In der modellbasierten Softwareentwicklung (MBSE) werden die Algorithmen der logischen Funktionen elektronischer Systeme grafisch modelliert anstatt sie manuell zu programmieren. Grafische Notationen wie Blockdiagramme und Zustandsautomaten, die dabei eingesetzt werden, sind – anders als natürlichsprachliche Spezifikationen und computersprachliche Codierungen – eindeutig und verständlich. Wegen dieses Vorteils hat sich die modellbasierte Softwareentwicklung als Methode der Hersteller- und Zulieferer-übergreifenden Entwicklung von Steuergerätesoftware etabliert (J. Schäuffele,
T. Zurawka, Automotive Software Engineering, Wiesbaden 2013). Inwieweit eignen sich die Modelle, anhand derer Steuergerätesoftware nach eindeutigen Regeln generiert wird, auch zur Dokumentation der Software? Um dies zu beantworten, müssen die Anforderungen an die Dokumentation betrachtet werden, die sich aus der jeweiligen Anwendung ergeben.
Steuergerätesoftware lässt sich exakt durch MBSE-Modelle spezifizieren, die meist mit ETAS ASCET oder Matlab/Simulink entworfen werden. Für die Softwareentwicklung, bei der es auf die Details der Implementierungen ankommt, stellen einerseits insbesondere die grafischen Repräsentationen dieser Modelle ein geeignetes Mittel der Dokumentation dar. Andererseits erfordern nachfolgende Entwicklungsschritte wie die Integration, der Test und die Applikation von Steuergeräten und elektronisch gesteuerten Systemen andere Sichten auf Steuergerätefunktionen, zum Beispiel auf Signalflüsse. Um den Anforderungen dieser Anwendungen gerecht zu werden, müssen die Informationen, die in den MBSE-Modellen enthalten sind, in geeigneter Form verfügbar und explorierbar gemacht und gegebenenfalls ergänzt oder reduziert werden.
Herkömmliche Steuergerätedokumentation
Zur Applikation von elektronischen Steuerungen von Fahrzeugsystemen und für die Prototypisierung ergänzender Steuerungs-, Regelungs- oder Diagnosefunktionen stellt die Softwareentwicklung heute üblicherweise umfangreiche Dokumentationen bereit, die in Form von PDF-Dateien ausgeliefert werden. Diese Dokumentationen, die zum Beispiel bei Motorsteuerungen zwischen 10.000 und 30.000 Seiten umfassen können, enthalten statische Inhalte in Form von Texten, Bildern und Tabellen sowie Hyperlinks zur Navigation. Wie bei einem Straßenatlas, der ein großes Gebiet in kleinem Maßstab auf vielen einzelnen Seiten abbildet, wird darin gewissermaßen der Schaltplan der Steuergerätelogik in mehrere tausend Seiten zerschnitten, auf denen Screenshots der grafischen Darstellungen einzelner Modellbestandteile abgebildet sind. Diese Dokumentationen enthalten also alle relevanten Informationen.
In Anbetracht des riesigen Umfangs lassen sich jedoch auf der einen Seite funktionale Zusammenhänge, wie zum Beispiel die wechselseitigen Abhängigkeiten von Funktionen und Signalen, mit den herkömmlichen Methoden der statischen Softwaredokumentation nicht wirksam darstellen. Auf der anderen Seite ist die Suche nach bestimmten Informationen in den großvolumigen PDF-Dokumenten zu langsam und unspezifisch. Zur effizienten Bewältigung ihrer Aufgaben bei der Applikation und Entwicklung neuer Funktionen von Steuergeräten benötigen Ingenieure demzufolge Steuergerätesoftware-Dokumentationen, in denen funktionale Zusammenhänge auf möglichst einfache Art und Weise übersichtlich und nachvollziehbar dargestellt sind und relevante Informationen schnell gefunden werden können.
E-Handbook verschafft Überblick
Mit der Lösung E-Handbook (www.etas.com/ehandbook) stellt ETAS ein neues Format und neue Werkzeuge zur Dokumentation der Software elektronischer Steuerungen zur Verfügung, welche eine interaktive, grafische Darstellung von Funktionen und Signalflüssen auf unterschiedlichen Abstraktionsniveaus ermöglichen. Mit Hilfe dieses Formats sind die funktionalen Zusammenhänge der Steuergerätesoftware einfacher als mit den herkömmlichen PDF-Dokumentationen zu verstehen. E-Handbook-Dokumentationen unterstützen Anwender darin, sich auf den Kern ihrer Aufgabe zu konzentrieren. Ingenieure, die ein genaues Verständnis der Logik von Steuergeräten für ihre Arbeit benötigen, zum Beispiel in der Applikation oder Funktionsentwicklung, profitieren von den interaktiven und flexiblen grafischen Darstellungen der Dokumentationen. Diese ermöglichen es dem Anwender, sich einerseits einen Überblick über die Arbeitsweise eines Steuergeräts zu verschaffen und andererseits schnell über wichtige Details zu informieren. Um in der E-Handbook-Steuergerätedokumentation nachzuschlagen, benutzen Anwender das Softwaretool E-Handbook-Navigator.
Dieses Werkzeug stellt intelligente Such- und Visualisierungsfunktionen zur Verfügung. Bei Bedarf können in der Benutzeroberfläche alle relevanten Ausschnitte einer Funktion mit einem Mausklick in einer Ansicht zusammengeführt werden. Die zielgerichtete Navigation durch die gesamte Dokumentation und die kontextbezogene Anzeige von Zusatz-
informationen zu den einzelnen Parametern und Variablen der Steuergerätesoftware werden ebenso wie die leistungsfähigen Suchfunktionen durch eine Datenbank unterstützt, die in die E-Handbook-Dokumentation integriert ist.
Der Navigator ist in der Lage, mehrere Dokumentationen flexibel zusammenzuführen. So können einzelne Softwaredokumentationen mehrerer Automobil- und Steuergerätehersteller zu einer vollständigen Dokumentation der gesamten Software integriert werden, die in ein elektronisch gesteuertes System eingebettet ist. In der Praxis wird die Effizienz beim Einsatz der neuen Dokumentationslösung durch die Kopplung von E-Handbook mit dem Mess- und Applikationswerkzeug ETAS INCA zusätzlich erhöht. So können beispielsweise Mess- und Kenngrößen mit INCA aus dem E-Handbook-Navigator übernommen werden. Umgekehrt lassen sich Messwerte, die im INCA-Experiment gemessen werden, im Navigator dynamisch anzeigen.
Dokumentation aus verschiedenen Quellen
Die Steuergerätedokumentation, der „E-Handbook Container“, wird in einem flexibel an die Entwicklungsumgebung anpassbaren Generierungsprozess mit dem Werkzeug E-Handbook Container Build aus unterschiedlichen Quelldaten erzeugt. Dabei werden MBSE-Modelle, die mit ETAS ASCET oder Matlab/Simulink entworfen wurden, in interaktive grafische Modelle übersetzt, die für Dokumentationszwecke optimiert sind. Zusätzlich dazu lassen sich auch Funktionen, die manuell in C codiert wurden, in Form dieser Modelle abbilden. Zusätzlich dazu werden die Dokumentationsinhalte aus den Quellen angereichert. Dabei werden Größen wie Steuergeräte-Variablen und Parameter automatisch in Texten, Bildern und interaktiven Modellen identifiziert und indiziert sowie Querverbindungen zwischen diesen Artefakten hergestellt und Funktionsübersichten erzeugt.
Die E-Handbook-Dokumentation zielt auf eine übergreifende und übersichtliche Darstellung der funktionalen Zusammenhänge der Steuergerätelogik ab. Der Schlüssel dazu sind eigene interaktive, grafische Modelle, die mit Hilfe unterschiedlicher innovativer Technologien, wie der grafischen Abbildung der Logik von C-Code in Form von Blockdiagrammen, erzeugt werden. Damit eignet sich E-Handbook im Besonderen zur Dokumentation von Software, die von Herstellern und Zulieferern in gemeinsamen Projekten entwickelt wird. Diese Form der Zusammenarbeit erfordert den Schutz von Softwarequellen als geistigem Eigentum der Unternehmen. Dieser Schutz ist durch die interaktiven Modelle gegeben, die zwar aus den Modellen der Softwareentwicklung abgeleitet werden, sich aber weder für die Codegenerierung eignen noch mit Werkzeugen der Softwareentwicklung bearbeiten lassen.
Software von Motorsteuerungen dokumentieren
ETAS baut die Lösung für die interaktive Steuergeräte-Dokumentation in enger Abstimmung mit Kunden weiter aus. Derzeit wird E-Handbook hauptsächlich im Bereich Antriebsstrang eingesetzt, wo Steuergeräte-Softwaredokumentationen am umfangreichsten sind. Darüber hinaus ist der Einsatz der Lösung auch in anderen Fahrzeugdomänen möglich. Bosch stellt seinen Kunden bereits E-Handbook-Dokumentationen ihrer Motorsteuerungssoftware auf Nachfrage zur Verfügung. Unabhängig davon verwenden auch einige Automobil- und Steuergerätehersteller die Lösung schon zur Dokumentation eigener Inhalte.