Damit Safety-Konzepte in der Praxis halten, was sich die Anwender von ihnen versprechen, sind sorgfältige Abstimmungsmaßnahmen unverzichtbar. Vor allem gilt es, die individuelle Sicherheitsphilosophie des jeweiligen Unternehmens auf die objektiven Anforderungen und Gegebenheiten im Praxiseinsatz vor Ort abzustimmen.
Das Produkt und seine Umgebung
Die Korngrößenverteilung hat unabhängig von der jeweiligen Industrie einen wesentlichen Einfluss auf die Explosionsfähigkeit eines Produkts beziehungsweise Staubs. Je kleiner der Partikel- oder auch je höher der Feinanteil im Produkt, desto stärker ist der Explosionsverlauf.
Bei Kunststoffen spielt die Elektrostatik eine wichtige Rolle, denn die Kunststoffgranulate können dafür sorgen, dass es zu einer elektrostatischen Aufladung kommt. Dies kann wiederum zu einer potenziellen Zündgefahr in nachgeschalteten Anlagenbereichen führen – insbesondere bei der Förderung, Be- und Entfüllvorgängen und beim Mischen der Produkte.
In vorgeschalteten Anlagen beziehungsweise Prozessen, die zur Herstellung eines Granulats führen, arbeiten die Produzenten oft mit instabilen Produkten, etwa solchen, die thermisch zersetzende Verbindungen beinhalten oder die als hybrides Gemisch vorliegen. In diesem Fall liegen gleichzeitig zündfähige Gemische aus Staub und Gas vor. Die Erdung zum Schutz vor Funkenentladungen ist daher ein grundsätzlicher Standard und wird durch die Maschinenrichtlinie vorgegeben.
Viele Produkte, die in der Kunststoffindustrie hergestellt oder als Zwischenprodukt verarbeitet werden, verfügen außerdem über eine sehr niedrige Zündenergie von 1 bis 3 mJ. Das heißt, sie sind leicht entzündbar, und ein alleiniger Schutz durch präventive Maßnahmen wäre in vielen Fällen nicht ausreichend. Daher muss entweder inertisiert werden oder es sind konstruktive Explosionsschutzsysteme erforderlich.
Bei der Inertisierung wird der Luftsauerstoff durch die Zugabe eines Inertgases wie Argon, Stickstoff oder Kohlendioxid verdrängt. Dadurch werden explosionsfähige Atmosphären vermieden. Inertisierung und die Explosionsunterdrückung gehen oft Hand in Hand, beispielsweise wenn Sprühtrockner mit Stickstoff im Kreislauf gefahren werden. Wird jedoch das nachgeschaltete Fließbett aufgrund der hohen erforderlichen Luftmengen als offener Kreislauf gefahren, sollte man dieses mit Systemen zur Explosionsunterdrückung ausrüsten.
Während sich bei explosionsfähigen Schüttgütern wie Holz und Getreide passive Systeme eignen, beispielsweise Berstscheiben oder Ventile zur flammenlosen Druckentlastung, ist bei chemischen Substanzen Vorsicht geboten: In der Kunststoffindustrie wird häufig mit Verbindungen gearbeitet, deren Verbrennungsprodukte insbesondere bei einem unkontrollierten Verbrennungsprozess wie einer Explosion toxische Eigenschaften entwickeln.
Diese Stoffe können, anders als bei der Explosionsdruckentlastung durch Berstscheiben üblich, nicht ins Freie entlastet werden, da sie eine Gefahr für Mensch und Umwelt darstellen. Stattdessen müssen aktive Explosionsunterdrückungssysteme zum Einsatz kommen, bei denen keinerlei toxische Stoffe freigesetzt werden – die beginnende Explosion wird in einem frühen Stadium erkannt, abgelöscht und alle Reaktionspartner verbleiben innerhalb der Anlage. Es gibt jedoch Fälle wie beispielsweise Elektrofilter in der Abgasbehandlung, bei denen sich passive Systeme wie Berstscheiben aus wirtschaftlichen und technischen Gründen besser eignen.
Auch die Gegebenheiten vor Ort sind bei der Implementierung eines Explosionsschutzkonzepts unbedingt zu beachten: Wenn sich beispielsweise doch Berstscheiben zur Druckentlastung eignen, da sich im Prozess keine toxischen Stoffe entwickeln, muss die Explosion außerhalb von Gebäuden an einer gefahrlosen Stelle abgeleitet werden. Befindet sich der zu schützende Behälter innerhalb eines Gebäudes, erfolgt die Entlastung über Kanäle, die nach draußen führen.
