Ich muss vorausschicken, dass die (Fach-)Messen im In- und Ausland für mich zentrale Fix- und zum Teil auch Höhepunkte meiner Arbeit als Journalist waren, die ich nicht missen möchte. Ich habe zum Beispiel gerade die Electronica von Anfang an (seit 1964 also) begleitet, unterstützt und in Zusammenarbeit mit der Messegesellschaft auch zu ihrer Weiterentwicklung beigetragen. Wenn Sie so wollen, bin ich diesbezüglich eindeutig unter „Old School“ einzuordnen.
Gleichwohl sollen meine Überlegungen weder ein Abgesang sein, noch eine unangebrachte überholte Verherrlichung. Mittlerweile eröffnet das Internet ungeahnte Möglichkeiten der virtuellen Begegnung, definiert neue Spielregeln im Umgang mit den Kunden. Auch hochspezialisierte Unternehmen mussten lernen, wie man ohne Messe und ohne Fernreise verhandelt.
Die Erkenntnis, dass das auch geht, wird die Gewohnheit, sich persönlich zu treffen, nachhaltig beschädigen. Hinzu kommt ein Generationswechsel: Die jungen Ausgebildeten beherrschen den Umgang mit der Digitalisierung virtuos und fordern neue Ansätze.
Das zwingt die Messegesellschaften, ihr Geschäftsmodell zu überdenken und Modelle anzubieten, welche die analogen und digitalen Welten optimal verbinden. Zudem müssen Marketing-Entscheider nach neuen Wegen zum Kunden suchen: durch Erweiterung ihres Marketingmix vor allem um digitale Elemente. In der Folge ist ein Wandel der Messelandschaft mit neuen Konzepte unabdingbar.
Aktueller Stand der Dinge
Die Messe-Misere trifft indes nicht nur die Messeveranstalter bis ins Mark, sondern sekundär sowohl deren unmittelbar abhängige Partner wie Agenturen, Standbauer und Zulieferer als auch die Transportunternehmen im Fern- und Nahverkehr sowie die ohnehin bis an die Grenze der Erträglichkeit gebeutelte Gastronomie und die Beherbergungsbetriebe. Der Auma zufolge wurden 61 Prozent aller für das Jahr 2020 geplanten Messen in Deutschland (insgesamt 368) abgesagt oder verschoben. 39 Prozent haben bereits stattgefunden oder sind noch geplant.
Die gesamtwirtschaftlichen Folgen durch die Absage von Messen bewegen sich laut Berechnungen des Instituts der Deutschen Messewirtschaft bei 19,3 Milliarden Euro. 160.000 Arbeitsplätze sind gefährdet und 3,1 Milliarden Euro weniger Steuern werden eingenommen (Stand 31. August 2020).
Man darf sich sicher fragen, ob die immensen Kosten für oft zweistöckige Edel-Messestände im Vergleich zu den einfachen Kojen in manchen konkurrierenden Ländern unbedingt sein müssen. Und auf die Vermehrfachung der Hotelpreise zu Messezeiten können wir als Besucher gerne verzichten. Zudem ist es bequemer, wenn man belastbare Informationen überall zu jeder Zeit abrufbar erhalten und auf Reisen mit ihren zuweilen recht lästigen Zeitverlusten und Verspätungen verzichten kann.
Fazit
Die Corona-bedingte aktuelle Entwicklung wird bleibende Spuren und Veränderungen im Messewesen hinterlassen. Dennoch hoffe ich, dass wir uns im kommenden Jahr wieder auf der einen oder anderen Präsenz-Messe "nach neuer Normalität" persönlich begegnen, Gedanken und Meinungen austauschen können, die man zum einen nicht unlöschbar digital festgehalten wissen möchte, und deren wahre Bedeutung sich nur im Zusammenhang mit Mimik und Gestik erschließt.