Die Sprach-Software GPT-3 scheint eine Revolution in Sachen Künstliche Intelligenz zu sein. Das zumindest lässt der aktuelle Hype um die neue Anwendung vermuten. Doch in Wahrheit stehen hinter der Software relativ einfache Algorithmen – sehr viele, die auch sehr schnell ausgeführt werden können, aber eben auch einfache. Auch der Algorithmus von Google ist kein Hexenwerk. „Am Ende bestehen all die Programme, die uns heute noch mehr oder weniger wundersam vorkommen, aus jeder Menge Wissen, das digital gesammelt vorliegt und das dann mit logischen Formeln auf Millionen Hochleistungsservern zusammengefügt wird“, erklärt Florian Schnitzhofer.
Schnitzhofer ist CEO der ReqPool Gruppe, Tech-Investor und Autor des Buches „Das selbstfahrende Unternehmen“, in dem er die Vision beschreibt, dass Mitte der 2030er-Jahre Unternehmen weitgehend autonom von Algorithmen und Software gesteuert werden könnten. „GPT-3 ist ein kleiner Schritt in diese Richtung“, macht er im Rahmen seines Vortrages im Berlin Capital Club deutlich. Sein Vortrag war Teil einer „Club Lounge“ in Berlins Nobelclub am Gendarmenmarkt, die sich mit der Frage „Künstliche Intelligenz und Algorithmen – Fluch oder Segen“ beschäftigte.
Schnitzhofer hat in diesem Rahmen die Hintergründe von GPT-3 und Google sowie den aktuellen Stand der KI erklärt. Seine Prognose lautet: Wenn 80 Prozent der Daten digital vorliegen, dann werden auch 80 Prozent der Abläufe in Unternehmen automatisiert ablaufen können. Wenn das erreicht sein sollte, könnten 80 Prozent der Entscheidungen von KIs und Algorithmen getroffen werden. „Die Digitalisierung ist erst der Anfang“, sagt er. „Am Ende werden selbstfahrende Organisationen stehen – wirtschaftliche, staatliche und gesellschaftliche.“ Die Basis dafür werde gerade gelegt. Je mehr Daten digital vorliegen und genutzt werden, desto besser könne auch KI unterstützen und Wirkung entfalten. Aktuelle Anwendungen seien da aber noch eher rudimentär.
Unternehmen eher schlecht vorbereitet
Diese Meinung teilt auch Dr. Axel Wullenkord. Der Geschäftsführer von AdminiStraight, einem Unternehmen für Buchhaltung und Personalwesen, mahnt jedoch die Unternehmen zu mehr Weitsicht. „Viele Unternehmen erkennen tatsächlich die großen Potenziale von KI. Die Vorbereitung auf das, was da auf sie zukommt, ist allerdings in den meisten Fällen überraschend gering“, erklärt er. „KI ist für viele Unternehmen sehr abstrakt, denn es handelt sich nicht um ein Tool, das man von der Stange kaufen und einfach implementieren kann. Ein großes Problem besteht in der erforderlichen Datenbasis. Dass es ohne Digitalisierung keine KI gibt, ist vielfach klar. Weniger klar ist jedoch häufig, dass klar strukturierte Prozesse die Basis für eine sinnvolle Digitalisierung darstellen.“
Ohne saubere Prozesse könne es demnach auch keine KI geben. Das werde häufig übersehen oder ausgeblendet. „Fehler in Prozessen lassen sich nicht einfach wegautomatisieren“, sagt Wullenkord. Die meisten Unternehmen seien derzeit schlecht gerüstet für die digitale und „selbstfahrende“ Zukunft.
Digitalisierung pragmatisch angegangen
Etwas optimistischer zeigt sich Rinaldo Heck, CEO von HE-S Digital Management aus Aschaffenburg. Er wirbt für eine „pragmatische Digitalisierung“ und meint, Unternehmen sollten zunächst einfach anfangen, die Prozesse zu digitalisieren, die sie gerade haben. „Die großen Neuerungen und Change-Projekte hängen die Mitarbeiter nicht selten ab und verhindern so die eigentlich notwendige Innovation“, berichtet er aus seiner Praxis. Die Menschen müssten Software, KI und Algorithmen als konkrete Unterstützung im Alltag erleben, nicht als oktroyierte Supertechnologie, die über ihre Köpfe hinweg eingeführt werde. Im Kleinen anzufangen sei gerade für KMU der beste Weg, überhaupt in Richtung Digitalisierung und Automatisierung aufzubrechen.
Trotz KI nicht weniger Beschäftigung
Prof. Jörg Rocholl, Präsident der internationalen Wirtschaftsuniversität ESMT Berlin sowie Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesministerium der Finanzen, befasste sich im Rahmen seines Beitrages vor allem mit gesellschaftlichen und ökonomischen Fragen. „KI wird alle Bereiche des Lebens beeinflussen, aber nicht dazu führen, dass uns die Beschäftigung ausgeht“, ist der Wirtschaftswissenschaftler überzeugt. KI habe Grenzen, spätestens da, wo es um Kreativität, Empathie und menschliche Interaktion geht. KI werde den Alltag vieler Menschen erleichtern, sie von vielen lästigen Aufgaben und Routinen befreien und sicher auch manches Berufsbild überflüssig machen. „Aber es werden auch viele neue Berufe entstehen, von denen wir heute noch gar nicht wissen, dass wir sie einmal brauchen werden.“
Vieles lasse sich auch gar nicht „technisieren“; insbesondere in den sozialen, pflegerischen und Dienstleistungsberufen stoße KI an ihre natürlichen Grenzen. Aber, sagt Rocholl in Anlehnung an ein berühmtes Zitat von Microsoft-Gründer Bill Gates: „Die Menschen überschätzen immer die Veränderungen, die in den nächsten zwei Jahren stattfinden werden, und unterschätzen die Veränderungen, die in den nächsten zehn Jahren stattfinden werden.“
Mehr Resilienz notwendig
Gastgeber der „Club Lounge“ im Berlin Capital Club war Achim Röhe, der kürzlich sein Buch „Das resiliente Unternehmen – die Krisen der Zukunft erfolgreich meistern“ veröffentlicht hat. Sowohl in seinem Buch als auch in seinem Begrüßungsvortrag verwies er auf die Chancen der Digitalisierung bei der Vorhersage von Krisen und deren Bewältigung. Prognosen seien nur auf Basis guter Daten möglich. Der intelligente Einsatz von KI, Software und Algorithmen mache Unternehmen resilient. „Es hat keinen Sinn, sich gegen die Entwicklung zu stellen. Wir alle müssen sie annehmen und das Beste daraus ziehen“, betont Röhe.
Früherkennung, Krisenszenarien und Reaktionsmöglichkeiten bei Gefahrenlagen seien für Unternehmen nur mittels guter digitaler Daten möglich, ebenso fundierte Entscheidungen. „Das resiliente Unternehmen ist weitgehend autonom und selbstfahrend.“ Allerdings sei es wichtig, Software absolut vertrauenswürdig zu machen. Hier bestehe ein ethischer Anspruch auf Transparenz, der in der technologischen Betrachtung nicht außer Acht gelassen werden dürfe.