Herr Klein, welche Rolle spielen Standards in der aktuellen Entwicklung der industriellen Automatisierung?
Um sich die Bedeutung einheitlicher Standards klarzumachen, muss man sich deren Entstehung ansehen. Einheitliche Maße für die Angabe von Längen, Flächen, Volumen, Geschwindigkeiten und vielen anderen Dingen gibt es schon seit Menschen gedenken. Kern des Gedankens ist immer ein einheitlicher Standard - eine festgeschriebene Vereinbarung, eine Spielregel, eine Definition. Wo immer in der Geschichte Handel betrieben wurde oder technische Entwicklungen zustande kamen, einigten sich die Menschen auf einheitliche Regeln, Einheiten, Eigenschaften und Vorgehensweisen. Diese Entwicklung mündet heute in einer globalisierten Welt, die ohne einheitliche Standards nicht mehr funktionieren würde. Das gilt auch für die Übertragung von elektrischer Power, Signalen und Daten. Als Hersteller von Verbindungstechnik, sind wir schon lange in der internationalen Standardisierung aktiv und setzen innerhalb und außerhalb bekannter Normungsgremien neue Standards und Maßstäbe für die industrielle Verbindungstechnik. Bekanntester Vertreter ist sicherlich der Han Steckverbinder. Er war Grundlage für das Unternehmen Harting, um in der industriellen Automatisierung entsprechend Fuß zu fassen. Maschinen konnten flexibel angeschlossen und auch wieder getrennt werden, die Zeiten fester Hartverdrahtung waren Geschichte. Ein erfolgreiches Konzept, dass über die Jahrzehnte vielfach kopiert worden ist und weltweit zum Einsatz kommt. Er stellt eine „Quasi-Norm“ dar, ist aber nicht dediziert durch ein internationales Gremium definiert.
Welche aktuellen Entwicklungen in der Standardisierung sollten Anwender besonders im Blick haben?
Gegenwärtig spielt das Thema IIoT sicherlich eine besonders entscheidende Rolle. In diesem Zusammenhang ist die steigende Bedeutung von Ethernet als Übertragungsmedium für Daten von Cloudanwendungen bis hinunter in die Feldebene der Produktion zu nennen. Beim Thema Ethernet waren wir schon immer ein early mover und haben innerhalb wie außerhalb von Normungsgremien Standards gesetzt. Mit dem RJ Industrial haben wir den RJ45 für die Anwendung in rauen Industrieanwendungen ermächtigt, mit preLink eine modulare Anschlusstechnik für zahlreiche Anwendungen geschaffen. Die Infrastruktur für das IIoT wird aktuell durch die Thematik Single Pair Ethernet (SPE) befeuert. Mit SPE erhält die Industrie die passende Infrastruktur, um auch die letzten Meter bis in die Feldebene digitalisieren zu können. Hier haben wir das riesige Potenzial früh erkannt und sind aktiv in die internationale Normung gegangen. Mit der T1 Industrial Schnittstelle nach IEC 63171-6 haben wir den internationalen Standard für SPE Schnittstellen in Industrieanwendungen gesetzt. Mit der IEC 63171-7 folgt bald die zweite wichtige Norm für SPE, die die gleichzeitige Übertragung von Daten und Power in einem hybriden Steckgesicht definiert.
Wieso sind Standards für das IIoT so wichtig?
Standards sind für das IIoT genauso essenziell, wie für alle anderen Bereiche des Lebens auch. Ein Bauingenieur muss wissen wie viel ein Ziegel trägt, wieviel Gewicht Verbundholz aufnehmen kann, ebenso wie der Betreiber von Produktionsstraßen nachvollziehen kann, nach welcher Struktur und mit welcher Schnittstelle seine Datenverkabelung angelegt wird. In Zeiten der Globalisierung kommt internationalen Standards eine besondere Bedeutung zu. Stand das Li in grauer Vorzeit in China für die Länge von 180 chang, was wiederum 644,4 Metern entspricht, so wurde in Europa mit der Elle gemessen. Diese konnte von Stadt zu Stadt jedoch schon variieren. Also mussten Einheiten und Vereinbarungen her, die in jedem Land der Erde Geltung haben. Das ist bei Datennetzwerken, die den gesamten Globus umspannen, nicht anders. Für das IIoT kommen also nur international gültige Normen in Betracht, wie sie ISO/IEC beschreiben.
Welche besondere Rolle spielen Standards in der Welt der Industrie?
Die hoch vernetzten Applikationen in der weltweiten Automatisierungs-Industrie sind nochmals gesondert zu betrachten. Hier spielen Eigenschaften wie Austauschbarkeit und der Rückgriff auf second Souces eine Rolle, wie auch die bestmögliche Flexibilität in der Nutzung von Sensoren und Steuerungen. Hätte hier jeder Hersteller sein eigenes Anschlusskonzept, gäbe es ein unüberschaubares Chaos. Einheitliche und standardisierte Infrastruktur aus Kabeln und Steckverbindern sorgen hier für ein Grundgerüst. Auf Basis dieser zur Wahl stehenden Standards rüsten Hersteller ihre Sensoren und Geräte aus und Kunden können dann passend kombinieren und wissen – das funktioniert. Nur mit standardisierten Schnittstellen können alle zukünftigen IIoT Teilnehmer miteinander kommunizieren. Diesem Anspruch folgen auch Institutionen wie die Industrial Ethernet Nutzerorganisation, OPC UA oder SPE Industrial Partner Network.
Welcher geschaffene Standard war besonders nennenswert und auf welchen Standard sind Sie besonders stolz?
Da das Thema IIoT aktuell immer wichtiger wird und SPE der lange erwartete Infrastruktur-Baustein ist, um die Ziele von IIoT wirklich in die Tat umsetzen zu können, trifft das wohl auf die genannte IEC 63171-6 für den T1 Industrial style SPE Steckverbinder zu. Die Entwicklungen rund um SPE begleiten uns jetzt schon einige Jahre und wir sind stolz auf unsere Pionierleistung, die wir mit der Norm für die Automatisierung geschaffen haben. Der Weg von den Anfängen in der Automobilbranche bis hin zu einer internationalen Norm und einem rasant wachsenden Produktportfolio entsprechen unserer Idealvorstellung für die Entstehung erfolgreicher Standards.