Dass bestimmte Merkmale, wie eine enge Bebauung, Flughäfen oder Naturschutzgebiete, einen Einfluss auf die Nutzbarkeit von Flächen für die Windenergie haben, ist hinlänglich bekannt. Doch wie groß sind die Auswirkungen auf die Genehmigung neuer Windparks wirklich? Um diese Frage ging es den Forschenden der Bremerhavener Hochschule. „Wir haben zunächst mittels Literaturrecherche relevante, einflussnehmende Merkmale bei der Flächenausweisung für die Windenergie ermittelt. Diese haben wir dann von Experten und Expertinnen gewichten und hinsichtlich ihrer Relevanz bewerten lassen.
Unsere zentrale Frage: Welchen Einfluss hat das Merkmal XY auf die Eignung einer Fläche für Windenergie auf einer Skala von eins bis fünf von positivem bis hin zum negativen Einfluss? Die Gewichtung erfolgte unter der Voraussetzung, dass alle gesetzlichen Vorgaben, beispielsweise Abstandsregelungen, eingehalten werden und ausreichendes Windpotenzial vorhanden ist“, sagt Prof. Dr.-Ing. Carsten Fichter, Projektverantwortlicher an der Hochschule Bremerhaven.
Siedlungsstrukturen, Arten- sowie Natur-und Landschaftsschutz im Fokus
Um verschiedene Sichtweisen einbeziehen zu können, haben die Forschenden bei ihrer Befragung mehr als sechzig Akteure und Akteurinnen aus verschiedenen Bereichen der Windenergiebranche zu Wort kommen lassen. Dazu zählen Projektierer und Projektierinnen, planende Kommunen, juristische Kanzleien, Versicherungen, Experten und Expertinnen aus der Forschung und Entwicklung, Naturschutzverbände, beteiligte Unternehmen der Windbranche, Genehmigungsbehörden, Beteiligte eines Bürgerwindparks, Gutachter:innen sowie Windenergieagenturen und –verbände.
Die Ergebnisse der nichtrepräsentativen Umfrage zeigen, dass auch diese die örtlichen Siedlungsstrukturen, den Arten- sowie Natur-und Landschaftsschutz als besonders relevante Kriterien für den Erfolg von Genehmigungsverfahren einschätzen. „Die hohen Bedeutungen dieser Merkmalskategorien lässt sich durch die verhältnismäßig hohe Anzahl an Klagen aus der Bevölkerung erklären. Selbst wenn Klagen ungerechtfertigt sind, können diese den Genehmigungsprozess verzögern, weil sich gerichtliche Prüfungen und gegebenenfalls der Einbezug von Gutachten und Expertisen sowie Berufungsmöglichkeiten zu einem zeitaufwändigen Verfahren entwickeln können“, erklärt Dr. Sandra Peters-Erjawetz, Mitarbeiterin im Projekt.
Nicht so eindeutig ist die Einschätzung bei den Auswirkungen der Luftfahrt. Hier komme es den Experten und Expertinnen zufolge auf den Einzelfall an. Grundsätzlich gebe es eindeutige planungsrechtliche Vorgaben und Abstandsregelungen, die sicherstellen, dass Windenergieanlagen keine negativen Auswirkungen auf den Luftverkehr haben. Außerdem gebe es eine gute Zusammenarbeit zwischen den Betreibern von Windenergieanlagen und Flughäfen und Luftfahrtbehörden. Dadurch würden Konflikte frühzeitig erkannt und gemeinsam gelöst. Anders sehe es in Bezug auf den Luftverkehr im militärischen Bereich aus. „Eine hohe Relevanz wird damit begründet, dass Angelegenheiten des Luftverkehrs, insbesondere im militärischen Bereich, oftmals mit Geheimhaltungen einhergehen, die für Windenergieanlagenbetreibern zu unliebsamen Überraschungen führen können und unvorhergesehen sogar zu Genehmigungsstopps führen können“, sagt Prof. Fichter.
