Roboter-Puppen, mit denen autistische Kinder lernen, Menschen besser zu verstehen, computergenerierte Avatare, die helfen, mit Halluzinationen umzugehen, virtuelle Chats, die Unterstützung bei Depressionen bieten: Es gibt schon heute zahlreiche Ansätze, die psychische Gesundheit von Menschen mit sogenannter verkörperter Künstlicher Intelligenz zu fördern. Von verkörperter KI spricht man, weil bei diesen Anwendungen Menschen mit einem künstlichen Gegenüber interagieren.
Der Einsatz von KI in der Psychotherapie ist an sich nichts Neues. Erste Chatbots erzeugten schon in den 60er Jahren die Illusion eines therapeutischen Gesprächs. Mehr als eine Spielerei war das allerdings nicht. Durch moderne Algorithmen und gestiegene Rechnerkapazitäten ist heute viel mehr möglich.
„Die Algorithmen hinter diesen Anwendungen sind mit riesigen Datenmengen trainiert worden und können echte therapeutische Aussagen treffen“, sagt Alena Buyx, Professorin für Ethik der Medizin und Gesundheitstechnologien an der TU München. Gemeinsam mit Dr. Amelia Fiske und Peter Henningsen, Professor für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, hat sie erstmals einen systematischen Überblick über Anwendungen der verkörperten KI für die psychische Gesundheit erstellt und Chancen und Herausforderungen herausgearbeitet.
Mehr Menschen bekommen Zugang zu Behandlung
Die neuen Anwendungen haben laut den Forschern ein enormes Potenzial. Sie können mehr Menschen Zugang zu einer Behandlung bieten, weil sie nicht an bestimmte Zeiten und Orte gebunden sind. Einigen Betroffenen fällt es zudem leichter, mit der KI zu interagieren als mit einem menschlichen Gegenüber. Es gibt aber auch Risiken. „Verkörperte KI kann und darf kein billigerer Ersatz für eine Behandlung durch reale Ärztinnen und Ärzte sein“, sagt Fiske.
„Obwohl verkörperte KI schon in der Klinik angekommen ist, gibt es bisher kaum Empfehlungen von medizinischen Fachgesellschaften zum Umgang mit diesem Thema“, gibt Henningsen zu bedenken. Das wäre jedoch dringend notwendig, um die Vorteile dieser Technologien zu nutzen, gleichzeitig Nachteile zu vermeiden und Wildwuchs einzudämmen. „Außerdem sollte das Thema bereits im Medizinstudium behandelt werden“, ergänzt der Dekan der TUM-Medizinfakultät.
Fehlende ethische Regeln für Künstliche Intelligenz
Derzeit werden vermehrt Leitlinien für KI erstellt, etwa die von der EU entwickelten Ethics Guidelines for Trustworthy AI. Zusätzlich dazu sind aus Sicht von Buyx, Fiske und Henningsen allerdings dringend fachspezifische Regeln notwendig. „Therapeutische KI-Anwendungen sind Medizinprodukte, für die wir entsprechende Zulassungsverfahren und ethische Handlungsvorgaben brauchen", sagt Buyx. „Wenn die Programme beispielsweise erkennen können, ob Patienten Suizidgedanken haben, dann müssen sie, genau wie Therapeutinnen und Therapeuten, im Ernstfall klare Warn-Protokolle befolgen.“
Darüber hinaus müsse verkörperte KI intensiv auf soziale Effekte hin erforscht werden. „Wir haben kaum Informationen dazu, wie sich der Kontakt mit therapeutischer KI auf uns Menschen auswirkt“, sagt Alena Buyx. „Unter Umständen lernt beispielsweise ein Kind mit einer Störung aus dem Autismus-Spektrum durch den Kontakt mit einem Roboter nur, wie man besser mit Robotern umgeht – aber nicht mit Menschen.“