In Europa wurde die zweite Auflage der Norm EN 61010-1 am 1. Oktober 2013 von der dritten Auflage abgelöst. Ein CB-Zertifikat nach der vorherigen Fassung kann nicht mehr ausgestellt werden, sobald alle Mitgliedsstaaten des CB-Schemes nur noch die aktuelle Version der Norm anerkennen. Aufgrund der Ungewissheit über den Zeitpunkt dieses Ereignisses gerieten viele Hersteller unter Zeitdruck, ihre Produkte nach den neuen Standards zertifizieren zu lassen.
Für die Vereinigten Staaten und Kanada wurde die Norm, unter der Bezeichnung UL 61010-1 beziehungsweise CAN/CSA-C22.2 # 61010-1-12, am 11. Mai 2012 eingeführt. In beiden Ländern gilt eine Übergangsfrist bis zum 1. Januar 2018, um Produkte für diesen Markt nach zu zertifizieren. Für Hersteller empfiehlt sich ein zeitiges Handeln, falls sie sich noch nicht mit der neuen Version befasst haben. Für bereits zugelassene Geräte nach der ersten Fassung der Norm gilt aktuell ebenfalls noch ein Bestandsschutz, solange diese gänzlich unverändert bleiben.
Aus der Neufassung der Norm lässt sich in beiden Regionen ableiten, ob eine Nachzertifizierung erforderlich ist und welche Maßnahmen dafür getroffen werden müssen. Ein komplettes Re-Design ist in vielen Fällen nicht notwendig, da nicht alle veränderten Anforderungen der Norm auf jedes Gerät zutreffen. Um das zu klären, empfiehlt sich die Zusammenarbeit mit einem Prüf- und Zertifizierdienstleister.
Wie viele andere Normen gliedert sich auch die 61010 in verschiedene Teile; einen allgemeinen und weitere Spezialteile, die zusätzliche Anforderungen an bestimmte Geräte behandeln. Auf die sicherheitsrelevanten Fragestellungen an Test- und Messgeräte geht zum Beispiel gesondert der neue 2. Teil 61010-2-030 ein. Diese Unterteilung ist sinnvoll, da es viele spezielle Abschnitte gibt, die auf andere Gerätearten nicht zutreffen. Im Fall von Messgeräten zum Beispiel Mess-Anschlüsse, die Anzeige der Messbereichsüberschreitung und der Schutz bei Vertauschung von Eingängen und Bereichen. Neu hinzugekommen sind die Abschnitte -081 für automatische und halbautomatische Laborgeräte und -101 für die In-vitro-Diagnostik.
Auch Heimgeräte auf dem Prüfstand
Wie erwähnt ist eine wesentliche Änderung der dritten Auflage, der erweiterte Anwendungsbereich der Norm auf nicht kommerziell genutzte Geräte. Auch im Wohnbereich angewendete Geräte fallen nun in den Anwendungsbereich des Standards. Ein Beispiel sind Messgeräte zur Ermittlung des Stromverbrauchs im Haushalt. Die Benutzung durch Personen ohne technische Vorkenntnisse muss folglich bei der Konzeptionierung eines Produktes in die Überlegungen einbezogen werden.
Ebenfalls in der dritten Auflage enthalten sind konkrete Vorgaben für den Gerätebetrieb unter feuchten Umgebungsbedingungen. Zum Beispiel werden vermehrt Geräte für den Einsatz im Freien, in über 2000 Meter Höhe, gefertigt. Diese erweiterten Anwendungsbedingungen berücksichtigt die Norm mit speziellen Vorgaben. Die Vorgaben für Mess- und Laborgeräte im Außeneinsatz sind allerdings noch verbesserungswürdig. Abschnitt 3.6.10 führt zu Beginn einen neuen Verschmutzungsgrad 4 ein, der den Außeneinsatz von Geräten abdecken soll. Nicht eindeutig klar wird jedoch, welcher IP-Schutz für ein Außengehäuse nötig ist. Der neue Anhang E – für Europa informativ, für USA und Kanada normativ – erklärt lediglich Möglichkeiten, den Verschmutzungsgrad in dem Gehäuse, bei vorgegebener Makro-Umgebung, zu reduzieren.
Neue Vorgaben für Luft- und Kriechstrecken
Konkrete Vorgaben umfasst die dritte Auflage der Norm 61010-1 auch für die Betrachtung transienter Überspannungen der Kategorien III und IV. Ausführliche Hinweise zu den Überspannungskategorien enthält Anhang K, mit entsprechenden Tabellen für die geforderten Luft- und Kriechstrecken. Bei den Anforderungen an Luft- und Kriechstrecken, beziehungsweise an feste Isolierstoffe, und damit auch an den daraus resultierenden Werten für Hochspannungsprüfungen, gab es ebenfalls Änderungen. Im Markt etablierte, nach der zweiten Fassung zugelassene Geräte bedürfen hier einer besonderen Betrachtung. Eine Fortführung der Zertifizierung des Produkts nach der dritten Fassung ist nämlich oft nur über eine grundlegende Neuprüfung möglich.
