Schon die Entwicklung emissionsarmer, elektrifizierter Antriebe ist komplex. Doch die Automobilindustrie hat sich sehr viel mehr vorgenommen: Das Fahrzeug der Zukunft soll umweltverträglich, digital vernetzt und autonom sein. Diese Ziele sind nur zu schaffen, wenn es einen Paradigmenwechsel in der Fahrzeugentwicklung gibt. Entwickler müssen enger zusammenarbeiten und brauchen dafür neue Möglichkeiten, um das komplexe Verhalten verteilter Funktionen simulieren und deren Sicherheit und Zuverlässigkeit in der gebotenen Tiefe und Breite testen zu können.
Diese Absicherung kann nicht nur auf Testfahrten und konventionellen Hardware-in-the-Loop(HiL)-Tests gründen. Vielmehr sind leistungsfähige Umgebungen erforderlich, um vernetzte Systeme virtuell nachbilden und in Simulationen erproben zu können – auch in Kombination mit realen Komponenten und mit Entwicklungsartefakten aus den verschiedensten Quellen. Sensorik, Datenkommunikation, Antrieb, Lenkung und Fahrwerk müssen ebenso nachgebildet werden, wie Fahrdynamik, Wegstrecken, Topographie, Wetter- und Lichtverhältnisse oder andere Verkehrsteilnehmer und Car-to-X-Kommunikation.
Diese unvollständige Aufzählung verdeutlicht den Umfang der Aufgabe. Und sie macht klar, dass auf Fahrzeugsoftware und ihre Entwickler hochkomplizierte Aufgaben zukommen. Zumal die Logik komplexer Funktionen häufig auf mehrere vernetzte Steuergeräte verteilt ist. Um eine solche heterogene Systemwelt nachzubilden, braucht es offene und skalierbare Simulationsplattformen.
Kosten- und Zeitaufwand senken
Bisher erfolgen Model-, Software- und Hardware-in-the-Loop-(MiL-, SiL- und HiL-)Tests meist sequentiell, wobei jeweils unterschiedliche Abteilungen aus verschiedenen Bereichen von Entwicklung und Qualitätssicherung federführend sind. Die Evaluierung von neuen Fahrzeugfunktionen erfolgt durch die Modellierung ihres Verhaltens in MiL-Umgebungen. So validierte Steuergerätefunktionen werden anschließend auf Softwarekomponenten abgebildet und in SiL-Umgebungen getestet, wobei virtuelle Steuergeräte den Kosten- und Zeitaufwand senken.
Da sie unabhängig von Hardwareprototypen verfügbar sind und sich ohne zusätzliche Kosten vervielfältigen lassen, werden sie zunehmend auch in HiL-Tests eingesetzt. Diese beinhalten umfassende Gesamtsystemtests bis hin zur Validierung der kompletten E/E-Architektur. Typischerweise setzen Testingenieure an HiL-Prüfständen auf andere Simulationen als Funktions- und Softwareentwickler in ihren MiL-/SiL-Umgebungen. Um komplexe Systeme künftig schnell und effizient zur Marktreife zu bringen, braucht es enger verzahnte, agilere Abläufe. Das schließt ein, nur die Testfälle an kostenaufwendigen HiL-Prüfständen durchzuführen, bei denen dies zwingend nötig ist. Tests, die mit der MiL-/SiL-Methodik am PC machbar sind, sollten genau dort erfolgen. Die Voraussetzung sind auch hier skalierbare Systemsimulationen, die in MiL/SiL- und in HiL-Tests nutzbar sind.
Durchgängige Systemsimulationen
Gefragt ist der Wandel hin zu agilen Prozessen und zu fließenden Übergängen zwischen Entwicklung und Test. Softwarekomponenten sind hierbei meist Bestandteile einer verteilten Funktion, an deren Entwicklung Teams diverser Unternehmen mitwirken. Für das Testen solcher Funktionen sind hochdurchlässige Lösungen für die kontinuierliche Integration und Validierung erforderlich. Neue und vorhandene Tools müssen in solch einer Umgebung ebenso kompatibel sein wie Simulationsmodelle und Konfigurationen. Zudem brauchen Entwickler die Möglichkeit, Artefakte früherer Entwicklungsschritte und Projekte weiter- und wiederzuverwenden. Solche ineinandergreifende Abläufe setzen leistungsfähige Umgebungen zur Generierung virtueller Steuergeräte voraus. Benötigt werden praktikable Werkzeuge für die Integration und Konfiguration von modularen Systemmodellen und skalierbare Plattformen zur flexiblen Ausführung der Simulationen.
Wichtig ist, dass etablierte Modellierungsumgebungen unterschiedlicher Anbieter und bereits vorhandene Fahrzeug- und Umgebungsmodelle nutzbar bleiben. Einzelne Systembestandteile müssen ebenso wie vernetzte Gesamtsysteme simulierbar sein. Mal kann hierfür ein gewöhnlicher Windows-Laptop genügen. Mal muss eine Multi-Echtzeitrechnerstruktur eines umfangreichen Netzwerk-HiL-Systems her. Kurz: Wirklich zukunftssicher ist nur eine Plattform, die maximale Flexibilität bietet. Flexibilität ist jedoch angesichts der Unterschiede im Zeitverhalten von MiL-/SiL- und HiL-Tests sowie der heterogenen Schnittstellenlandschaft eine Herausforderung.
