Ein Rückblick auf die rund 10-jährige Historie der Intel-Atom-Familie zeigt: Es hat sich viel getan. Die Prozessoren haben sich von Generation zu Generation verbessert. Zu dem ursprünglichen Ansatz einer sehr sparsamen, kostengünstigen x86-Einstiegslösung sind bis heute viele neue Features, zahlreiche Schnittstellen, erweiterte Einsatzmöglichkeiten und ein enormer Schub an Leistungsfähigkeit dazugekommen. Das gilt es zu nutzen.
Neue Intel-Atom-Prozessoren im Überblick
Unter dem ursprünglichen Codenamen Apollo Lake-I hat Intel momentan drei Derivate auf der IoTG-Embedded-Roadmap (Internet of Things Group): den Intel Atom x7-E3950, den x5-E3940 und den x5-E3930. Intel spricht damit den breiten Embedded-Markt an sowie Industrie-Applikationen. Erweiterter Temperaturbereich, hohe Zuverlässigkeit, Langlebigkeit sowie Features zur Unterstützung von harten Echtzeit-Anwendungen und Virtualisierung stehen dabei im Vordergrund.
Wer bezüglich Temperaturbereich und Nutzungsszenario eher etwas entspannter unterwegs ist, kann gegebenenfalls auch auf den Celeron N3350 oder den Pentium N4200 zurückgreifen. Sie wurden bisher unter dem Codenamen Apollo Lake geführt und besitzen keine speziellen Modifikationen für den harten Embedded-Einsatz. Sie richten sich vielmehr an PC-typische Anwendungen, die meist mit sehr geringer Leistung auskommen, jedoch auch für kurzzeitige Spitzenbelastungen genügend Reserve benötigen.
Alle fünf Derivate sind Pin-kompatibel und bezüglich der äußeren Schnittstellen einheitlich. Alle überzeugen durch ein gutes Leistung-pro-Watt-Verhältnis sowie hervorragende Grafikeigenschaften mit bis zu drei hochauflösenden 4K-Display-Schnittstellen.
Die verschiedenen Embedded-Modul-Standards
Gerade für x86-Embedded-Prozessoren hat sich über die vergangenen Jahre der Einsatz von Standard-Modul-Formfaktoren etabliert. Schlagworte wie Austauschbarkeit, Skalierbarkeit, Upgradefähigkeit, Second-Source-Strategie, Time-to-Market und Zukunftssicherheit stehen dabei im Vordergrund. Dabei haben sich folgende Modul-Standards im deutschen und internationalen x86-Embedded-Markt durchgesetzt:
COM-Express (Mini, Compact, Basic), definiert durch die PCI Industrial Computer Manufacturers Group (PICMG), COM.0
SMARC, definiert durch die Standardization Group for Embedded Technologies (SGeT), SDT.01
Qseven, definiert ebenfalls durch die SGeT, SDT.02
SMARC und Qseven decken dabei den unteren Leistungsbereich der x86-Prozessoren ab, wohingegen mit COM-Express die volle Bandbreite an Leistungsfähigkeit abgedeckt werden kann. Welcher Modul-Standard sich nun für Anwendungen mit den neuen Intel-Atom-Prozessoren am besten eignet, hängt ganz von den technischen Anforderungen sowie den Umgebungsbedingungen der Applikation ab.
Qseven: Der Qseven-Formfaktor wurde 2008 speziell für Intel-Atom-basierende Lösungen eingeführt. Die Abmessungen sind mit 70 mm x 70 mm recht kompakt. Der Großteil der Schnittstellen, die die neuen Intel-Atom-Prozessoren anbieten, können breitbandig für das Carrierboard zur Verfügung gestellt werden. Leider können nur zwei der drei möglichen Displayausgänge genutzt werden. Auch auf eine der drei USB-3.0-Schnittstellen muss verzichtet werden. Wer die MIPI-CSI-Kamera-Schnittstelle nutzen möchte, ist gezwungen, mit einem Flachbandkabel direkt am Modul zu kontaktieren.
Die Verbindung zum Carrierboard erfolgt über einen 230-poligen Card-Edge-Verbinder. Am Modul sind somit vergoldete Kontaktierungsflächen vorhanden, die in den Steckverbinder des Carrierboards eingesteckt werden - ein Vorteil bezüglich Kosten. Einige Anwender, die die neuen Intel-Atom-Prozessoren für besonders robuste Anwendungen einsetzen möchten, stufen diese Kontaktierungsart bezüglich Schock, Vibration und Verschmutzungsgefahr als kritisch ein und befürchten mittelfristige Kontaktierungsprobleme. Bezüglich Robustheit stehen die geringe Leiterplattendicke und die mechanische Integration auch immer wieder zur Diskussion. Der entstehende mechanische Stress auf Bauteile und Lötstellen könnte die Zuverlässigkeit und Lebensdauer beeinträchtigen.
Die maximale Leistungsaufnahme von Qseven-Modulen ist durch die Spezifikation und die eingesetzten Steckverbinder auf 12 W beschränkt. Deshalb ist es hier gegebenenfalls nötig, die maximale Rechen- und Grafikleistung zu drosseln. Die Premium-Prozessor-Variante Intel Atom x7-E3950 mit 12 W TDP (Thermal Design Power) sprengt hier leider die Leistungsgrenzen bezüglich der Gesamtleistungsaufnahme des Moduls.
