Automation und Vernetzung sind der Schlüssel für eine hohe Produktivität. Und am Anfang jeder Automation stehen eine präzise Sensorik als auch die von ihr erfassten Prozessdaten für die Analytik. Das bedeutet in der Folge: effizientere Prozesse, höhere Anlagenverfügbarkeit und Flexibilität für Anlagen sowie Ressourcen. Denn gerade in der chemischen Industrie zählt vor allem Wettbewerbsfähigkeit über den gesamten Anlagenlebenszyklus.
Die chemische Industrie plant gemäß dem Verband der Chemischen Industrie (VCI) für das Vorantreiben der Digitalisierung sowie neue nachhaltige Geschäftsmodelle in den nächsten Jahren Investitionen von über einer Milliarde Euro. Eine Vernetzung von Produktentwicklung, Produktion, Logistik und Kunden könnte laut einer Studie des Fraunhofer IAO und Bitcom in der chemischen Industrie bis 2025 zu einem Anstieg der Wertschöpfung von rund 30 Prozent führen.
Das bedeutet: Wettbewerbsvorteile sichern sich diejenigen Unternehmen, die es schaffen, ihre Daten auf der gesamten Wertschöpfungskette zu nutzen.
Daten von smarten Sensoren
Herkömmliche Konzepte stoßen bei diesen Herausforderungen schnell an ihre Grenzen. Das heißt, um diese Ziele zu erreichen, muss eine neue Generation von intelligenten Sensoren zur Verfügung stehen, die viele Funktionen der fortgeschrittenen Signalverarbeitung übernehmen und Daten aufwandsarm und mit hoher Qualität liefern.
„In der Industrie 4.0 reicht es nicht mehr aus, Prozessparameter präzise zu messen“, unterstreicht Peter Dietrich, Leiter Marketing Automatisierung und Digitalisierung bei Endress+Hauser. „Die Sensoren müssen intelligent werden. Ohne smarte Sensoren gibt es keine Smart Factory.“
Doch wann ist ein Sensor tatsächlich smart beziehungsweise intelligent? Als smart gilt das Bauteil genau dann, wenn es ohne zusätzliche Komponenten die Funktionen Signalerfassung, -verarbeitung, -aufbereitung als auch die Fähigkeit des Selbsttests, der Selbstdiagnose und der Rekonfiguration erfüllt. Meist versteht man darunter die Existenz eines Mikrocontrollers. Der grundsätzlich notwendig ist, aber nicht zwingend für die Qualifizierung von „Intelligenz“ ausreicht.
Das bedeutet, ein smarter Sensor muss immer über die Funktionen Selbsttest, Selbstdiagnose et cetera verfügen. Zudem sollte er Daten selektieren und die nur tatsächlich notwendigen Informationen an das System weiterleiten.
„Smarte Sensoren werden, wie die Roadmap ,Prozesssensoren 4.0‘ der Namur richtigerweise postuliert, mit neuen Funktionalitäten über standardisierte und sichere Schnittstellen sowie Datenformate den Anlagenbetrieb an vielen Stellen vereinfachen und sicherer gestalten“, sagt Christian Rützel, Abteilungsleiter Durchflussmesstechnik bei Endress+Hauser. Wobei die Namur als internationaler Verband von Anwendern der Automatisierungstechnik in der Prozessindustrie dafür eintritt, das Konzept der Open Architecture (NOA) voranzutreiben, um Produktionsdaten einfach und sicher für Anlagen- und Geräteüberwachung (Monitoring) und Optimierungen nutzbar zu machen.
Einsatzfelder und Nutzen
Smarte Sensoren lassen sich in der gesamten betrieblichen Wertschöpfungskette einsetzen. Das heißt, von der Registrierung des Materials bei der Anlieferung bis hin zum Versand. Zudem können gefährliche Bereiche in der Fertigung abgesichert oder zugangsbeschränkte Zonen überwacht und etwaige Kollisionen vermieden werden.
In der Fertigung der chemischen Industrie müssen unter anderem folgende Daten in ausreichend hoher räumlicher Auflösung erfasst werden: Art und Dicke von Fouling-Belägen, Verschleißfortschritt, Geometrieveränderungen, Mikrorisse, lokal wirkende Lasten und Spannungen, Beschleunigungen, Frequenzen und Amplituden von Vibrationen und Temperatur-Wechselbelastungen. Bei Pumpen, Ventilen und Durchflussmessern stehen vor allem der Verschleiß sowie mechanische und thermomechanische Belastungen im Vordergrund.