Falls die räumlichen Gegebenheiten eine Entlastung ins Freie jedoch nicht zulassen, müssen Ventile zur flammenlosen Druckentlastung verwendet werden, denn Berstscheiben stellen in Innenräumen eine Gefahr für Mitarbeiter und Anlagen dar.
Einhalten von Richtlinien und Verordnungen
In der Kunststoffindustrie sind viele Produktionsanlagen genehmigungspflichtig und die Sicherheitsanforderungen folglich sehr hoch: Die Anlagenbetreiber unterliegen zahlreichen Verordnungen, Richtlinien und Normen sowohl vonseiten des Gesetzgebers als auch durch Berufsgenossenschaften und deren anwendungsspezifische Regeln. Beispiele hierfür sind die Betriebssicherheitsverordnung und die Verordnung zum Schutz vor Gefahrstoffen.
Jeder Betreiber einer explosionsgefährdeten Anlage ist vor der Inbetriebnahme gemäß den Atex-Richtlinien dazu verpflichtet, ein Explosionsschutzdokument zu erstellen. Werden Modifizierungen an der Anlage sowie Änderungen an Arbeitsmitteln und -abläufen vorgenommen, betrifft dies auch das Explosionsschutzdokument – es muss entsprechend angepasst werden. Das Dokument erfasst unter anderem die Beurteilung der Explosionsrisiken sowie die getroffenen Schutzmaßnahmen, durch die das Risiko minimiert wird.
Doch aufgepasst: Sobald eine neue Anlage gebaut, eine existierende Anlage außer Betrieb genommen oder zwei Anlagen miteinander verbunden werden, muss eine erneute Risikobeurteilung erfolgen. Dies hat zur Folge, dass das Explosionsschutzdokument aktualisiert und somit auch das Explosionsschutzkonzept angepasst werden müssen, um weiterhin das Maximum an Sicherheit zu gewährleisten.
Klare und vertrauensvolle Kommunikation
Neben den produktspezifischen Eigenschaften – allen voran den Explosionskenndaten und den technischen Faktoren – spielt im Explosionsschutz die Kommunikation zwischen dem Anlagenbetreiber, dem -bauer sowie dem Explosionsschutzanbieter eine zentrale Rolle. Es muss klar sein, welche Produkte in den einzelnen Anlagenabschnitten verarbeitet werden und welche Produktcharakteristika wie beispielsweise Korngröße und Feuchtigkeitsgrad jeweils vorliegen.
Bei gegebenen verfahrenstechnischen Abläufen gilt es, die Detailkonfiguration der Anlage optimal mit dem angedachten Schutzkonzept abzustimmen und somit ein maßgeschneidertes Konzept umzusetzen, das optimale Sicherheit gewährleistet. Unter den Gesichtspunkten der Sicherheit für Menschen und Anlagen, der Aufrechterhaltung des Betriebs sowie der Erfüllung von Atex-Vorgaben macht es sich daher für Anlagenbetreiber bezahlt, professionell installierte Komplettsysteme mit zertifizierten Komponenten aus einer Hand einzusetzen.
Praxisbeispiel
Ein Hersteller technischer Baustoffe hat zur Herstellung seiner Produkte im Zuge eines Extrusions- und Batch-Type-Prozesses eine Synthese aus Holz und ABS-Kunststoff verwendet. Der Prozess führte zu einer Deflagration, welche die Abdeckung der Mischeinheit abhob, woraufhin sich die Flammen zu einem nachgelagerten Staubfilter im Freien ausbreiteten. Die Prozessgeräte in der Anlage wurden stark beschädigt, Arbeiter wurden allerdings nicht verletzt.
Die Lösung: Da sich der Mischer in der Anlage befand, konnten mögliche Explosionen nicht ins Freie entlastet werden. Der Mischer wurde mit einem Explosionsunterdrückungssystem ausgestattet. Die Entstaubungsleitung wurde zur Entkopplung durch Löschmittelsperren ergänzt. Der im Freien stehende Staubfilter war bereits mit Explosionsdruckentlastungen ausgestattet, die Einlassleitung wurde allerdings mit einem chemischen Entkopplungssystem ergänzt.