Verwertung von Lebensmittelabfällen Wie Insekten unser Ernährungssystem retten können

Statt nicht mehr essbare Lebensmittel zu entsorgen, ließen sich mit ihnen zum Beispiel Mehlwürmer hochzüchten, die dann wieder vom Menschen gegessen werden könnten.

Bild: iStock, pengpeng
30.10.2020

Derzeit wird Biomüll bestenfalls in Tierfutter, Biogasanlagen oder auf Komposthaufen verwertet. Eine sehr viel effizientere Möglichkeit zeigen jetzt Forscher aus Potsdam: Sie wollen Insekten mit Lebensmittelabfällen hochzüchten, um die Tierchen dann zu Biotreibstoff oder Pharmazeutika weiterzuverarbeiten.

Lebensmittelverluste und -verschwendung bedrohen die Nachhaltigkeit der Ernährungssysteme. Nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO belaufen sich die Lebensmittelverluste weltweit auf etwa 1,3 Milliarden Tonnen pro Jahr.

Die Verluste fallen entlang der gesamten Wertschöpfungskette an: von der Produktion über den Handel bis hin zum Endverbraucher. In der EU schlagen mehr als 50 Prozent der gesamten Lebensmittelverluste auf Verbraucherebene zu Buche. Pro Kopf sind das zwischen 95 und 115 kg pro Jahr.

Viel effizienter als traditionelle Tierproduktion

Lebensmittel, die nicht mehr für den menschlichen Verzehr geeignet sind, finden im besten Fall eine Verwendung als Tierfutter, zur Erzeugung von Energie in Biogasanlagen oder in der Kompostierung. Eine neue, vielversprechende Möglichkeit, Lebensmittelabfälle nachhaltig zu verwerten, untersuchen Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Agrartechnik und Bioökonomie (ATB): Sie produzieren Insekten mit Lebensmittelabfällen als Futtergrundlage.

Aufgrund ihres schnellen Wachstums haben Insekten im Vergleich zu traditionellen Tierproduktionssystemen wesentlich effizientere Futterverwertungsraten. Sie benötigen deutlich weniger Ressourcen, beispielsweise Fläche, Wasser und Futter, und bewirken zudem geringere Umwelteffekte. So verursacht die Produktion von 1 kg Grillen nur etwa 0,3 Prozent der Treibhausgasemissionen der gleichen Menge Geflügel.

Die Tiere selbst eignen sich aufgrund ihrer hochwertigen Inhaltsstoffe für die Ernährung von Mensch und Tier. Sie können aber auch für die Produktion von Non-Food-Produkten wie Biotreibstoff, Pharmazeutika oder Farbstoffen eingesetzt werden.

Abfallzusammensetzung entscheidend für Insektenwachstum

Der Erfolg der Insektenproduktion auf Basis von Abfällen ist dabei abhängig von der Insektenart, den Haltungsbedingungen und insbesondere der Zusammensetzung und Konsistenz des Insektenfutters, wie ATB-Wissenschaftlerin Dr. Shikha Ojha erklärt. „Variiert die Futterzusammensetzung, wie bei Bioabfall üblich, kann dies große Auswirkungen auf die Wachstumsraten der Tiere, deren Entwicklungszeit und die nachgeschaltete Verarbeitung haben“, sagt sie. Das mache eine stabile Prozesssteuerung zu einer Herausforderung.

Forschungsbedarf bestehe deshalb insbesondere in der Verfahrensgestaltung der Insektenproduktion sowie in der Nachernte im Bereich der Lebensmittelsicherheit. Physikalische und biologische Behandlungen des Abfalls beziehungsweise des Insektenfutters, wie Homogenisierung und Fermentation, können beispielsweise die Verdaulichkeit und die Bioverfügbarkeit von Nährstoffen für die Insekten verbessern.

Doppelt so nachhaltig wie Hühnerfleisch

Im Fokus der Forscher sind aktuell Verarbeitungstechniken nach der Ernte wie Blanchieren und Trocknen, aber auch neue Verfahren wie der Einsatz von Plasma-, Hochspannungsimpuls- und Ultraschalltechnologie. Studien am ATB zeigten beispielsweise, dass eine Behandlung von Mehlwürmern mit Plasma die mikrobielle Belastung reduziert und gleichzeitig die technofunktionellen Eigenschaften des Produkts verbessert. So kann der Einsatz neuartiger Vorbehandlungen in Kombination mit Extraktionstechnologien die Wiedergewinnung von Schlüsselmakromolekülen aus Insektenmatrices optimieren.

Forschungsbedarf besteht laut dem Potsdamer Team bei der Bewertung der Umweltauswirkungen ihrer Insektennutzung für Lebens- und Futtermittelproduktionssysteme. Hierzu haben die Wissenschaftler bisherige Untersuchungen zum Lifecycle Assessment vergleichend zusammengetragen. Jüngste Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die Produktion von Insektenbiomasse doppelt so nachhaltig ist wie die von Hühnerfleisch.

Auch wenn die geringere Umweltbelastung belegt ist, muss die Verwertung von Abfallströmen bei der Bewertung trotzdem stärker berücksichtigt werden, finden die ATB-Forscher. Eine klimafreundliche Verwertung von Bioabfällen durch Insekten, um hochwertige Produkte zu generieren, entspricht ihrer Ansicht nach in idealer Weise dem Konzept der zirkulären Ökonomie und könnte dazu beitragen, Ernährungssysteme nachhaltiger zu gestalten.

Auch die industrielle Produktion von Insekten erzeugt dabei natürlich Abfall: etwa organische Abfälle aus nicht genutztem Futter, abgeworfene Häute (Exuviae) und Ausscheidungen. Diese Reststoffe ließen sich allerdings als Dünger auf landwirtschaftlichen Feldern einsetzen. Damit wäre der Sinn einer Kreislaufwirtschaft wieder vollumfänglich erfüllt.

Weitere Details zum Projekt

Bildergalerie

  • Grillen werden in einem Brutschrank gezüchtet.

    Grillen werden in einem Brutschrank gezüchtet.

    Bild: Nina Schwab, ATB

  • Mehlwürmer werden mit Plasma behandelt, um die mikrobielle Belastung zu reduzieren.

    Mehlwürmer werden mit Plasma behandelt, um die mikrobielle Belastung zu reduzieren.

    Bild: Susen Rumposch, ATB

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