Von allen auf mikroelektromechanischen Systemen (MEMS) basierenden Sensoren zählen Sensoren für die Inertialmessung wohl zu den ältesten. Bereits vor über 30 Jahren begannen Forscher damit, den Einsatz winziger Kragarme in Beschleunigungsmessern zu untersuchen, die – in Sonden verbaut – in den Weltraum geschossen werden sollten.
Als die Massenproduktion der MEMS-Technologie möglich wurde, übernahm schon bald die Autoindustrie diese Beschleunigungsmesser. Sie wollte ihre bestehenden Sicherheitssysteme verbessern, da sich mithilfe der Beschleunigungsmesser Mikrocontroller über eine plötzliche Erhöhung der g-Kraft in eine bestimmte Richtung informieren lassen. Ein entsprechendes Signal kann etwa dazu führen, dass der Airbag ausgelöst oder die Spannung des Sicherheitsgurts erhöht wird.
Beschleunigungsmesser in Spielkonsolen und Smartphones
Als dann die Gaming-Plattform Nintendo Wii auf den Markt kam, hielten Beschleunigungsmesser auf dem Verbrauchermarkt Einzug. Denn es hatte sich gezeigt, dass Bewegungssensoren auch im Unterhaltungssegment eine wichtige Rolle spielen konnten.
Die in den Controllern verbauten Beschleunigungsmesser ermöglichten es dem System, Bewegungen zu interpretieren und in einer virtuellen Umgebung abzubilden. So konnten die Spieler etwa mithilfe von Schwenkbewegungen Bälle in Sportspielen (wie Tennis oder Golf) schlagen.
Schon bald darauf bewies das iPhone von Apple, dass Gesten auch in der Alltagselektronik eingesetzt werden konnten, um die Benutzerschnittstellen noch intuitiver zu machen. Dadurch konnte die Benutzerfreundlichkeit tragbarer Geräte deutlich verbessert werden.
Heutzutage verfügen Smartphones nicht nur über mehrachsige Beschleunigungssensoren, sondern zusätzlich auch über Gyroskope. Durch die Kombination dieser Sensoren kann die Software bestimmen, wie das Telefon bewegt wird und kann entsprechend reagieren.
Unterschiedliche MEMS-Bauweisen
Beschleunigungs- und Kreiselsensoren verfügen über unterschiedliche Betriebsmodi und können Linear- und Rotationsbewegungen erkennen. Unterschiede in der MEMS-Bauweise ermöglichen es, diese Bewegungsarten unabhängig voneinander zu interpretieren. So enthält ein MEMS-Beschleunigungssensor einen Mechanismus, der auf Beschleunigungen in eine bestimmte Richtung reagiert.
Einige Konstruktionen nutzen auch den piezoelektrischen Effekt. Dabei befinden sich piezoelektrische Kristalle auf einem Träger, der an einem Ende beweglich ist. Bewegt sich dieser, geraten die Kristalle unter Druck und erzeugen eine Spannung, die wiederum von einem Ausleseschaltkreis aufgenommen wird.
Ein anderes Verfahren nutzt Kapazitätsänderungen, die entstehen, wenn ein Leitmaterial mit einem gewissen Abstand über einem leitfähigen Substrat installiert wird. Nimmt die senkrechte Beschleunigung zu, bewirkt die relative Bewegung des Trägermaterials zum Substrat eine Kapazitätsänderung. Anstatt die relative Position eines Trägers im Verhältnis zu einem Substrat zu nutzen, werden in MEMS-Gyroskopen meistens Bauteile eingesetzt, die sich relativ zueinander bewegen.
Eine gängige Bauweise ist dabei die „Stimmgabel“. Hier oszillieren zwei Massen und bewegen sich kontinuierlich in einander entgegengesetzte Richtungen. Wenn sich das Gesamtsystem dreht, wirkt die Corioliskraft auf beide Massen ebenfalls in entgegengesetzte Richtungen.
