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Interview mit Johannes Winter von Acatech „Wir müssen die Angst vor künstlicher Intelligenz ernst nehmen.“

Johannes Winter, Acatech

Bild: David Ausserhofer
14.06.2018

Fluch oder Segen? Wird die künstliche Intelligenz uns eines Tages beherrschen oder ist sie nur ein Hype? Politik und Wirtschaft haben jedenfalls die Aufgabe den Einsatz künstlicher Intelligenz richtig zu gestalten. Was genau richtig bedeutet, welche Gefahren und welche Vorteile durch KI entstehen, was sie überhaupt schon kann und was sie niemals können wird, erklärt Johannes Winter von Acatech im Gespräch mit der E&E-Redaktion.

E&E:

Werden durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) zukünftig Arbeitsplätze vernichtet?

Johannes Winter:

Nein. Durch die drei vorherigen industriellen Revolutionen sind immer mehr Arbeitsplätze entstanden als weggefallen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass das beim Einsatz von KI genauso sein wird. Doch die Arbeit wird sich verändern, ebenso wie die Berufsbilder selbst: Zukünftig stehen kontinuierliches Lernen und selbständiges Arbeiten ebenso im Fokus wie die Zusammenarbeit mit lernenden, autonomen Systemen. Unternehmen müssen eine agile, flexibilitäts- und kreativitätsfördernde Arbeits- und Unternehmensorganisation vorantreiben und die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter entsprechend anpassen sowie stärken. Natürlich werden auch Arbeitsplätze verschwinden. Es kommen aber neue hinzu, so dass sich die Gesamtbeschäftigung kaum verändern wird.

Welche neuen kommen denn hinzu?

Während Berufe rund um die Steuerung und Wartung von Maschinen und Anlagen an Bedeutung verlieren werden, wird es Zuwächse in den IT-, Medien-, und Sozialberufen, im Dienstleistungsbereich und außerdem der Erziehung geben. Das ist das Ergebnis einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das die Beschäftigungsentwicklung im Kontext der Digitalisierung detailliert für das Jahr 2035 in Deutschland prognostiziert hat. Eine weitere Studie des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) bestätigt, dass kognitive Routine-Berufe durch analytische und interaktive Berufe ersetzt werden.

Dennoch löst laut einer PWC-Umfrage vom Juli 2017 bei der Hälfte der Bundesbürger KI negative Emotionen aus. Was sind die Gründe dafür?

Die Menschen brauchen ein Grundverständnis von KI-Technologien. Wenn sie nachvollziehen können, wie diese Technologie funktioniert, ihren Nutzen und ihre Risiken kennen, hätten sie sicher weniger Ängste. KI klingt zwar abstrakt, aber viele Menschen nutzen sie eigentlich schon täglich. Sie nutzen Sprachassistenten auf dem Smartphone und eine Alexa im Wohnzimmer, maschinelle Übersetzer im Internet, die Sprachen in nahezu Echtzeit übersetzen, Fahrassistenzsysteme im Auto, wie Notbrems- oder Spurhalteassistenten, und die Leichtbauroboter, die mit dem Menschen in der Fabrikhalle kollaborieren. Die KI ist in unserem Alltag schon deutlich präsenter, als es viele wahrnehmen. Die Menschen akzeptieren neue Technologien erst, wenn sie darin einen konkreten Nutzen für sich sehen. Wenn sie keinen Nutzen darin erkennen und fürchten, nicht mehr die Zügel in der Hand zu haben, geht die Akzeptanz verloren. Das ist verständlich. Hier würden Anwendungsbeispiele helfen.

Filme und Serien wie „I, Robot“ und „Black Mirror“ verstärken solche Ängste. Dort scheint die künstliche Intelligenz die Menschen eines Tages zu beherrschen.

Beherrschen wird uns die KI nicht. Dennoch müssen wir diese Ängste ernst nehmen. Die Entwicklung der technischen Möglichkeiten lässt sich nicht aufhalten, aber wir können sie zum Wohl der Gesellschaft gestalten, damit sie sich ethisch einwandfrei verhält und sich im Sinne der Menschen entscheidet. Ich glaube, der Mensch ist der KI voraus und das wird auch auf lange Zeit so bleiben. Ich stehe der KI insgesamt zuversichtlich gegenüber. In der Plattform Lernende Systeme sprechen wir intensiv mit Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft über die Chancen und Herausforderungen von KI und bieten Anwendungsbeispiele.

Wie sollte die KI eingesetzt werden und wie nicht?