SMARC: Dieser Standard setzt wie Qseven auf eine Card-Edge-Verbindung, sodass auch hier oft Themen wie Robustheit, Zuverlässigkeit und Langlebigkeit diskutiert werden. Die Abmessungen in der Short-Ausführung betragen nur 82 mm x 50 mm. Somit ist SMARC der kleinste der hier betrachteten Formfaktoren. Das macht das Modul trotz der sehr dünnen Leiterplatte etwas robuster als zu Qseven.
Die 314 Pins des Modulsteckverbinders bieten insgesamt mehr Signale als bei Qseven. Zusätzliche Signale für Grafik und MIPI-CSI sind verfügbar, sodass die Vorzüge der neuen Intel-Atom-Generation breitbandiger genutzt werden können. Insgesamt ist das definierte Pinout moderner und zukunftsorientierter als bei Qseven, wovon speziell neue Designs profitieren können. Wird das SMARC-Modul mit 5 V Versorgungsspannung betrieben, kann das volle Leistungsspektrum der Intel-Atom-Prozessoren abgedeckt werden. Die möglichen Einschränkungen im oberen Leistungssegment wie bei Qseven gibt es hier also nicht.
COM-Express-Mini: Dieser ebenfalls sehr kompakte Formfaktor (84 mm x 55 mm) punktet vor allem durch den sehr robusten Aufbau bezüglich Mechanik, Steckverbinder, Leiterplatte und Kühlanbindung. COM-Express-Mini ist deshalb geeignet, um die neuen Apollo Lake-I-Prozessoren, die für den Embedded- und Industrie-Einsatz konzipiert sind, in harten Umgebungsbedingungen zu unterstützen. Der 220-Pin-Modulsteckverbinder stellt ebenfalls einen großen Teil der Schnittstellen für das Carrierboard zur Verfügung. Aber auch hier gibt es wie bei Qseven Einschränkungen bezüglich MIPI-CSI, USB 3.0 und dritter Grafik-Schnittstelle. Da das Pinout nur Single-Channel-LVDS, oder alternativ eDP, anbietet, gibt es auch Beschränkungen bei der Anbindung von hochauflösenden internen Displays. Hier müsste bei Bedarf eine eDP-Bridge auf dem Carrierboard vorgesehen werden, die Dual-Channel-LVDS generiert. Einige Modul-Hersteller haben darauf reagiert und setzen die Priorität auf Bestück-Varianten mit eDP-Pinbelegung. COM-Express-Mini bietet mit bis zu 28 W zulässiger Leistungsaufnahme für alle Intel-Atom-Derivate ausreichend Reserven.
COM-Express-Compact: Wer den Fokus auf robuste und zuverlässige Intel-Atom-Designs mit großem Funktionsumfang und voller Leistungsfähigkeit legt, trifft mit COM-Express-Compact eine gute Wahl: Mit 95 mm x 95 mm sind die Abmessungen zwar größer, es steht aber genügend Platz zur Verfügung, um auch Speichervarianten mit 8 GB Dual-Channel-DDR3L-Vollausstattung und ECC-Option (automatische Fehlerkorrektur) anzubieten. Das ist ein wichtiger Aspekt, um die Rechen- und Grafikleistung der neuen Intel-Atom-Prozessoren voll auszunutzen. Je nach Anwendungsgebiet gibt es Modul-Varianten mit zwei DDR3L-SO-DIMM-Sockeln (hohe Flexibilität bei der Systemkonfiguration, jedoch ohne ECC) oder mit gelötetem Arbeitsspeicher (mit ECC und hoher Zuverlässigkeit bei Schock, Vibration und rauen Umgebungsbedingungen).
Bei Com-Express-Compact stehen zwei Steckverbinder mit je 220-Pins zur Verfügung, sodass nahezu alle Schnittstellen der neuen Intel-Atom-Prozessoren auf dem Carrierboard verfügbar sind. Somit können alle drei Grafik-Ausgänge des Prozessors mit voller Leistungsfähigkeit und Auflösung genutzt werden. Bei USB 3.0 sind nun alle drei Schnittstellen verfügbar. Lediglich für Anwendungen mit MIPI-CSI-Kameras fehlen die passenden Signale.
Kein richtig oder falsch
Da die Anwendungsgebiete für die neuen Intel-Atom-Prozessoren so breit gefächert sind, haben alle hier diskutierten Embedded-Modul-Standards ihre Daseinsberechtigung. Bei neuen, sehr kompakten Designs, vor allem auch im Bereich mobiler Anwendungen, scheint SMARC den Qseven-Formfaktor mittelfristig zu überholen. Bei härteren Einsatzbedingungen wird meist COM-Express favorisiert. Die Mini-Ausführung punktet hier vor allem durch die geringen Abmessungen. Wer das komplette Leistungsspektrum der neuen Intel-Atom-Prozessoren für Industrie-Anwendungen ausschöpfen möchte, findet meist bei COM-Express-Compact die beste Wahl.