Aber es gibt eine Basis: Standards wie FMI, ACOSAR und AUTOSAR sowie standardisierte Protokolle der LIN-, CAN-, FlexRay-Busse und Automotive-Ethernet-Netzwerke. Strecken- und Funktionsmodelle lassen sich damit ebenso koppeln wie Steuergerätenetzwerke. Ergänzend bedarf es relevanter Schnittstellen und Protokolle zur Integration domänenspezifischer Streckenmodelle und Steuergerätefunktionen. Für die Automatisierung von Testabläufen sind geeignete Testautomatisierungsschnittstellen wünschenswert – etwa die von ASAM standardisierte XIL API.
Auf den genannten Standards baut die offene Simulationsplattform Etas Cosym auf. Im Kern ermöglicht sie durchgängige MiL-/SiL-/HiL-(XiL-)Tests von Systemen unter besonderer Berücksichtigung von Steuergerätenetzwerken. Dafür bietet Cosym eine ganze Palette effizienter Werkzeuge: So können Entwickler durch den Import von Strecken-, Funktions- und Restbusmodellen sowie deren Signalverknüpfung Systemmodelle erstellen und virtuelle Netzwerke einrichten, in denen die virtuellen und physikalischen Steuergeräte verknüpft sind. Der Vorteil: Statt nur Signale von Modellen zu koppeln, bilden die Netzwerke auch die Netzwerkkommunikation ab. Virtuelle ECUs aus Etas Isolar-Eve werden auf Mikrocontrollerabstraktionsebene statt auf Applikationssoftwareebene in Cosym angebunden.
Plattform ermöglicht durchgängige Tests
So sind die Simulationen viel genauer. Daneben bietet Cosym ein Konfigurationswerkzeug für MiL-, SiL- und HiL-Umgebungen – jeweils abhängig von der Ausführungsplattform und dem Zeitverhalten (Echtzeit oder synchron zur Zeitskala der Simulation). Auch die bewährte Etas-Experimentierumgebung lässt sich verwenden. Und obendrein ebnet die Plattform den Weg zur Automatisierung über die XiL-API oder eine native REST-Schnittstelle, welche eine moderne softwaretechnische Anbindung von „Continuous-Integration“-Umgebungen ermöglicht.
Cosym basiert auf modernster Softwaretechnologie mit konsequenter Trennung von Services und Benutzerführung. Die gut dokumentierte REST-Schnittstelle zu den Services lässt eine einfache Integration in eigene Benutzerführungen zu. Auch eine web-basierte Benutzerschnittstelle ist Standard. Dank der konsequent serviceorientierten Architektur ist auch die Einbindung von Cosym in integrierte Entwicklungsumgebungen wie Eclipse völlig unproblematisch.
Cosym ist eine leistungsfähige, offene Plattform, die Tests und Validierungen verteilter Funktionen und vernetzter, eingebetteter Systeme im Fahrzeug möglich macht. Ihre Einführung erfolgt in drei Schritten. Seit Ende 2017 steht Cosym für die Etas Labcar-HiL-Systeme zur Verfügung. Hier dient sie der Vorverlagerung von HiL-Tests in virtuelle Umgebungen. Es lassen sich unter anderem Streckensimulationen der Labcar-Model-Familie verwenden. Wo virtuelle statt physikalischer Steuergeräte oder geeignete Funktionsmodelle zum Einsatz kommen, ist schon so die Virtualisierung des Gesamtsystems möglich.
Markteinführungsszenario und Ausblick
Beim aktuellen zweiten Schritt ist die Integration virtueller Netzwerke für gängige Fahrzeugbusse umgesetzt. Für die Anwendungsfälle MiL und SiL werden auch virtuelle Zeitskalen als Alternative zur Echtzeitsimulation unterstützt. Dies ermöglicht zum einen die Durchführung von Tests mit genaueren, aber dafür meist nicht echtzeitfähigen Simulationsmodellen, zum anderen aber auch eine schnellere Berechnung als Echtzeit bei der Verwendung von beispielsweise Modellen aus dem HiL-Umfeld.
Im dritten Schritt schafft Etas schließlich die Voraussetzungen für die Kalibrierung komplexer Systeme in virtuellen Umgebungen. Besonderes Augenmerk liegt hier auf Emissionen von Antrieben im tatsächlichen Fahrbetrieb (Real-Driving Emissions). Auch lassen sich ADAS- und Fahrautomatisierungsfunktionen im virtuellen Rahmen anpassen und trainieren.
Mittelfristig wird Etas die Cosym-Plattform für die Ausführung auf leistungsfähigen Serverinfrastrukturen in Unternehmen („on-premises“) oder in der Cloud ausbauen. Mit Blick auf die datenintensive Entwicklung im Bereich des autonomen Fahrens liegt zudem ein Entwicklungsschwerpunkt auf Big-Data-Lösungen, mit denen Entwickler schnell die relevanten Mess- und Simulationsdaten aus großen Datenbeständen filtern können. Mit all diesen Leistungsmerkmalen sorgt Cosym dafür, dass moderne Fahrzeugsysteme umfassend und effizient während des gesamten Entwicklungszyklus validiert werden können, damit die Zukunft des Automobils sicher auf die Straße kommt.