, getestet und erfolgreich ausgeliefert.

Und wie sieht es mit Ihren aktuellen Geschäftsmodellen aus, haben sich diese durch Industrie 4.0 verändert?

Jeder einzelne Bereich in der Industrie muss gerade sehr aufpassen, ob er davon betroffen ist, ob andere Geschäftsmodelle für ihn enthalten sind, ob Neuausrichtungen im Unternehmen notwendig sind. Wir haben ja Industrie 4.0 und Digitalisierung schon viele Jahre praktiziert, ohne es zu „wissen“. Als PC-basierter Automatisierungshersteller sind wir da natürlich in einer Pole Position, denn die Vorteile unserer Lösungen dringen jetzt immer mehr in das Bewusstsein der Industrie ein. Dadurch, dass Kommunikationsbandbreite in die Cloud hinein zunimmt, ergeben sich natürlich neue Geschäfts-, aber auch funktionale Möglichkeiten. Die beobachten wir sorgfältig und versuchen, unsere Kunden in die Lage zu versetzen, recht frühzeitig von dieser Technologie Gebrauch machen zu können.

Beckhoff ist sehr technologiegetrieben, doch Software wird speziell durch die Digitalisierung immer wichtiger. Verlagert sich auch Ihr Fokus entsprechend?

Wir sind schon lange auch eine Software-Firma. Software steckt auf allen Ebenen in den Produkten drin. Andererseits gibt es auch in der Hardware immer noch großes Innovationspotenzial. So haben wir uns an den Produktlinien orientiert, das heißt, wir wollen für unsere Kunden die führenden Spezialisten für IPCs, I/O, Antriebstechnik und eben auch Software sein. Wenn wir Technologie sauber beherrschen, gute Qualität liefern und zudem noch Innovation sowie Preiswürdigkeit gewährleisten, sind wir immer auf dem richtigen Weg. Hardware und Software sind Basistechnologien – beide werden bei uns intensiv weiterentwickelt. Als Technologie-Unternehmen haben wir die Verpflichtung, aus uns heraus Ideen zu entwickeln, die unsere Kunden sozusagen positiv überraschen – und das gelingt regelmäßig.

Ein großes Thema für Maschinenbauer ist auch Modularität und Flexibilität in der Anlagenauslegung. Welche Lösungen und Ratschläge haben Sie hier parat?

Sehr viele! Das geht schon los mit unserem Standard EtherCAT P, also EtherCAT mit integrierter Power auf 24-, 400- und 600-Volt-Basis. Maschinenmodule werden mit einem einzigen Stecker angeschlossen, der Kommunikation, Leistungsversorgung und Safety-Funktionalität integriert. Wir liefern natürlich auch viele kleine Steuerungen, die wenige hundert Euro kosten und ein Microsoft-Betriebssystem sowie Ethernet an Board haben. Die sind wunderbar dafür geeignet, von einer zur nächsten Zelle zu kommunizieren. Wir analysieren bei unseren Kunden aber auch, was für seinen Maschinentyp besser ist, zentral oder dezentral. Es gibt organisatorische, fertigungstechnische und wirtschaftliche Gründe, warum man Maschinenteile mit einer Eigenintelligenz versehen will. Aber es gibt eben auch funktionale Aspekte. Wenn man eine Maschine hat, die beispielsweise viele Bewegungsabläufe in einem Zusammenhang kontrollieren muss, dann empfehlen wir dort immer komplett zentrale Ansätze. Die Aktorik, Sensorik und Antriebe sollten so „dumm“ wie möglich sein, die Intelligenz muss in der zentralen Verarbeitung liegen. Nur dann bleiben für den Maschinenbauer diese Elemente austauschbar und er wird nicht von deren Spezialfunktionen abhängig.

Zentrale Intelligenz benötigt natürlich Rechenleistung. Aber sind beispielsweise Ihre neuen Hutschienen-PCs mit 12-Kern-Xeon-Prozessoren nicht überdimensioniert?

Many-Core-Architekturen und Automatisierungstechnik passen sehr gut zusammen! Die Maschine wird um vieles leistungsfähiger, weil sie von Natur aus parallel arbeitet. Leistungsfähiger heißt, wir können die Maschine mit kürzeren Zykluszeiten laufen lassen. Wir befinden uns bei einer Steuerung derzeit im Übergang von zwei oder fünf Millisekunden auf 100 bis 200 Mikrosekunden Zykluszeit. Für diese Verkürzung benötigen wir Rechenleistung. Überall da, wo geregelt wird, läuft die Maschine dann sauberer und erzeugt weniger Überschwinger. Der Durchsatz erhöht sich durch die Zykluszeitreduzierung um zwei bis fünf Prozent, das sind enorme Vorteile. Oder denken sie an fortgeschrittene Algorithmen, integrierte Bildverarbeitung und Messtechnik, es gibt viele Anwendungsmöglichkeiten, in denen die hohe Prozessorleistung von Vorteil ist.

Sehen Sie andererseits auch den Rasp­berry pi als Alternative für günstige PC-Control-Lösungen?

Wenn sie einen Raspberry pi in ein robustes Gehäuse packen, mit einem ordentlichen Netzteil und Industrie-Schnittstellen versehen sowie EMV-Festigkeit gewährleisten, ist er genauso teuer wie unsere ARM-basierten Standardprodukte. Allerdings finden wir die Software-Umgebung des Raspberry pi spannend. Ob wir eine Raspberry-pi-Variante auf den Markt bringen, um dieses Ökosystem mit unseren Produkten verbinden zu können, diskutieren wir schon länger. Die Entscheidung hängt vom konkreten Kundennutzen ab.