Wirtschaftlichkeit als wichtigstes übergeordnetes Ziel
Das mit Abstand am häufigsten genannte übergeordnete Ziel ist die Wirtschaftlichkeit - über den gesamten Betrachtungsweg von der Flächenausweisung und Anlagenplanung bis hin zur Umsetzung und dem Betrieb betrachtet. „Aus Sicht der Planer und Planerinnen und Projektierer und Projektierinnen sollten möglichst große Windparkprojekte entstehen, die einen laufenden Cashflow und die Erzielung hoher Renditen gewährleisten“, fasst Dr. Sandra Peters-Erjawetz die Ergebnisse zusammen.
„Hierbei werden Parameter wie die Vermeidung von finanziellen Risiken, eine Stabilität der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bei dem Erwerb neuer Flächen sowie insbesondere die Vermeidung von Anlagenstillständen als besonders bedeutsam erachtet. Viele Unternehmen richten ihren Blick aber auch vorsichtshalber auf die langfristige, nachhaltige Möglichkeit zur Betriebssicherheit der Windenergieanlagen auf betreffenden Potenzialflächen. Es werden nicht nur die derzeitige Rechtslage, sondern auch mögliches Risikopotenzial bezüglich einer gesetzlichen Verschärfung, insbesondere im Bereich des Natur- und Artenschutzes, bereits für die Zukunft abgeschätzt.“
Ergebnisse füttern Künstliche Intelligenz
Damit im Laufe des Projektzeitraums Künstliche Intelligenz lernt, bundesweit Flächen hinsichtlich ihres Potenzials für den Bau von Windenergieanlagen zu bewerten und so die Erfolgsaussichten neuer Windenergieprojekte vorherzusagen, dienen die Einschätzungen der Experten und Expertinnen als Datengrundlage. Dies ist allerdings nicht bei allen Merkmalen gleichermaßen gut umsetzbar. „Merkmale, bei denen eine Datengrundlage in Form von Zahlen oder Geodaten vorliegt, können prinzipiell für eine KI-Anwendung geeignet sein. Diese lassen sich beispielsweise in die Kategorien ‚Ja, trifft zu‘ oder ‚Nein, trifft nicht zu‘ unterteilen. Dies gilt unter anderem für Naturschutzgebiete. Die KI kann erkennen, ob ein Naturschutzgebiet vorliegt oder nicht“, sagt Prof. Fichter.
Bei „qualitativen“ Daten sei eine Aufnahme in die KI höchstwahrscheinlich nicht möglich. Diese könnten jedoch als Handlungsempfehlungen in das Projekt einfließen. „Merkmale aus den Kategorien Siedlungsstruktur, Luftverkehr, Infrastruktur, Natur- und Landschaftsschutz, Artenschutz, Wald, Wasserschutz, Immissionsschutz sowie technische Aspekte können im KI-Modell berücksichtigt werden, da diese hauptsächlich zu den quantitativen und kategorischen Datentypen gehören. Es wurden jedoch auch viele Merkmale ermittelt, insbesondere solche, die der Merkmalskategorie ‚soziologische Faktoren‘ zugeordnet sind, welche nicht als quantitative Datentypen kategorisiert werden konnten“, ergänzt Dr. Sandra Peters-Erjawetz.
WindGISKI ist ein Verbundprojekt der fk-wind: (Institut für Windenergie der Hochschule Bremerhaven), des Instituts für Statik und Dynamik der Leibniz Universität Hannover, des Instituts für Integrierte Produktion Hannover (IPH), des Instituts für Sozialwissenschaften (UOL) der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Nefino, des LEE Landesverbands Erneuerbare Energien Niedersachsen | Bremen, der ARSU-Arbeitsgruppe für regionale Struktur-und Umweltforschung sowie des Instituts für Informationsverarbeitung der Leibniz Universität Hannover. Projektträgerin ist die Zukunft – Umwelt – Gesellschaft (ZUG). Finanziert wird das Projekt vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU).