Ein zwei Jahre altes Smartphone gilt oftmals bereits als veraltete Steinzeittechnik. Und die rasante Entwicklung moderner Kommunikationstechnologie wird sich in den nächsten Jahren wahrscheinlich noch weiter beschleunigen. Die meisten Menschen gehen beim Kauf von Konsumgeräten mittlerweile davon aus, dass diese nach kurzer Zeit wieder ersetzt werden müssen. Nicht etwa, weil sie nicht mehr richtig funktionieren, sondern weil sie der wachsenden Erwartungshaltung von Kunden und auch den technischen Anforderungen nicht mehr gewachsen sind.
Allerdings entwickeln sich nicht alle Bereiche der Elektronikbranche mit solch einer offensichtlichen Geschwindigkeit. In der Leistungshalbleitertechnik zum Beispiel geschehen viele Entwicklungen und Verbesserungen eher im Verborgenen. Dennoch sind die Evolutionsschritte für die Betreiber von industriellen Anlagen sowie für den Personen- und Frachtverkehr von großer Tragweite. Ein VHS-Videorekorder, der vor 30 Jahren State-of-the-Art war, landete wahrscheinlich bereits vor 25 Jahren wieder auf dem Sperrmüll. Eine Straßenbahn, die vor 30 Jahren gebaut wurde, transportiert aber noch immer Fahrgäste. Und diese erwarten vollkommen zu Recht, dass die Bahn sie sicher und pünktlich an ihr Ziel bringt.
Auch in der Leistungselektronik werden Bauelemente abgekündigt und durch neue ersetzt: Die Quantensprünge in der Halbleitertechnik veranlassen einen Hersteller irgendwann dazu, eine alte Produktgeneration nicht mehr zu fertigen. Auch in der Leistungselektronik werden diese Lebenszyklen immer kürzer. Was tun, wenn die Hersteller keine Ersatzteile mehr anbieten, die Anlagen aber noch weiter betrieben werden sollen? Spätestens dann wird es eng: Denn alle jetzt ausgelösten Aktionen sind entweder kostspielig (weil entwicklungsintensiv) oder qualitativ fragwürdig – zum Beispiel, wenn angebliche Restbestände über Broker angeboten werden, die in den seltensten Fällen eine Garantie für die Herkunft der Bauteile geben.
Retrofit sichert den Weiterbetrieb
Dann vielleicht doch eine komplett neue Anlage, Straßenbahn oder Lokomotive kaufen? Das Controlling wird sich mit Sicherheit querstellen. Also muss eine Alternative her. Diese Alternative heißt Retrofit. Unter Retrofit versteht die GvA Leistungselektronik den system- und kostenoptimierten Austausch von nicht mehr auf dem Markt verfügbaren Leistungshalbleitern beziehungsweise leistungselektronischen Baugruppen durch ein funktional gleichwertiges Element mit modernster Technik. Bei der Dimensionierung des Ersatzelements werden die elektrischen, mechanischen und thermischen Charakteristiken des Originals zugrunde gelegt, so dass alle peripheren Systemkomponenten wie Controller, Drosseln, Sensoren, Leitungen und natürlich die eigentliche Last in ihrer originalen Ausführung beibehalten werden können. Die Steuer- und Überwachungsschnittstellen zwischen der neuen Baugruppe und der bestehenden Anlagensteuerung erhalten dieselben Pegel und kompatible Stecker-, Buchsen- oder Klemmleisten. Somit kann ein Retrofit-Gerät auch „Plug‘n Play“ sein. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass man bei Retrofit-Umbauten die Betriebszulassungen nicht verliert und keine komplexen Zertifizierungsprozesse neu durchlaufen muss.
Ein typisches Beispiel für eine Retrofit-Anwendung sind schnelle Thyristoren, die in einem Umrichter für die Bandstahl-
erwärmung eingesetzt wurden und plötzlich nicht mehr lieferbar waren. Ursprünglich war geplant, die Anlage in einem überschaubaren Zeitraum sukzessive abzuschalten und eine komplett neue Erwärmeranlage zu kaufen. Nach einer Bestandsaufnahme durch GvA stand plötzlich die Option im Raum, die abgekündigten schnellen Thyristoren durch eine neue Leistungsstufe mit IGBTs zu ersetzen.
Ersatz für schnelle Thyristoren
Das ursprüngliche Erwärmersystem bestand aus drei einphasigen Serienresonanz-Umrichtern mit einer Wirkleistung von je 400 kW bei einer Resonanzfrequenz von 10 kHz. Die Leistungsstufe war mit schnellen Thyristoren bestückt, entsprechend war die Umrichterregelung auf das Schaltverhalten von Thyristoren ausgelegt. Im Rahmen des Retrofits ergaben sich folgende Arbeiten:
Die Konstruktion einer B2-IGBT-Brücke mit Wasserkühlung und niederinduktivem Zwischenkreis. Sie musste in den vorhandenen Einbauraum der ursprünglichen Thyristorbrücke passen. Dabei konnten die bereits vorhandenen DC-Zwischenkreiskondensatoren weiterhin verwendet werden.
Entwicklung einer IGBT-Treiberschaltung, die das Verhalten von Thyristoren emuliert, also den IGBT mit nur einem Zündbefehl einschaltet und bei einem Last-
strom < 0 selbsttätig abschaltet.Design einer Interface-Schaltung zur Anpassung der Steuersignalpegel und Sensorsignale.
Anpassung der leistungsseitigen Komponenten (zum Beispiel die bei Thyristoren erforderlichen di/dt-Stufendrosseln), die bei der neuen IGBT-Brücke nicht mehr gebraucht wurden.
Damit konnte die bestehende Anlage zu einem Bruchteil der Neuanschaffungskosten weiterbetrieben werden. Und nicht nur das: In bestimmten Betriebspunkten wurde sogar eine Leistungssteigerung erreicht!
Schwierigkeit: RL-Thyristoren ersetzen
Während schnelle Thyristoren (Frequenzthyristoren) immer noch von einigen Herstellern in eingeschränkter Auswahl angeboten werden, sind die Zeiten rückwärtsleitender Thyristoren (RLT) endgültig vorbei. Zweifellos hatten diese Bauelemente ihren Charme, vereinten sie doch zwei Funktionen, Thyristor und antiparallele Freilaufdiode, in einem Gehäuse. Mit ihrer Hilfe ließen sich sehr kompakte Umrichter realisieren, zum Beispiel DC-Chopper für Straßenbahnantriebe.
Auch beim RLT-Retrofit kann GvA auf eine lange Erfahrung zurückblicken. Als Beispiel dient ein DC-Chopper mit 200 kW bei 750 V, der in der für Scheibenzellen typischen Stack-Bauweise im Spannverband realisiert war. Irgendwann war die Produktion der RLTs eingestellt worden, dennoch sollte der Betrieb der betroffenen Straßenbahnen aufrechterhalten werden. Daher wurde GvA mit der Umrüstung aller Fahrzeuge beauftragt. Die besondere Herausforderung lag dabei im extrem eingeschränkten Bauvolumen, da die mechanischen Abmessungen des neuen Stacks dieselben sein mussten wie beim alten RLT-Stack. Die praktische Umsetzung verlief wie folgt:
Ersetzen von jeweils zwei in Serie geschalteten RLTs mit einer Sperrspannung von je 1.200 V durch einen Thyristor und eine Freilaufdiode mit einer Sperrspannung von jeweils 3.200 V
Anpassung der äußeren Verschaltung des Stacks
Anpassung der Schutzbeschaltungen der Thyristoren und Dioden an die höhere Spannungsbelastung
Beibehaltung der mechanischen Abmessungen und der Lage der Stromschienen für die Zuleitung
Beibehaltung des vorhandenen Heat-Pipe-Kühlsystems
Im direkten Vergleich des alten RLT-Aufbaus mit der Retrofit-Version ist außer den geänderten Snubber- und Schutzbeschaltungen fast kein Unterschied erkennbar. Die modernen Thyristoren und Dioden fügen sich perfekt in die existierende Mechanik ein. Die neuen elektrischen Eigenschaften der gesamten Chopper-Baugruppe lassen deren Betrieb mit allen vorhandenen externen Bauelementen zu, ohne die EMV-Bilanz wesentlich zu verändern.
IGBTs statt bipolaren Transistormodulen
Ein weiteres elektrotechnisches Relikt sind bipolare Transistoren. In den 1970er und 80er Jahren wurden diese Bauteile auch in der Leistungselektronik eingesetzt. Ihr schnelles Schaltverhalten ermöglichte die Realisierung von PWM-Umrichtern bis in den mittleren Leistungsbereich von mehreren hundert kW. Auch Schaltungstopologien wie 3-Level-NPC, die in den letzten Jahren im Rahmen der Effizienz- und EMV-Diskussion bei Photovoltaik-Umrichtern wieder in den Fokus rückten, wurden damals schon genutzt. Allerdings ereilte den bipolaren Transistor dasselbe Schicksal wie den RLT: Die Hersteller stoppten die Produktion zugunsten der weit überlegenen IGBTs.
Die sich heute noch im Einsatz befindlichen Bipolar-Umrichter tummeln sich vor allem im Bereich der leichten Traktion, zum Beispiel in Straßenbahnen aus den 1990er Jahren. Um diese Züge noch ein paar weitere Jahre zuverlässig auf den Schienen zu halten, bietet GvA für die Antriebsumrichter eine Umrüstung auf moderne IGBT-Leistungsmodule an. Auch bei diesem Retrofit-Projekt steht der bedingungslose Plug’n-Play-Gedanke an erster Stelle:
Austausch der bipolaren Transistormodule gegen baugleiche IGBT-Module
Beibehaltung des DC-Zwischenkreises inklusive der existierenden Stromschienen
Design einer IGBT-Treiberstufe zur Umrichtersteuerung, mit identischen mechanischen Abmessungen und elektrischen Schnittstellen
Anpassung der Dynamik der IGBT-Module, sodass alle Umrichter, externen Komponenten und Schutzbeschaltungen der Transistoren beibehalten werden können
Keine Änderung des EMV-Spektrums des Gesamtsystems
Lohnt sich der Aufwand für Retrofit?
Im Vorfeld eines Retrofit-Projekts bietet GvA eine ausführliche Beratung an, um dem Kunden alle technischen und kommerziellen Möglichkeiten aufzuzeigen. Natürlich lassen sich nicht alle Anlagen in jedem Zustand sinnvoll „restaurieren“. Es ist wie bei einem Kfz-Oldtimer: Eine heruntergewirtschaftete Karosse, deren Besitzer sich nicht um die Instandhaltung gekümmert hat, sondern nur auf „Null Kosten“ aus war, lässt sich nicht wirtschaftlich sinnvoll wiederbeleben. Ein Fahrzeug jedoch, das regelmäßig gewartet wurde und dessen Verschleißteile rechtzeitig ersetzt wurden, kann seinen Besitzer selbst im Fall eines kapitalen Motorschadens noch lange erfreuen, wenn ein entsprechender Austauschmotor eingebaut wird.