Interview über Assisted Reality in der Produktion „Expertenwissen im Blick“

Der dynaEdge DE-100

Bild: Toshiba
28.08.2018

Sehen, was man machen muss, ohne eine Fachkraft sein zu müssen: Mit Assited Reality lässt sich im industriellen Umfeld die Effizienz steigern und Kosten für Experten vor Ort sparen. Worauf es beim Einsatz ankommt und wo die Stolpersteine liegen, erläutert Jörg Schmidt, Head of B2B PC DACH, Digital Products & Services bei Toshiba, im Gespräch mit A&D.

Assisted Reality und Industrie als Zielgruppe in Verbindung mit Toshiba wirkt auf den ersten Blick ungewöhnlich. Wie kam es zur Idee, eine Assisted Reality Lösung auf den Markt bringen?

Toshiba wird von seinem Bekanntheitsgrad schnell mit Consumer-Produkten verbunden. Doch wir sind weltweit ein Konglomerat aus 700 Firmen und haben viel Erfahrung im Industriesegment. Was wir aber merken ist, dass sich die Grenzen zwischen klassischen Industriebereichen und Consumer-Technik immer mehr verschwimmen. So wächst derzeit im industriellen Umfeld das Thema Augmented und Assisted Reality sehr stark, das bekommen wir auch über das zunehmende Interesse unserer weltweiten Kunden mit. Hier sind vor allem die Bereiche Maintenance, manuelle Tätigkeiten in der Produktion sowie Logistik und Intralogistik zu erwähnen. Deswegen haben wir uns auf das Thema Assisted Reality konzentriert. Hier wollen wir unsere über 30 Jahre Erfahrung mit mobilen Clients einbringen, um Mitarbeitern im Industriebereich die Durchführung von Prozessen zu vereinfachen.

Können Sie die Einsatzgebiete konkretisieren?

Im Logistikbereich wird der Mitarbeiter einfach leichter durch die Lager geführt, er bekommt Zusatzinformationen in Echtzeit eingeblendet, was die Effizienz wieder erhöht. In der Fertigung sind das natürlich die normalen Prozessabläufe. Und denken Sie beispielsweise im Maschinenbau an Arbeitsstationen, die nicht automatisiert sind. Hier bekommt der Werker eingeblendet, welches Teil als nächstes verbaut wird. Gerade in der zunehmend individueller werdenden Fertigung - Stichwort Losgröße 1 - ergeben sich mit Assisted Reality hervorragende Möglichkeiten, den Mitarbeiter auf moderne und effiziente Weise zu unterstützen. Im Bereich Maintenance hilft die Datenbrille durch Bildanalysen, um Maschinen richtig identifizieren und gleich die passende Wartungsanleitung eingeblendet zu bekommen.

Sehen Sie den Hauptnutzen in der Industrie, Service auch ohne Spezialisten durchführen zu können?

Ja natürlich, denn hier haben sowohl beispielsweise der Maschinenbauer als auch der Kunde erhebliche Vorteile, was die Kosten und die Schnelligkeit betrifft. Gerade unsere deutschen Mittelständler verkaufen ihre Maschinen und Geräte weltweit. Wenn dann aus Russland, Skandinavien oder Brasilien ein Kunde wegen eines Problems anruft, dann heißt es oft Flugticket für 2000 Euro kaufen und den teuren Service-Spezialisten auf die Reise zu schicken. Oder ich habe eine Datenbrille, die der Maschinenbauer direkt als digitalen Service mit seiner Maschine mitverkauft. Hat eine Kunde dann vor Ort ein Problem mit der Maschine, wird der Spezialist remote eingebunden. Durch die Kamera sieht er genau das gleiche wie der Anwender vor Ort. Dieser mit dem Spezialisten remote zusammen an dem Problem arbeiten – damit lassen sich unserer Erfahrung nach schon rund 80 Prozent aller Probleme direkt lösen. Das spart viele Kosten und Zeit und nur bei nicht remote lösbaren Fällen muss der teure Spezialist anreisen. Viele Hersteller denken inzwischen auch darüber nach, wie kann zum Beispiel ein virtueller Maintenance-Plan für Kunden aussehen, die meine Maschinen nutzen. Servicekräfte müssen dann nicht vor Ort sein, sondern der Maschinenbeauftrage beim Kunden führt via Assisted Reality die wöchentlichen Check-ups durch. Über die Kamera der Datenbrille ist der Maschinenspezialist aber immer mit „vor Ort“. Kosten werden gespart und Maschinenhersteller können neue digitale Dienstleistungen verkaufen.

Was sind denn typische Stolpersteine bei der Einführung von Datenbrillen in Unternehmen?

