Scheitern erlaubt Innovation durch Vertrauen

Vertrauen in die eigenen Mitarbeiter ist eine wichtige Grundlage für Innovation.

07.02.2019

Die herkömmlichen Strukturen der meisten Unternehmen sind auf vorhersehbare, planbare Ereignisse ausgerichtet, nicht aber auf permanenten Wandel. Dieser überfordert die bestehenden Strukturen: Um aber in einer sich stets verändernden Welt mitzukommen, braucht es eine innovationsfördernde Unternehmenskultur. Eine Grundlage davon ist Vertrauen in die Mitarbeiter.

Wollen Unternehmen erfolgreich sein, ist es in Zukunft wichtig, dass sie auch langfristig immer wieder neuen Veränderungen begegnen können. Dazu wird ein hohes Maß an Innovationspotenzial benötigt. Es geht darum, schnell und kundenorientiert permanent neue Ideen und Innovationen hervor zu bringen. Das kann durch schnelle, flexible Einheiten sowie Mitarbeiter, die eigenverantwortlich entscheiden, denken und handeln, gelingen. Dies ist zunächst einmal eine Frage der Unternehmenskultur. Mitarbeiter sollten in die Lage versetzt werden, aktiv mitzuarbeiten und mitzudenken, um schnell und flexibel Kundenwünsche zu erfüllen.

Flexibles Reagieren ist nur dann möglich, wenn nicht jeder Schritt abgestimmt werden muss und dazu erst verschiedene hierarchische Ebenen durchlaufen werden müssen. Das bedeutet, Entscheidungen sollten möglichst an der Basis getroffen werden, nicht von der Führung. Dafür sollte sich das Unternehmen bei allen Themen, wo das möglich ist, radikal dezentral organisieren. Es braucht möglichst flexible Einheiten, die selbstständig denken und handeln.

Beispiel Scrum

Die meisten großen Unternehmen haben heute bereits Team-Strukturen eingeführt. Bei der Organisation ist es wichtig, dass möglichst alle, die zusammen an einem Prozess arbeiten, in einer Einheit organisiert sind. Das verhindert langwierigen Abstimmungsprozesse über Hierarchien und Abteilungsgrenzen hinweg. Um schnelle Entscheidungen zu ermöglichen, werden die zu berücksichtigenden Rahmenbedingungen und Vorgaben vorab geklärt, sodass das Team oder die Einzelperson eigenverantwortlich die notwendigen Entscheidungen treffen kann.

An dieser Stelle darf die Methode Scrum nicht unerwähnt bleiben. Scrum ist ein Prozess für agile Projektentwicklung, bei dem eine Detailplanung immer nur für die nächste zeitliche Einheit, nehmen wir als Beispiel einen 14 Tage-Sprint, vorgenommen wird. Damit trägt der Prozess der Notwendigkeit Rechnung, flexibel auf etwaige Änderungen zu reagieren. 14 Tage sind eine ausreichend kurze Phase, um die Situation danach noch einmal neu zu bewerten und Anpassungen vorzunehmen.

Ein weiteres Element für Agilität: Sogenannte Tickets, also Projektaufträge, werden nicht von einer Führungskraft vorgegeben, sondern gemeinsam im Team definiert. Die Projektaufträge liegen in einem imaginären Regal und innerhalb des Zwei-Wochen Taktes nehmen sich Teammitglieder in Selbstorganisation die Projektaufträge zur Bearbeitung vor, auf die sie Lust haben oder wofür sie sich besonders geeignet halten. Am Ende sollen sämtliche Aufträge abgearbeitet sein. Damit sämtliche Aufgaben auch erledigt werden, gibt es den Scrum-Master. Dieser fungiert als Koordinator, nicht aber als Führungskraft. All diese flexiblen dezen-
tralen Strukturen der neuen Welt erfordern etwas, was in vielen Konzernen wenig vorhanden ist: Vertrauen.