Ihr Unternehmen setzt auch bei der Messtechnik verstärkt auf Integration in PC-Control-Lösungen. Sehen Sie hier den Vorteil der einfachen Kommunikation?

Unbedingt! Die Steuerung kennt den Zeitablauf der Maschine und kann korrelierte messtechnische Daten aufzeichnen. Bei einer externen Messtechnik muss man über Synchronisationssignale zunächst eine Korrelation herstellen. Durch EtherCAT haben wir auch einen Kommunikationsbus, der sich ideal für Messtechnik eignet und analoge Eingangsdaten in Echtzeit in den Speicher des PCs schafft. Und wir haben unsere TwinCAT-Software um messtechnische Eigenschaften ergänzt, die ermöglichen, die Maschine selbst oder das Werkstück zu vermessen. Beides läuft integriert in der Steuerung besser als bei getrennter Messtechnik.

Mehrwert aus all den gemessenen Daten der Maschinen zu ziehen, stellt viele Maschinenbauer und Industriebetriebe vor Probleme. Zwar haben Sie Tools wie TwinCAT Analytics, doch wie beratungsintensiv ist das Geschäft rund um die Digitalisierung?

Gerade weil wir glauben, dass Automatisierung und Digitalisierung wirklich komplexe Thematiken sind, setzen wir sehr auf Beratung. Deswegen haben wir unser Vertriebsnetz in Deutschland auf Büros alle 150 km ausgebaut. Schlussendlich ist es eine menschliche Angelegenheit, weil sich die Automatisierungsingenieure des Kunden und unsere gut verstehen müssen. Sie müssen gemeinsam Aufgaben und Probleme angehen können, heißt miteinander durch Dick und Dünn gehen. Ein integraler Bestandteil unseres Angebots an den Kunden ist deshalb, dass wir nicht nur die Software und Hardware liefern, sondern auch die dazugehörige intensive Unterstützung.

Geht es um die Analyse von Daten, ist schnell die Cloud im Spiel. Welche Lösung favorisieren Sie hier?

Die großen Infrastruktur-Anbieter Microsoft und Amazon, und in speziellen Bereichen SAP und IBM, sind im Vergleich zu den Automatisierungsherstellern ganz klar führend, was die Technologie, Services und weltweit verfügbare Rechenzentren betrifft. Deshalb gibt es auch zunehmend Anwendungen von Dritten, die in diesen Ökosystemen laufen. Wir haben frühzeitig und als einer der ersten Automatisierer unsere Steuerungen fit für den Datenaustausch mit den großen Providern gemacht, um deren Deep Learning Services und Cloud-Speicher einbinden zu können. Unsere Kunden können somit „per Mausklick“ die besten Cloud-Lösungen auf dem Markt nutzen.

Gehen wir von der Cloud nochmal zu Ihren Anfängen zurück. Ehemals waren es 30, jetzt schon über 3000 Mitarbeiter, die Sie beschäftigen. Hat sich von damals zu heute Ihr Führungsstil geändert?

Ich habe es durchaus als harmonische, fortschreitende Entwicklung aufgefasst; nichts wirklich Disruptives. Wir sind immer noch ein Technologie-getriebenes Unternehmen. In dieser Technologiefindung schätze ich Mitarbeiter, die sehr originell sind, die nicht nur den Stand der Technik beherrschen, sondern eigenständig Ideen erzeugen. Alle dürfen hier frei „herumspinnen“, jede Idee wird demokratisch diskutiert, niemand blamiert sich. Danach gibt es jedoch eine diktatorische Entscheidung, ob wir dem nachgehen oder nicht. So gesehen hat sich nicht viel verändert. Es gilt immer noch das Prinzip „Vertrauen reduziert Komplexität“. Wenn man Leuten vertraut, kann man sehr viel einfacher mit ihnen arbeiten, man kann international viel schneller expandieren. Meine Erfahrung zeigt, dass dieses Vertrauen in den allermeisten Fällen nicht enttäuscht wird. Sie müssen jedoch dazu bereit sein, Risiken einzugehen und auch mal einen Rückschlag zu erleiden.

Wird Beckhoff durch das „Herumspinnen“ der Mitarbeiter bald wieder mit einer technischen Revolution überraschen?

Ja, klar! Welche sage ich aber noch nicht.

Was unterscheidet Beckhoff von anderen Komplett-Automatisierern?

Bei all der Technologie sind und bleiben wir ein sehr menschliches Unternehmen. Das empfinden auch unsere Kunden so, wenn sie auf unsere Mitarbeiter treffen. Außerdem gelten wir als ein sehr zuverlässiges Unternehmen, gerade weil wir so viel Wert auf menschliches Vertrauen legen und wir eine langjährige Lieferfähigkeit nachgewiesen haben. Ein entscheidender Punkt ist auch unser Technologietrieb, also Automatisierungstechnik zu verbessern und dem Kunden neue und auch revolutionäre Prinzipien zum Automatisieren von Maschinen anzubieten. Ich glaube dafür stehen wir, das unterscheidet uns von den anderen Mittelständlern und den Großen, denn diese sind manchmal ein bisschen langsamer unterwegs.

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