Ein sehr großer Stolperstein ist immer wieder die Frage nach der Integration der AR-Technologie in die bestehende IT-Umgebung. Allerdings haben wir bei unserer Lösung eine sehr einfache Antwort parat. Unser mobiler Client, an dem die Datenbrille angeschlossen ist, nutzt Windows 10 Pro/IoT und ist somit sehr einfach in das Netzwerk zu integrieren und mit vorhandenen Standard-Tools administrierbar. Es wird also kein extra Mobile-Device-Management für beispielsweise Android-Clients benötigt. Ansonsten gibt es die Herausforderung, das Kosteneinsparpotenzial durch die neue Technologie zu kalkulieren. Hier haben große Firmen mehr Expertise als kleine Unternehmen, welche Einsparungen beispielsweise durch eine 10-prozentige Effizienzsteigerung an einem Handarbeitsplatz erzielbar sind. Diese Diskussionen führen wir derzeit sehr intensiv mit unseren Kunden und bieten natürlich unsere Unterstützung jederzeit an.

Gibt es auch Skepsis, was Tragekomfort, Akkulaufzeit oder Strahlung der Datenbrille betrifft?

Die gibt es auf jeden Fall, aber die können wir sehr schnell beseitigen. Bekannte und bereits auf dem Markt verfügbare Datenbrillen ernten Skepsis, weil WLAN- oder LTE-Antennen sowie Hitzequellen sich direkt am Kopf befinden. Deshalb fahren wir das Konzept eines mobilen Clients, der beispielsweise am Gürtel getragen wird. Die Datenbrille ist über Kabel mit dem Client verbunden, Hitzequellen oder Strahlung gibt es an der Brille nicht.

Was war der Beweggrund der Partnerschaft mit Ubimax, einem Anbieter von Wearable Computing und Augmented Reality Software?

Ubimax hat über 15 Jahre Erfahrung im Bereich Assisted und Augmented Reality. Die Datenbrillen von Toshiba sowie die Software Frontline von Ubimax für die verschieden AR-Anwendungen im industriellen Umfeld harmonieren ideal mit unserem mobilen Client. Die AR-Software bietet fertige Module, mit denen Kunden sofort loslegen können. Durch die offene Auslegung ist aber auch eine individuelle Anpassung jederzeit an Kundenbedürfnisse möglich. Unsere mobile Plattform dynaEdge DE-100 bietet für aktuelle und künftige AR-Anwendungen genügend Leistungsreserven und garantiert die einfache Integration in Produktions- und IT-Netzwerke. Insofern haben wir mit der Partnerschaft eine „Best of Breed“ Lösung generiert.

Wer ist dann der Ansprechpartner für die gemeinsame Assisted Reality Lösung?

Der Kunde hat Toshiba als alleinigen Ansprechpartner, denn wir wollen es ihm so einfach wie möglich machen.

Edge Computing mit Datenverarbeitung vor Ort ist in der Produktion ein großes Thema. Ist Ihre AR-Lösung durch den leistungsstark ausgelegten mobilen Client genau dafür auch geeignet?

Natürlich, genau dafür haben wir unser Konzept ausgelegt. Über eine Stand-alone-Datenbrille wäre das nicht möglich. Bei uns kann die Brille aber alle notwendigen Daten für Augmented Reality liefern und mit zusätzlichen Daten aus anderen Sensoren, die der dynaEdge DE-100 einliest, angereichert werden. Das ermöglich völlig neue Anwendungsfelder durch Datenanalyse direkt an der Quelle.

Und wie sieht die Integration in vorhandene Automatisierungslösungen und die Anbindung an ERP- und Cloud-Systeme aus?

Durch Windows 10 Pro/IoT auf unserem mobilen Client steht einer Integration nichts im Wege. Das System unterstützt OPC UA ebenso wie beispielsweise MQTT für die Kommunikation mit Cloud-Plattformen. Wir integrieren auch Tools wie Ubimax xInspect für Service- und Wartungsprozesse sowie xMake für Montageunterstützung und Qualitätssicherung inklusive einer Anbindung an SAP. Sowohl Windows 10 als auch die AR-Softwarelösungen von Ubimax sind auf Offenheit und Unterstützung von Standards ausgelegt. Damit bietet unsere mobile AR-Plattform alle Voraussetzungen für die Integration in Produktionsumgebungen.

Dieser Artikel ist Teil des Fokusthemas „Augmented Reality" aus der A&D-Ausgabe 9 2018.

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  • Jörg Schmidt ist Head of B2B PC DACH, Digital Products & Services bei Toshiba

    Jörg Schmidt ist Head of B2B PC DACH, Digital Products & Services bei Toshiba

    Bild: Toshiba

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