A&D:
Wer profitiert eigentlich besonders vom Plug & Produce Konzept?
Theunissen:
Am meisten profitiert der Maschinenbetreiber von Plug & Produce, weil er Maschinen in einer Linie effizient und schnell zusammenbauen kann. Und zunehmend zwingen die Produktionsbetriebe die Maschinenbauer, ihre Maschinen schneller und mit geringerem Aufwand in die Produktionsinfrastruktur zu integrieren. Darum müssen Maschinenbauer ein Plug & Produce Konzept entwickeln, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Und was ist mit den initialen Mehrkosten für das Konzept?
Bruder:
Wir arbeiten sehr intensiv mit Maschinenbetreibern und Maschinenbauern zusammen und wissen genau, warum Plug & Produce für sie von Interesse ist. Ein großes Thema ist der mit bis zu 30 Prozent sehr hohe Anteil an den Integrationskosten einer Produktionslinie. Diesen Aufwand und diese Kosten wollen wir reduzieren. Natürlich haben Maschinenbauer am Anfang erstmal Mehraufwand und Investitionskosten für eine Plug & Produce Fähigkeit ihrer Maschinen. Das rechnet sich dann aber mit jeder Integration in die Komplettanlage immer wieder. Weil das ständige erneute Validieren der Schnittstellen der Maschinen wegfällt, wenn der Plug & Produce Standard erfüllt wird.
Theunissen:
Nehmen wir als Beispiel eine neue Verpackungslinie mit 5 Maschinen von fünf verschiedenen Herstellern mit einem Investment von einer Million Euro für den Endanwender. Dann sind nochmal bis zu 300.000 Euro fällig, um die Maschinen der unterschiedlichen Hersteller miteinander zu verbinden und alles mit der Liniensteuerung, dem Recipe-Management und dem MES-System zu integrieren. Ohne Standards ist das ein erheblicher Aufwand verbunden mit immensen Kosten – sowohl für den Endanwender als auch dem Maschinenbauer.
Beziehen sich die bis zu 30 Prozent Implementationskosten auf die Connectivity- und Kommunikationsebene?
Theunissen:
Ja, denn schlussendlich geht es um standardisierte Connectivity, die Datenkommunikation und die Softwareebene. Und hier fokussieren wir auf die von der Plattform Industrie 4.0 definierte Administration Shell – der sogenannten Verwaltungsschale. Jede Maschine und Anlage werden als ein Asset gesehen, das über bestimmte Skills verfügt. Skills beschreiben die Funktionalität und die Fähigkeit einer Anlage oder Maschine. Der Anwender gibt über die Skills wählbar nur noch an, welche Arbeitsschritte an den Produkten durchzuführen sind. Wie die Maschinen das dann intern machen, kann dem Anwender sozusagen „egal“ sein. All diese Punkte müssen aber standardisiert und umgesetzt werden. Hier kommt dann auch die Kommunikation über OPC-UA ins Spiel.
Ist das finale Ziel von Plug & Produce, mechatronische Module einfach per Plug & Play zusammenstellen zu können mit automatischer Konfiguration und Kommunikation?
Theunissen:
Genau! Unsere Vision bei Lenze ist, keine übergeordnete Steuerung mehr zu benötigen und dass sich alle Module, Maschinen und Anlagen automatisch unterhalten und abstimmen. Ist hier ein Teil fertig geworden, so weiß die Anlage, welcher Schritt als nächstes auf welcher Maschine notwendig ist. Bis das standardisiert ist und ohne hohen Integrationsaufwand funktioniert, werden natürlich noch viele iterative Schritte in Zukunft notwendig sein.
Sind proprietäre Schnittstellen heute überhaupt noch ein Thema?
Bruder:
Längst setzt noch nicht jeder Maschinenbauer OPC-UA und die Standards ein, sondern nutzt - auch durch das gewählte Steuerungssystem bedingt - beispielsweise Profinet oder EtherCAT. Und der Anlagenbetreiber muss die verschiedenen Kommunikationsstandards über ein Gateway dann wieder „irgendwie“ miteinander sprechen lassen. Also das Problem der proprietären Schnittstellen gibt es definitiv noch.
Plug & Produce soll wie Plug & Play im IT-Bereich funktionieren. Wären aus Ihrer Sicht zumindest alle technischen Voraussetzungen schon gegeben?
