In absehbarer Zeit können mit einem elektrischen Auto 400 Kilometer mit einer einzigen Ladung zurückgelegt werden. Damit erübrigt sich das Aufladen in der heimischen Garage. „Vielmehr wird das elektrische Betanken der Fahrzeuge am Arbeitsplatz oder an der Autobahn stattfinden“, ist sich Crijn Bouman sicher. Er ist Vizepräsident des Bereichs Business Development bei ABBs Elektromobilitätssparte. Bouman hat das von ihm gegründete Unternehmen Epyon für Schnelllade-Lösungen vor einigen Jahren an ABB verkauft.
Ein gutes Beispiel, wie dynamisch sich der Markt ausweitet, stellt laut Bouman der Ausbau des niederländischen Schnelllade-Netzwerks dar. Das Unternehmen Fastned eröffnet dort zum Beispiel wöchentlich neue Ladestationen. Die Firma erhielt 2012 die Konzession für den Bau von Schnelllade-Einrichtungen an 201 Autobahn-Raststätten. Heute gibt es rund 60 Lademöglichkeiten, Ende 2017 sollen es rund 130 Stationen sein. Das ist notwendig, weil die niederländische Regierung beschlossen hat, dass bis 2020 2,5 Prozent und bis 2025 12,5 Prozent der etwa acht Millionen zugelassenen PKW elektrisch fahren sollen. Da die Autofahrer nicht auf die Flexibilität konventioneller Autos verzichten möchten, müssen sich die Batterien der E-Cars innerhalb von kurzer Zeit wieder aufladen lassen.
2013: 150 Kilometer in 15 Minuten laden
Vor diesem Hintergrund erteilte Fastned im Sommer 2013 den Auftrag für die entsprechenden Ladestationen an ABB. Mit den Stationen Terra 52 und Terra 53 des Unternehmens, die eine Leistung von 50 kW aufweisen, können die Elektrofahrzeuge in 15 bis 20 Minuten für eine Reichweite von 150 km aufgeladen werden. Dazu verwendet ABB CCS-Ladestecker (Combined Charging System) des Verbindungstechnikherstellers Phoenix Contact. Darüber hinaus umfassen die Stationen AC-Stecker Typ 2 gemäß der Norm IEC 62196 für das konventionelle Laden mit Wechselstrom sowie CHAdeMO-Stecker (Charge for Moving). Durch diese verschiedenen Steckertypen, können sämtliche Modelle an Elektrofahrzeugen mit Strom versorgt werden. Die Ladestationen verfügen über eine auf offenen Standards aufgebaute Cloud-Anbindung, wodurch sie sich an jede Service- und Bezahlanwendung anschließen lassen.
Das Combined Charging System (CCS) wurde von der deutschen und amerikanischen Automobilindustrie in Kooperation mit Phoenix Contact erarbeitet. Ziel war die Standardisierung der Ladeschnittstelle zwischen Fahrzeug und Ladestation. Dabei sollte sowohl gängiges AC-Laden als auch ein viel schnelleres DC-Laden möglich sein. Entstanden ist das inzwischen weit verbreitete Typ-2 Combined Interface mit lediglich einem Steckkontakt am E-Mobil, über den an AC- und DC-Stationen geladen wird. Dadurch kann der Anwender sein Elektrofahrzeug entweder konventionell über Nacht in der Garage oder bei längerer Verweildauer auf Parkplätzen mit Wechselstrom betanken. Außerdem ist ein schnelles Laden innerhalb weniger Minuten an zum Beispiel Raststätten, Restaurants, Supermärkten oder Banken durchführbar. CCS entspricht der Norm IEC 62196-3 und SAE J1772. Es gibt Steckergeometrien für den in Nordamerika üblichen Typ 1 und für den in Europa gängigen Typ 2.
Ladestrom wird kontinuierlich überwacht
Mit dem in den Fastned-Stationen genutzen CCS-Stecker des Typs 2 von Phoenix Contact lassen sich Ladeströme von 200 A und Spannungen bis 1.000 V erreichen. Dadurch können die Fahrzeugakkus in weniger als einer halben Stunde aufgeladen werden. Gemäß Norm befindet sich in den Fahrzeug-Inlets ein elektromechanischer Verriegelungsaktuator. Er verschließt den Fahrzeug-Ladestecker während des Ladeprozesses seitlich respektive direkt am Rasthaken im Steckgesicht. Dabei ist der Aktuatorbolzen darauf ausgelegt hohen Auszugskräften standzuhalten. Zu einem sicheren Ladevorgang gehört auch die Überwachung des Ladestroms. Kommt es zu einer Überhitzung des Systems, beispielsweise bei hohen Außentemperaturen oder durch Überlastung, wird das von PT1000-Widerstandssensoren erfasst. Die Signalausgänge teilen der Ladestation dann die Temperatur der Leistungskontakte mit, damit sie den Ladevorgang abschaltet oder die Ladeleistung herunterstuft.
Batteriespeicher puffern erzeugten Strom
Die Fastned-Ladestationen sind aufgrund ihrer Bauform gut zu erkennen. Das ausladende Dach bietet nicht nur Schutz bei schlechtem Wetter, sondern ist ebenfalls mit Solarpanels versehen. Denn zum Betanken der Elektrofahrzeuge setzt Fastned zu 100 Prozent Energie aus Wind und Solar ein. Batteriespeicher an den einzelnen Stationen puffern den erzeugten Strom für Zeiten, in denen die Sonne nicht ausreichend scheint oder Flaute herrscht. Pro Station stehen mindestens zwei Schnelllade-Säulen zur Verfügung, um längere Wartezeiten zu vermeiden. Zudem haben die Kunden Zugang zu einem WiFi-Netzwerk. Dadurch lässt sich die Wartezeit während des Ladevorgangs besser überbrücken. Sie können zum Beispiel ihre Emails lesen, Meetings vorbereiten, Musik hören oder sogar TV-Serien schauen. Fastned ist sich sicher, dass die schnellere Ladegeschwindigkeit auch die Ladekosten reduziert. Wenn hunderte E-Mobile pro Tag betankt werden können, amortisiert sich der höhere finanzielle Aufwand des Unternehmens für die Hardware schnell.
Zur Zeit beträgt der Aktionsradius von E-Cars 150 Kilometer. Er wird sich in Zukunft auf 300 bis 500 Kilometer ausdehnen. Wenn die Reichweite der Elektroautos in Zukunft weiter steigt, muss die Ladeinfrastruktur dem Rechnung tragen. Für Bouman ist das keine Zukunftsmusik: „Schon jetzt ist es möglich, 1.000 V bei 200 A durch Ladestecker zu leiten, wobei noch höhere Ströme in Planung sind.“ Aktuell sind mit AC, CHAdeMo und CCS drei Schnelllade-Standards auf dem Markt. In Europa durchsetzen wird sich seiner Meinung nach CSS.
Große Ladezentren an Ausfallstraßen platziert
Die höhere Reichweite wird auch das Ladeverhalten der Autofahrer verändern. „Ich bin mir sicher, dass zahlreiche Menschen ihre Elektrofahrzeuge am Arbeitsplatz oder der Autobahn betanken werden“, meint Crijn Bouman. Deshalb würden an den Ausfallstraßen der Städte große Ladezentren entstehen, an denen die E-Autos lediglich ein- bis zweimal pro Woche geladen werden. Immerhin hätten zum Beispiel momentan 75 Prozent der niederländischen Haushalte keine Möglichkeit, einen eigenen Ladeanschluss zu installieren.