Das Ergebnis ist eine Kapazitätsänderung, die sich proportional zur Winkelgeschwindigkeit ergibt. Werden die beiden beweglichen Strukturen dagegen linear beschleunigt, bewegen sie sich in dieselbe Richtung und es entsteht keinerlei Kapazitätsänderung.
Sensoren für Roboter
Auch wegen der gemeinsamen Verwendung von Beschleunigungsmessern und Gyroskopen in vielen Endanwendersystemen verzeichnet die Nachfrage nach Bewegungs- und Inertialsensoren weiterhin ein starkes Wachstum. Die Analysten von Markets & Markets gehen davon aus, dass der Absatz von Beschleunigungsmessern und Gyroskopen im Jahr 2022 die Marke von 3,5 Milliarden US-Dollar erreichen wird.
Einen Beitrag zu diesem Wachstum leisten nicht nur elektronische Kleingeräte, sondern auch Anwendungen in der Robotik (und zwar sowohl im Verbraucher- als auch im Industriebereich). Denn hochentwickelte Heim- und Fabrikroboter, die über mehrere Gliedmaßen verfügen, benötigen diverse Bewegungssensoren.
Da Bewegungssignale aus unterschiedlichen Richtungen verarbeitet werden müssen, beherrschen dreiachsige Beschleunigungsmesser noch immer den Markt für lineare Bewegungssensoren. Allerdings existieren viele unterschiedliche Sensortypen, die ganz an die individuellen Bedürfnisse der vertikalen Märkte angepasst sind. Einige konzentrieren sich auf die Erkennung von Erschütterungen und Vibrationen auf einer oder auch auf zwei Achsen. Hierzu zählen etwa die in Airbags verbauten Sensoren.
Der ADXL195 von Analog Devices ist ein Beispiel für diese zweiachsigen Beschleunigungsmesser und kann Beschleunigungen bis 120 g mit einer Bandbreite von 408 Hz erfassen. Daher eignet er sich gut, um große und plötzliche Verschiebungen zu messen und kann mit einer Genauigkeit von 14 Bit auch unterschiedliche Stoßarten voneinander unterscheiden.
Neigungssensoren für winzige Ausrichtungsänderungen
Andere Beschleunigungsmesser erkennen dagegen winzige Ausrichtungsänderungen. Ein Beispiel hierfür sind Neigungssensoren. Sie eignen sich für die Satellitenverfolgung und die Entfernungsmessung.
Da beim Einbau wenig Platinenfläche belegt werden soll, enthält der SCA3300-D01 von Murata gleich vier MEMS-Komponenten. Dazu zählen ein Inklinometer und ein dreiachsiges Akzelerometer.
Der SCA3300-D01 unterstützt damit etwa die Steuerung mobiler Plattformen und die Anlagenstabilisierung in der Schwerindustrie. Um seine Integration zu erleichtern, verfügt das Gerät über eine eingebaute Signalverarbeitung. Dabei kommt ein Mixed-Signal-ASIC zum Einsatz. Kraftänderungen werden über eine digitale SPI-Schnittstelle ausgegeben.
Gemeinsamen Verwendung von Beschleunigungsmessern und Gyroskopen
Neben der Verfolgung von Gesten spielen Gyroskope unter anderem auch bei der Stabilisierung von Bildsensoren und Kameras eine wichtige Rolle. Der L20G2020ISTR von STMicroelectronics ist ein zweiachsiges Gyroskop, das speziell für diesen Einsatzbereich entwickelt wurde. Es meldet plötzliche Winkeländerungen über eine SPI-Schnittstelle an das Hostsystem. Die integrierte Software nutzt diese Signale dann, um die empfangenen Bilder Frame für Frame zu justieren und wackelfreie Videos zu erzeugen.
Geräte wie der ICM-20602 von InvenSenses MotionTracking kombinieren wiederum Akzelerometer und Gyroskope und ermöglichen so eine sechsachsige Bewegungserkennung für unterschiedlichste Anwendungsbereiche. Die Geräte im Format 3 mm × 3 mm × 0,75 mm enthalten einen eigenen digitalen Motion-Prozessor, der dem Hostprozessor die Berechnung der Bewegungsalgorithmen abnimmt und so die Systemleistung verbessert.