KI kann vor allem ein Helfer sein, um die zahlreichen Herausforderungen des Lebens und in der Wirtschaft zu lösen. Sie kann den Menschen dienen. Natürlich kann es auch zu gesellschaftlich unerwünschten Entwicklungen kommen. Zum Beispiel könnten Algorithmen diskriminierende Entscheidungen treffen, die für die Nutzer nicht mehr nachvollziehbar sind. Es gab den Fall von algorithmusgestützten Entscheidungen über Haftverlängerungen in den USA. Das Problem bestand darin, dass Menschen mit weißer Hautfarbe häufiger frühzeitig entlassen wurden, als Menschen mit schwarzer Hautfarbe. Der Algorithmus lieferte also kein diskriminierungsfreies Ergebnis. Hier muss die KI unbedingt reguliert werden.

Wer bestimmt die Rahmenbedingungen dafür?

Wir alle. Die Gesellschaft.

Bestimmen wirklich die Menschen, wie künstliche Intelligenz eingesetzt wird? Ist die technische Entwicklung nicht vielmehr der öffentlichen Diskussion weit voraus?

Das ist das Ziel von Forschung; vorauszudenken und die nächste Generation in den Blick zu nehmen. Auf diese Weise regulieren wir ungewünschte Entwicklungen, die Technologien oder einzelne Anbieter und Unternehmen mit sich bringen. Wie beim Thema Industrie 4.0, der Digitalisierung in der Fabrik: Die Arbeitgeber sind sehr früh in einen Dialog mit den Gewerkschaften zur Zukunft der Arbeit eingetreten. Es ist wichtig, von Anfang an den Nutzen neuer Anwendungen deutlich zu machen, aber auch die Wünsche und Erwartungen der Menschen einzubeziehen – in ihrer Rolle als Arbeitnehmer, Patienten und Bürger.

Was wollen die Menschen?

Sie wollen die Kontrolle behalten: über ihre Arbeit, ihr Leben, sie wollen wissen, was mit ihnen passiert, sie wollen Planbarkeit und Verlässlichkeit. Das sind Forderungen, die sich einerseits an Arbeitgeber richten, aber auch an den Staat. Die sollen neue Technologien auf eine Weise zum Einsatz bringen, dass der Mensch im Mittelpunkt bleibt. Daran arbeiten wir von der Plattform Lernende Systeme, indem wir Handlungsempfehlungen für die Politik erarbeiten, wie wir die immensen Potenziale durch KI nutzen können und zugleich die Beziehung zwischen Mensch und Technik gestalten sollten. Entscheidend ist die Frage: Was wird reguliert, was bleibt den Menschen selbst überlassen?

Wie kann auf technischer Ebene verhindert werden, dass die KI ein diskriminierendes Ergebnis liefert?

Die Systeme müssen mit den richtigen und möglichst vielfältigen Daten trainiert werden. Und wir brauchen ethische Prinzipien für Programmierer, die Algorithmen schreiben. Die Entscheidung, wer aus der Haft früher entlassen werden darf und wer nicht, hat die KI aufgrund von Algorithmen getroffen. Die Algorithmen arbeiten mit riesigen Datensätzen, aus denen sie Muster herauslesen und Schlüsse ziehen. Doch diese Daten müssen auch die richtigen sein. Häufig reproduzieren Algorithmen Vorurteile, zum Nachteil von 
Straffälligen.

Was sind denn die richtigen 
Daten?

Nehmen wir ein anderes Beispiel: eine Unfallsituation mit dem Auto. Im Gegensatz zu Katzen- oder Hundebildern, die milliardenfach im Internet vorhanden sind, gibt es wenige von solchen Unfallsituationen. Eigentlich müsste maschinelles Lernen mit realen Daten durchgeführt werden. In diesem Fall stehen aber nicht genügend zur Verfügung. Deshalb müssen Entwickler stärker mit Simulation arbeiten, um am Ende eine vernünftige Datenbasis für das Training zu haben. Die Programmierer simulieren etwa, wie ein Kind auf die Straße laufen könnte, dem das Auto ausweichen muss. Sie modellieren Fallbeispiele und trainieren damit die KI. Auf diese Weise können die Daten aus verschiedenen Sensoren, wie Funk, Radar und Infrarotkameras, mit möglichen Szenarien verknüpft und eine Unfallsituation bestmöglich antizipiert werden. Das ist ein Beispiel, wie die lernenden Systeme trotz vermeintlich fehlender Daten trainiert werden können.

Wir haben über algorithmusbasierte Entscheidungen über Häftlinge, autonomes Fahren und Sprachassistenten gesprochen. Welche Vorteile kann die Industrie durch KI gewinnen?

Zum einen gibt es den großen Trend zur Automatisierung und Autonomisierung der Produktionsabläufe. Zum anderen werden Unternehmen durch künstliche Intelligenz produktiver. Sie können einfacher planen, werden wandlungsfähiger und flexibler. Ein weiterer Punkt sind Geschäftsmodell-Innovationen: Hersteller können ganz neue Leistungsversprechen geben. Ein aktuelles Beispiel aus dem Handel zeigt das sehr gut. Amazon Fresh bietet jetzt Erdbeeren mit einer garantierten Haltbarkeit an, also gehören dort nun braune Stellen der Vergangenheit an. Um diese Garantie zu gewährleisten, werden Methoden der künstlichen Intelligenz genutzt. Dabei kommen Infrarotkameras zum Einsatz, die mit Hilfe eines Algorithmus das Produkt auf braune Stellen untersuchen. Das Ergebnis ist ein perfektes Produkt, das mit den früher eingesetzten Stichproben nicht möglich war. Dabei gab es noch immer eine zehn- bis zwanzigprozentige Fehlerquote.

Und wie sieht es in den Produktionshallen aus?

In der Fabrik selbst wird es so sein, dass die Roboter aus dem Käfig kommen. Derzeit arbeiten sie noch hinter Gittern, um die Arbeiter vor ihnen zu schützen. Künftig arbeiten Roboter und Mensch Hand in Hand in hybriden Teams zusammen. Roboter werden die Menschen zum Beispiel bei Überkopf-Arbeiten oder Unterboden-Montagen entlasten. Außerdem helfen sie dabei, den Wertschöpfungsprozess effizient und für den Menschen körperlich schonend bewältigen zu können.

Welche Anwendungsbeispiele gibt es noch?

Wir können durch den Einsatz von KI Lösungen für wichtige, gesellschaftliche Herausforderungen, wie gesellschaftliche Teilhabe, Sicherheit oder Nachhaltigkeit anbieten. Denkbar sind zum Beispiel ein emissionsfreies Fahrzeug oder die Verhinderung eines Staus. Heute verbrauchen die Verkehrsträger immense Mengen an Energie und Ressourcen und die Reisenden verlieren sehr viel Zeit in Staus. Durch Vernetzung, Elektrifizierung und Automatisierung wird es einen effizienteren, intelligenteren Verkehrsstrom geben. Das kommt uns allen zugute. Damit werden auch perspektivisch die Diskussionen um ein Fahrverbot zurückgehen.
Interessant ist auch die Frage, was aus uns in einer zunehmend alternden Gesellschaft wird. Dafür verbessern Forscher die Diagnostik und Therapie im Gesundheitswesen mit Hilfe der künstlichen Intelligenz, wie etwa Watson, den IBM in der Krebsforschung einsetzt. Auch im Hardware-Bereich werden viele kleine Helfer das Leben im Haushalt und damit auch im Alter einfacher machen. Natürlich ist die KI kein universeller Heilsbringer und kann nicht alle Probleme der Gesellschaft lösen. Herausforderungen wird es weiterhin geben.

Was kann KI nicht?

KI versucht, die menschliche Intelligenz nachzubilden. Was ihr jedoch fehlt, ist ein Bewusstsein. Sie weiß nicht, weshalb sie etwas gerade tut, also was der übergeordnete Zweck davon ist. Programmierer können künstliche Intelligenz zwar trainieren, mit großen und vielfältigen Trainingsdaten oder Simulationen. Die KI lernt dabei aber nur, Muster zu erkennen und wird dadurch sukzessiv besser. Sie kann dann auf einem Bild einen Hund von einer Katze unterscheiden oder ein Haus von einem Auto. Doch sie weiß eben nicht, weshalb sie das tut.

Also ist KI derzeit nur Mustererkennung?

Ja, aber das greift zu kurz. Richtig ist, dass es sehr große Erfolge in der Mustererkennung und der Vorhersage gibt. Die künstliche Intelligenz ist kein neues Phänomen. An ihr wird bereits seit vielen Jahren geforscht. Inzwischen gibt es aber die notwendige Speicherleistung, die Netze (und Vernetzung) und die Rechenleistung, um die riesigen Datenmengen nutzbar zu machen und künstliche Intelligenz dadurch in die Anwendung zu bringen. Richtig ist auch: Die KI ist im Grunde noch weit entfernt davon, wie ein menschliches Gehirn zu funktionieren. Es bleibt vorerst lediglich bei dem Versuch, menschliche Intelligenz nachzubilden.

Plattform Lernende Systeme

Die Plattform Lernende Systeme will „Lernende Systeme im Sinne eines guten, gerechten und verantwortungsvollen gesellschaftlichen Zusammenlebens gestalten und den gesellschaftlichen Dialog zum Thema Künstliche Intelligenz fördern.“ Dazu gibt sie der Politik Handlungsempfehlungen im Hinblick auf künstliche Intelligenz an die Hand. Sie bezieht auch Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände, wie Verdi und die IG Metall, unabhängige Patientenvertretungen und Verbraucherschutzorganisationen aktiv in ihre Arbeit ein.

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