Unter anderem gibt es für Multilayer-Platinen konkrete Tabellen mit Vorgaben und Minimalanforderungen. Zur Bewertung von Platinen, sowohl Dünnfilm- als auch Multilayer-Platinen, greift die 61010-Norm auf die bekannten Anforderungen aus dem 60950-1-Standard zurück. Dieser Punkt ist besonders relevant, da immer mehr Geräte mit kleinen, aber mehrschichtigen Platinen ausgestattet werden. Auf deren Beurteilung ging die alte Ausgabe der 61010-Norm nicht ein. Außerdem behandelt die Norm Beschichtungen. Sie enthält konkrete Vorgaben für die Beurteilung von Beschichtungen, im Hinblick auf eine mögliche Reduzierung von Luft- und Kriechstrecken.
Spürbarer Einfluss der Maschinenrichtlinie
Eine weitere Neuerung stellt die Einführung des IK-Ratings nach IEC 62262 dar. Dabei handelt es sich um einen Stoßfestigkeitsgrad aus dem Bereich der Werkstoffprüfung, der alternativ zu normativen mechanischen Tests herangezogen werden kann. Zudem behandelt die dritte Fassung der Norm die Ergonomie von Geräten. Geachtet wird dabei auf die Anordnung der Bildschirme und Anzeigen, unter besonderer Berücksichtigung der guten Lesbarkeit und Bedienbarkeit der Geräte und Anlage. Sollte sich die Anordnung von Anschlüssen oder die Platzierung des Bedienfelds als ungeeignet erweisen, sind eventuell größeren Umbauarbeiten oder gar eine Neukonstruktion der Geräte nötig.
Außerdem wurde die Norm im Hinblick auf das mechanische Gefährdungspotenzial von Geräten präzisiert und erweitert. Sie trägt damit dem zunehmenden Einfluss der Maschinenrichtlinie Rechnung. Relevant sind dafür zum Beispiel die Einhaltung der Mindesthöhe von Arbeitsflächen, Grenzwerte für Abstände von großen Geräteteilen und Vorgaben die ein Einklemmen von Gliedmaßen verhindern sollen. Insbesondere bei größeren Laborgeräten ist das sehr wichtig.
Auch die Anforderungen an Geräte, die Strahlung in jeglicher Form emittieren, wurden verschärft. Unterschieden wird zwischen beabsichtigter und unbeabsichtigter Strahlung. Ein Beispiel sind Gepäckscanner am Flughafen. Bei ihnen wird beabsichtigte Strahlung zur Kofferdurchleuchtung genutzt. Es gilt ein Grenzwert für die Streustrahlung nach außen von
5 µSv/h. Für Geräte, die lediglich unbeabsichtigt Strahlung emittieren, gilt ein geringerer Grenzwert von 1 µSv/h.
Vorhersehbaren Missbrauch berücksichtigen
Die neue Fassung verlangt außerdem von den Herstellern, vorhersehbaren Missbrauch von Geräten durch die Nutzer zu berücksichtigen. Das erweist sich mitunter als schwierig, da viele falsche oder unsachgemäße Verwendungsmöglichkeiten erst nach anwendungsfremder Nutzung eines Produktes erkannt werden.
Ein Beispiel aus dem Lichtbereich ist eine wie ein Spielzeug anmutende Tischlampe. Das vermeintliche Spielzeug wurde im angeschlossenen Zustand von einem Kind mit unter die Bettdecke genommen. Die Leuchte erhitzte sich so stark, dass das Kind Verbrennungen erlitt. In ihrer eigentlichen Funktion als Tischlampe bestand diese Gefahr nicht. Aufgrund des zusätzlichen Gefährdungspotenzials musste die Leuchte allerdings vom Markt genommen werden. Der überarbeitete Standard fordert somit von den Herstellern eine Abschätzung von Risiken in Bereichen, die die Norm selbst nicht abdeckt. Ist das Risikomanagement in einem Unternehmen noch nicht etabliert, zeigt die 61010-1-Norm auf, wie sich normenkonforme Risikoanalysen erstellen lassen.
Fazit
Die 3. Auflage der Norm 61010-1 stellt neue Anforderungen an Geräte, um dem aktuellen Stand der Technik gerecht zu werden. Die Neuerungen enthalten unter anderem einige Aspekte aus artverwandten Normen und der Maschinenrichtlinie. Eine der auffälligsten Neuerungen ist die Risikoanalyse für Mess-, Steuer-, Regel- und Laborgeräte. Besonders, da es hier Risiken zu bedenken gilt, die die Norm sonst nicht abdeckt.