Die Firmware, die die MotionTracking-Produktfamilie begleitet, ermöglicht die Anpassung der Sensorfunktion an konkrete Anwendungsszenarien. So ist etwa der ICM-20648 speziell auf Wearables ausgerichtet, die am Handgelenk getragen werden, kann Schritte zählen, Aktivitäten einordnen und Gesten erkennen und damit die Benutzerschnittstelle des Systems unterstützen.
Ein zentraler Vorteil der gemeinsamen Verwendung von Beschleunigungsmessern und Gyroskopen ist die geringere Fehleranfälligkeit. Zwar sind Akzelerometer darauf ausgelegt, lineare Bewegungen zu erkennen; sie können (mit entsprechenden arithmetischen Anpassungen) aber auch Änderungen der x-, y- und z-Achse erkennen und daraus die Drehbewegung ableiten. Ebenfalls nach einem Umbau können Gyroskope die vom Akzelerometer gemeldete lineare Bewegung überprüfen und bestätigen, obwohl sie einzig darauf ausgelegt sind, Richtungs- und Drehwinkeländerungen zu messen.
Software gegen Messfehler
Problematisch bei Beschleunigungsmessern, die ohne zusätzlichen Sensor verwendet werden, sind durch die Erdanziehungskraft verursachte Fehler. Eine geeignete Software kann diese jedoch beheben, indem sie die konstante Kraft aus den dynamischen Signalen herausfiltert. In der Praxis ist eine vollständige Bereinigung jedoch nur schwer zu erreichen, da mitunter lange Beschleunigungsphasen mit der konstanten Erdbeschleunigung verwechselt werden können.
Akzelerometer sind außerdem anfällig für Hochfrequenzrauschen, das durch die Erschütterung des Systems und der darin enthaltenen MEMS-Komponenten verursacht werden kann. Ein Tiefpassfilter kann dieses Rauschen zwar entfernen; dennoch kann bei langer Betriebsdauer des Akzelerometers ein Messfehler auftreten.
Gyroskope können ebenfalls durch diverse Rauschquellen gestört werden. Hier ist allerdings meist kein Hochfrequenzrauschen ursächlich, wie es Beschleunigungsmesser betrifft. Stattdessen geht es meist um Niederfrequenz-Driftfehler. Die Drift ist problematisch, da die Software die Messwerte des Gyroskops berücksichtigt, sodass sich der Richtungsfehler mit der Zeit immer weiter verstärkt.
Bei sechsachsigen Modulen und Systemen, die mehrere Sensoren umfassen, können sich die verschiedenen Signale gegenseitig ausgleichen und so die Möglichkeiten der Sensorfunktion bestmöglich ausnutzen. Verfahren wie Kalman- und Partikel-Filter stellen die mathematischen Verfahren, mit denen die unterschiedlichen Eingangssignale der Sensoren zu einem gemeinsamen Bewegungsvektor zusammengefügt werden können. Solche Filter berücksichtigen auch Faktoren wie die Messunsicherheit und sorgen dafür, dass Geräte mit hoher Fehleranfälligkeit bei bestimmten Messungen von anderen, präziseren Messvorrichtungen quasi „überstimmt“ werden.
Im Zuge der weiteren Verbesserung der MEMS-Technologie wird auch die Empfindlichkeit und Genauigkeit der Inertialsensoren weiter zunehmen. Diese Fortschritte werden es ermöglichen, besonders empfindliche Mechatronik- und Robotersysteme sowie Geräte für das Internet der Dinge (IoT) zu entwickeln, die unsere Bewegungen und Gesten verstehen können. Das Akzelerometer zählt zwar zu den ältesten MEMS-Sensoren, hält aber auch den Schlüssel für die weitere Entwicklung bereit.