Bruder:
Ja, denn mit und über OPC-UA kann die komplette Kommunikation erfolgen. Die bereits erwähnten Skills lassen sich über OPC-UA perfekt transportieren. Wir haben auf der SPS IPC Drives 2018 in einem Showcase bei der Verpackung verschiedener Produkte mit unterschiedlichen Modulen in einer Fertigungslinie gezeigt, was mit OPC-UA schon heute möglich ist.
In der Praxis sind wir aber noch weit weg von Plug & Produce. Was sind aus Ihrer Sicht die „Haupthinderungsgründe“?
Bruder:
Neben dem flächendeckenden Einsatz von OPC-UA ist vor allem für die Etablierung der Administration Shell noch viel Arbeit zu erledigen. Natürlich muss auch die mechanische Konnektivität gegeben sein, denn wie kommt sonst das Produkt von A nach B? Hier etabliert sich aber zunehmend die Robotik zum Überwinden von Hürden und für die notwendige Flexibilität.
Theunissen:
Vor allem die Flexibilität wird Robotern eine entscheidende Rolle als Medium für den Materialtransport verleihen. Der Roboter erhält einfach die Information „hole Produkt X an Position A ab und bringe es an Position B“. Und wie er das dann wieder macht und was er alles kann, wissen die benachbarten Maschinen über seine Skills. Und beim nächsten Produkt oder beim nächsten Rezept erledigt der Roboter die Aufgabe dann eben anders, weil er es an eine andere Maschine übergeben muss. Notwendig ist hierfür natürlich eine auf Standards basierende Kommunikation.
Über welche Standards sind denn diese Skills beschrieben?
Bruder:
Es gibt bis dato noch keinen Standard auf Maschinenebene, der Skills definiert - die aktuellen Companion Specs wie Pack ML für Verpackungsmaschinen sind aber schon mal ein großer Schritt in Richtung standardisierter Kommunikation. Die Standards müssen aber für alle Industriesegmente die Administration Shell mit den Skills definieren, um Plug & Produce zu realisieren. Erst dann können alle Maschinen und ganze Produktionslinien über OPC-UA und den zugehörigen Companion-Specs ihre Skills austauschen, sich miteinander unterhalten und selbst abstimmen. In den Gremien arbeiten wir mit Hochdruck daran. Neben Pack ML gibt es erste Versionen der Companion Specification „OPC UA Robotics“ für selbstbeschreibende Roboter und „OPC-UA Vision“ für die Beschreibung von Bildverarbeitungssystemen. Auch Euromap, die OPC-UA Companion Specification für ein einheitliches Informationsmodell bei Kunststoff- und Gummimaschinen ist schon weit fortgeschritten. Die Textilindustrie fängt ebenfalls an, sich Gedanken über standardisierte Beschreibungsmodelle zu machen.
Was muss ein Maschinenbauer beachten, um fit für Plug & Produce zu sein?
Bruder:
Standards, Standards und nochmal Standards! Er muss auf jeden Fall OPC-UA implementieren und auf die zugehörigen Companion Specifications setzen. Die weitere Standardisierung muss von den Maschinenbauern vorangetrieben werden. Außerdem sollte er seine Maschine möglichst modular aufbauen, um flexibel auf die neuen Anforderungen reagieren zu können.
Welche Rolle spielt Lenze, wenn es um Plug & Produce geht?
Bruder:
Wir unterstützen OEMs und Maschinenbetreiber in der Umsetzung von Plug & Produce-Konzepten! Der Maschinenbauer hat das Know-how über die Administration Shell und Lenze unterstützt bei der Umsetzung von Skills und die Implementierung von OPC-UA nebst zugehörigen Companion Specifications. Wir sind nicht nur in den wichtigen Standardisierungsgremien und Arbeitsgruppen dabei, sondern haben auch die Erfahrung und die Technologien für die Umsetzung von Plug & Produce. Als Lenze sind wir der richtige Automatisierungspartner für unsere Kunden.
Theunissen:
Wir setzen uns sehr stark damit auseinander, was Maschinenbauer und -betreiber jetzt beschäftigt und womit sie verstärkt in Zukunft kämpfen. Hierfür bieten wir eine Automatisierungsplattform, die voll auf die zukünftige Anforderungen von Plug & Produce zugeschnitten ist. Wenn Sie hier nach unserer Automatisierungsplattform fragen, dann fokussieren wir uns auf Steuerungssysteme inklusive Software, Safety, IO-Systeme, Visualisierung, Servotechnik und unsere Antriebstechnik. Aber diese Komponenten sind nur ein Mittel zum Zweck, um Kunden optimal und vollumfänglich von der Planung über das Engineering bis hin zur Umsetzung der Modularisierung und Plug & Produce zu unterstützen.