Mitarbeiter als Unternehmer im Unternehmen

Die Anforderungen an Führungskräfte werden in den nächsten Jahren eher noch weiter steigen. Damit die Führungsetage nicht zu einem riesigen Flaschenhals mutiert, in dem sich zahlreiche wichtig Entscheidungen stauen, sollten Entscheidungen möglichst dezentral getroffen werden. Mitarbeiter sollten sich als Unternehmer im Unternehmen begreifen und entsprechend agieren. Es ist also entscheidend, dass Führungskräfte ihren Mitarbeiten Vertrauen entgegen bringen

Klare Vorgaben sind wichtig

Allerdings kann eine dezentrale Struktur nur dann funktionieren, wenn von oben eine klare Richtung kommuniziert wird und auch die einzelnen Projekte gut definiert werden. Es braucht Strukturen, Koordination und Orientierung, schließlich muss dem Mitarbeiter klar sein, was er entscheiden kann und was nicht. Hat das Team einen klar definierten Auftrag bekommen, kann es ab da als selbstorganisierte kleine Einheit alleine entscheiden. Die Struktur eines Projektteams ähnelt den Strukturen in einer kleinen Firma: Wie in kleinen Unternehmen funktioniert die Kommunikation untereinander sehr gut. Jeder weiß, was zu tun ist und sollte es dennoch einmal Unsicherheiten geben, fragt man einen anderen Mitarbeiter. Auf diese Weise findet jeder seine Aufgabe, denn das Ziel ist jedem klar – und das Team läuft in die richtige Richtung.

Firmenkultur als Orientierung

Die Kultur eines Unternehmens kann dabei als Orientierung dienen. Wenn jedem Mitarbeiter klar ist, was die Werte des Unternehmens sind und er im Gefühl hat, welches Vorgehen als richtig oder falsch angesehen wird, dient ihm das als Entscheidungsrichtlinie. Eine solche Kultur entsteht durch viel Kommunikation, viel Abstimmung und viel Miteinander. Ein Unternehmen, dass mit einer Vertrauenskultur arbeitet, hat immer auch viele Plattformen und Möglichkeiten des Austauschs und der Abstimmung. Soziales Miteinander ersetzt Führung und Entscheidung von oben. Führungskräfte können mit Mitarbeitern über Themen sprechen und sich bei unsicheren Entscheidungen mit ihnen abstimmen.

Ein Beispiel für eine erfolgreich gelebte Vertrauenskultur zeigt die Hotelkette Ritz-Carlton. Dort hat jeder Mitarbeiter jeden Tag einen Verfügungsrahmen von 2.000 Euro pro Gast zur Verfügung, um diesem sogenannte „Wow-Momente“ zu schenken. Das Ziel ist, Mitarbeiter in die Lage zu versetzen, schnell und flexibel zu entscheiden. Manchmal ist ein Gast unzufrieden, manchmal ergibt sich spontan eine Gelegenheit, einen Stammgast zu überraschen und zu begeistern. Hier sollen Mitarbeiter frei handeln können. Wenn man dieses Konzept durchdenkt, neigt man unweigerlich dazu hochzurechnen, was passiert, wenn jeder Mitarbeiter diesen Handlungsspielraum täglich ausschöpfen würde: Das Unternehmen wäre binnen kurzer Zeit pleite!

Mitarbeiter sollten unternehmerisch denken und handeln

Das Konzept kann also nur dann funktionieren, wenn die Mitarbeiter unternehmerisch denken und handeln und vernünftig mit dem Verfügungsrahmen umgehen. Darauf werden sie sensibilisiert. Der Erfolg gibt Ritz-Carlton Recht: Monatlich besprechen die Mitarbeiter ihre Entscheidungen im Team. Tolle „Wow-Momente“ werden gefeiert und motivieren alle Kollegen. Nur sehr selten kommt es vor, dass Entscheidungen unverhältnismäßig getroffen werden. Das wird dann konstruktiv besprochen. Es wird nach Handlungsalternativen gesucht und der Mitarbeiter lernt daraus fürs nächste Mal. Dadurch sind Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit gleichermaßen gestiegen.

