Herr Ruscher, Lithium-Ionen-Energiespeicher überrollen den Markt. War es das jetzt mit dem Bleiakku?
Ruscher:
Nun ja, Totgesagte leben am längsten, wie wir wissen. Aber ganz im Ernst, die mittlerweile breite Auswahl von Lithium-Ionen-Batterien für industrielle Anwendungen, wie eine unterbrechungsfreie Stromversorgung, ist zwar erfreulich, aber noch lange kein Abgesang auf den Bleiakku. Die beiden Technologien überlappen im Moment nur in Teilbereichen, nach wie vor muss man die Anwendungsfälle genau betrachten.
Aber hat die neue Generation von Lithium-Ionen-Akkus nicht deutliche Vorteile hinsichtlich Energiedichte, Lebensdauer und Temperaturstabilität?
Doch, das stimmt, wenn man die Werte an sich nimmt. Verstehen Sie mich nicht falsch, moderne Lithium-Ionen-Energiespeicher geben dem Bereich unterbrechungsfreie Stromversorgungen dringend benötigte Innovationsimpulse. Wir wären ein schlechter Hersteller, wenn wir diese Technologie nicht genau bewerten und in aktuellen Produkten verbauen würden. Wenn sie die richtige Anwendung haben, sind die Eckdaten von Lithium-Ionen-Akkus nicht zu schlagen.
Was könnte so eine Anwendung sein?
Es geht um den Anwendungsfall, nicht nur um die Anwendung an sich. Eine USV in einem Rechenzentrum (RZ) lässt sich je nach Anwendungsfall optimal mit Blei oder eben mit Lithium-Ionen betreiben. Ein RZ kann beispielsweise in einem sehr beengten Gebäude aufgebaut sein, wo jeder Quadratmeter sehr teuer ist. Dort hat Lithium-Ionen-Technologie Vorteile, weil die Energiedichte höher ist. Zudem benötigt es wegen der nicht vorhandenen Ausgasung keinen eigenen belüfteten Batterieraum. Auch das spart Platz und damit Kosten. Spielt der Platzbedarf hingegen keine Rolle, sind Bleiakkus im Rechenzentrum häufig die bessere Wahl.
Gibt es weitere Anwendungsfälle, in denen Lithium-Ionen-Technik die Nase vorn hat?
Ich denke, neben der höheren Energiedichte ist die Zyklenfestigkeit der zweite wesentliche Pluspunkt von Lithium-Ionen. Sie liegt mindestens um den Faktor 10 über der eines Standard-Bleiakkus. Das ist immer dann wichtig, wenn die Spannung häufiger aus dem Toleranzbereich fällt und die USV puffern muss. Solche Situationen finden Sie in Ländern mit weniger ausgereiften Stromnetzen. Oder wenn in einer Region sehr viel gebaut und die Netzversorgung häufig abgestellt wird. Auch der gesamte Bereich Home-Grid stellt hohe Anforderungen an die Zyklenfestigkeit. Dort wird ein Akku täglich be- und entladen. Es gibt aber auch spezielle Industrieanwendungen, die mit Lithium-Ionen deutlich besser und effizienter betreibbar sind als mit Blei. Wir bieten beispielsweise USV-Systeme für den Einsatz zum Peak-Shaving an. Dabei werden Lastspitzen abgefangen, die sonst zu erhöhten Bereitstellungsentgelten des Stromversorgers führen würden. Solche Spitzen fallen in der Regel täglich an, ein Bleiakku erreicht damit sehr bald das Ende seiner Lebensdauer. Lithium-Ionen-Akkus hingegen halten deutlich länger, verursachen dadurch weniger Wartungs- und, auf die Gesamtlaufzeit gesehen, auch weniger Gesamtkosten.
Stichwort „Kosten“: Im Vergleich mit Bleiakkus wurden immer die höheren Kosten von Lithium-Ionen-Batterien genannt. Nähern sich die beiden Technologien in dieser Hinsicht allmählich an?
Also, der Kaufpreis eines Lithium-Ionen-Akkus ist höher als der eines Bleiakkus, und das wird auch auf absehbare Zeit so bleiben. Aber das heißt nicht, dass die resultierende Lösung teurer ist, schon gar nicht auf die Lebensdauer gesehen. Wie schon angesprochen ist die Lebensdauer der Lithium-Ionen-Akkus deutlich höher als die von vergleichbaren Bleiakkus. Selbst wenn man Reinbleiakkus mit theoretisch 15 Jahren Lebensdauer nutzt, ist die erzielbare Lebensdauer deutlich niedriger. Und das gilt für optimale Bedingungen hinsichtlich Temperatur und Ladezyklen. Ein Lithium-Ionen-Akku ist bei den Ansprüchen an die Temperatur moderater, die Folgen für die Lebensdauer sind deutlich geringer. Es verändert die Kostenstruktur der Lösung schon deutlich, wenn die Energiespeicher länger optimal nutzbar bleiben.
Dann ist die Kostenbetrachtung nur auf die Gesamtlebensdauer der Lösung sinnvoll?
Ja, absolut. Und Sie dürfen auch nicht vergessen, dass in einem Lithium-Ionen-Akkumulator auch immer ein Batteriemanagementsystem (BMS) eingebaut ist. Das geht gar nicht anders, weil die Zellen viel empfindlicher auf Überladung reagieren. Mit dem BMS wird sichergestellt, dass zu jeder Zeit optimale Bedingungen für die Zelle herrschen. Drüber hinaus liefert das BMS eine Vielzahl von sehr wichtigen Daten, um beispielsweise proaktiv einzugreifen, wenn sich Parameter verschlechtern. Für Bleiakkus gibt es zwar auch BMS, die werden aber fast nie verbaut. Damit ist ein Vergleich der beiden Akku-Technologien auf Ebene der einzelnen Zellen in puncto Kosten ohnehin nicht zielführend.
Sie hatten es gerade angesprochen, das Thema Sicherheit spielt bei Lithium-Ionen-Akkus eine ganz andere Rolle als bei Blei. Das Gefahrenpotenzial gilt als deutlich höher. Ist das immer noch so?
Ja und nein. Zunächst müssen wir die Lithium-Ionen-Technologie differenzierter betrachten. Wir haben bisher immer von Lithium-Ionen gesprochen, ohne auf die tatsächlich verwendeten Materialien einzugehen. Häufig wird Lithium mit Mangan als Kathode kombiniert. Das ergibt relativ leichte Zellen, die auch im Automobilbereich verwendet werden. Deren Nachteil ist aber eine heftige Reaktion bei Beschädigung. Eisenphosphat hat dagegen sehr ähnliche Speichereigenschaften bei etwas höherem Gewicht, reagiert bei Beschädigungen aber viel weniger aggressiv. Auch wenn ein Nageltest nicht die absolute Aussagekraft hat, zeigt er doch, wie unterschiedlich die beiden Materialkombis reagieren.
Beim Nageltest wird die Zellenwand mit einem Stahlnagel durchschlagen?
Korrekt. Und im Gegensatz zu den Lithium-Mangan-Zellen, die beim Nageltest praktisch immer mit Qualm und Flammen reagieren, treten bei Lithium-Eisenphosphat nur Gase aus.
Heißt das, dass es bald eine VDS-Zulassung für Lithium-Ionen-Zellen geben wird?
Ich bin absolut der Meinung, dass die Hersteller von Lithium-Ionen-Blöcken eine solche Zertifizierung anstreben sollten. Aber meiner Ansicht nach sollte man nicht so bald mit einer Zulassung rechnen, der Aufwand dafür ist sehr hoch.
Auch wenn die Lebensdauer der Lithium-Ionen-Zellen sehr hoch ist, irgendwann erreicht sie doch das Ende ihrer Einsatzdauer. Und dann sieht es, wie viele Kritiker sagen, schlecht aus, wenn es um das Recycling geht.
Im Moment ist das Recycling von Bleiakkus viel einfacher, ganz klar. Das liegt aber daran, dass wir viele Jahre Erfahrung damit haben. Bleiakkus werden seit einem halben Jahrhundert wiederaufbereitet. Und selbst bei Blei hat es lange gedauert, bis ein wirtschaftlich sinnvolles Recyclingmodell entstand. Bei Lithium-Ionen fehlen die Erfahrung, die Infrastruktur und das komplette Ökosystem, das entsteht gerade. Aber klar ist auch: Die Lithium-Ionen-Zellen sind so wertvoll, wir können es uns gar nicht leisten, auf deren Recycling zu verzichten. Darum wird es auch funktionierende Recyclingmodelle geben.
Sie zeichnen ein gemischtes Bild der Lithium-Ionen-Technologie. Technisch überlegen, aber nicht immer, teurer, aber nicht auf die Gesamtlaufzeit gesehen, sicher, wenn der richtige Materialmix genutzt wird. Wie sieht Ihrer Ansicht nach die Zukunft der Energiespeicher konkret aus?
Ich würde eher den Begriff „anwendungsbezogen“ anstelle von „gemischt“ verwenden. Wenn sie eine passende Anwendung haben, ist Lithium-Ionen-Technologie die perfekte Technologie, auch heute schon. Sie ist marktreif und verfügbar, nicht nur wir bieten Lösungen mit Lithium-Ionen an, andere Hersteller tun es auch. Um herauszufinden, ob Blei oder Lithium-Ionen der richtige Energiespeicher ist, müssen Sie Ihren Einsatzfall genau kennen und analysieren, am besten mit einem Partner zusammen, der genau weiß, was mit welchem Aufwand machbar ist. Sie werden überrascht sein, wie oft die Wirtschaftlichkeit für Lithium-Ionen-Technologie spricht.