Viele der heute eingesetzten Sensoren sind bereits smart. Das heißt, in den letzten Jahren wurden in den Produktionsanlagen schon Sensoren verbaut, die viele zusätzliche Informationen in sich tragen. „Wenn es jedoch um die richtige und vollständige Nutzung der Informationen geht, so stehen wir jedoch erst am Anfang“, sagt Tim Lessau, Leiter der Gruppe Instrumentation Technology bei BASF, Technical Expertise, Global Engineering Services. „Für einen starken Anschub dieser Entwicklung sorgte das Konzept Namur Open Architecture, der durch das wachsende Interesse der Anlagenbetreiber verstärkt wird.“
Retrofitting bestehender Anlagen
Derzeit sind in den Unternehmen noch viele maschinelle Anlagen im Einsatz, deren Anschaffung kostenintensiv war und daher noch mehrere Jahre im Einsatz verbleiben müssen. Diese Maschinen sollten für eine Industrie 4.0 weiterentwickelt und mit smarten Sensoren nachgerüstet werden. Zumal das Nachrüsten die einzig preiswerte Option bedeutet, um das Gesamtsystem zu vernetzen.
Denn eine komplett neue Anlage würde meist eine Investition von mehreren Millionen erfordern, wogegen die Nachrüstung von smarten Sensoren und deren Vernetzung im überschaubaren Kostenrahmen bleibt. Mittlerweile lässt sich nahezu jede Wertschöpfungskette per Retrofitting optimieren.
„Wenn also weitere Informationen zur Optimierung der Prozesse gebraucht werden, gibt es auch die Möglichkeit, zusätzliche Sensoren nicht-invasiv zu installieren, deren Entwicklung ebenfalls von der Namur unterstützt und begleitet wird“, ergänzt Lessau.
Wo schlummern die größten Potenziale?
Laut Peter Dietrich von Endress+Hauser werden derzeit etwa 97 Prozent der Sensordaten aus zwei wesentlichen Gründen nicht genutzt: Einerseits fehlt die notwendige Konnektivität, um diese Daten zu übertragen. Bei einem 4- bis 20-mA-Signal kann nun mal nur ein Wert übertragen werden. Nach wie vor sind rund 80 Prozent aller Anlagen analog verdrahtet.
Andererseits ist bis dato ein sehr hoher Engineering-Aufwand erforderlich, damit Feldgerätedaten richtig interpretiert werden können. „Welchen Sinn hat die Diagnose-Meldung ‚Erregerstrom von 7,2 auf 7,4 mA angestiegen‘ bei einem Coriolis-Durchflussmessgerät für den Anwender? Wahrscheinlich keinen“, sagt Dietrich. „Ziel muss es also sein, relevante Daten auszulesen und sinnvoll aufzubereiten, sodass für den Anwender aus reinen Daten nutzbringende Informationen werden.“
Die Hersteller denken aktuell über eine Reihe von Geschäftsmodellen nach. Häufig sollen die firmeneigenen Feldgeräte überwacht und so einen Beitrag zur Predictive Maintenance geleistet werden. „Dabei verfolgen die Unternehmen das Ziel einer präziseren Prädiktion des Verhaltens und der Interpretation von Gerätezuständen“, erklärt Lessau. „Ob allein gerätebezogene Daten ohne Kenntnis der Prozesse ausreichen und für Vorhersagen genügen, wird sich zeigen.“
Verwertung der gewonnenen Daten
Auf diese Weise könnten Unternehmen neue beziehungsweise optimierte Wartungszyklen ausarbeiten und anhand von Zusatzinformationen entscheiden, welche Geräte in einen bestimmten Wartungszyklus mit einfließen und welche zu einem späteren Zeitpunkt gewartet werden sollten. Dazu gehört natürlich auch die Entscheidung, welche Maschinen oder Geräte gegebenenfalls vorgezogen werden müssten, weil sie einen weiteren Wartungszyklus laut Diagnose nicht schaffen.
Diese Aufgaben können als Komplettbetreuung von einem Dienstleister oder einem Betreiber übernommen werden. Hierbei spielen Aspekte wie zum Beispiel die Kritikalität des Prozesses, die Gerätekompetenz des Betreibers und Verfügbarkeitsanforderungen der Prozessanlage eine Rolle.
„Ein optimales Ergebnis aus den Gerätedaten zu gewinnen, wird nur mit guter Gerätekenntnis und dem Wissen über die spezielle Applikation im Prozess gelingen“, betont Lessau. „So ist die Frage auch zukünftig immer wieder im Einzelfall zu klären, ob der Betreiber, Lieferant oder externe Dienstleister in der Lage ist, die Daten zu einer schlüssigen Gesamtsicht zu kombinieren.“
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