Feedback ist ein wichtiges Mittel zur Orientierung. Deshalb sollte es in der Organisation institutionalisiert werden. Insbesondere selbstständig arbeitende Teams müssen einschätzen können, ob sie mit ihren Handlungen die gewünschten Ziele erreichen. Dabei meint Feedback hier nicht speziell das - natürlich ebenfalls wichtige - persönliche Feedback. Die Rückmeldung, die es an dieser Stelle braucht ist zum Beispiel, dass alle Zahlen transparent und alle nötigen Fakten und Informationen stets frei zugänglich sind. Damit können die Mitarbeiter jederzeit überprüfen, welche Ergebnisse und Auswirkungen ihre Handlungen haben.

Fehler machen erlaubt

Ebenfalls wichtig sind regelmäßige Feedbackmeetings. In Scrum gibt es zum Beispiel die „Sprint Retrospektive“. Bei ihr reflektiert das Team nach Abschluss eines Sprints, wie Kommunikation, Zusammenarbeit und Ablauf des letzten Sprints empfunden wurden, und was man für das nächste Mal lernen kann. Wenn Feedback konstruktiv als Chance für Verbesserung empfunden wird, entsteht daraus ein permanenter  Lernprozess.

Essentiell für eine innovative Unternehmenskultur ist, wie im Unternehmen mit Fehlern umgegangen wird. Wenn man etwas Neues ausprobiert, dann kann das natürlich schief gehen. Müssen Mitarbeiter bei Fehlern aber mit negativen Konsequenzen rechnen, probieren sie lieber nichts Neues aus. Es ist also wichtig ein Scheitern gar nicht mehr als Fehler zu sehen, sondern als notwendiges Trial and Error. Nur so kann Innovation entstehen.

Innovationskultur ist auch eine Frage der Haltung: Ansehen gibt es für den geleisteten Beitrag zum Erfolg, nicht für die Position oder die Zugehörigkeit. Mitarbeiter kriegen nicht automatisch einen Titel, Vorzüge oder mehr Gehalt, nur weil sie in einer führenden Rolle sind. Positionen können nach Anforderungen wechseln. Einzelbüros und Firmenwagen passen nicht in so eine Kultur, denn diese verfestigen Hierarchien. Gewünscht ist eine flexible Struktur, die sich jederzeit an die Gegebenheiten anpassen lässt.

Vertrauen ist ein großer Schritt

Bei Unternehmen, die bisher keine Vertrauenskultur haben, hat sich oft ein spannungsgeladenes Gegeneinander zwischen Mitarbeitern und Führung verfestigt. Die Mitarbeiter spüren, dass man ihnen nicht vertraut. Sie merken, dass die Führung sie kontrolliert und Dinge regelt, die sie eigentlich gerne selbst entscheiden würden. Wie bei Teenagern entsteht eine trotzige Stimmung und es kann passieren, dass genau deshalb auch Kontrolllücken ausgenutzt werden oder der Mitarbeiter nicht bereit ist mehr zu geben als er muss.

Je strenger die Regeln, desto mehr wird versucht diese zu umgehen, wenn gerade nicht kontrolliert wird. Vertrauen ist ein Vorschuss – und zwar völlig unabhängig davon, wie die Mitarbeiter auf die ausbleibende Kontrolle reagieren. Das Vertrauen kann erst mittelfristig die Eigenverantwortung der Mitarbeiter mit sich bringen. Dafür sollte es Unternehmen gelingen, Mitarbeitern seine Ziele klar zu kommunizieren. Auf diese Weise kann Schritt für Schritt ein innovationsförderndes Klima entstehen.

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel