Möglichkeiten wie sterile Pflaster, künstliche Beatmung oder eine Operation am offenen Herzen scheinen heute alltäglich, aber waren für die jeweilige Zeit sehr große Fortschritte. Spätestens seit Erfindung der Anti-Baby-Pille ist auch Deutschland in den Fokus der Medizintechnikwelt gerückt.
Bedingungen in Deutschland
Heute hat Deutschland in der Medizintechnik durch die große Zahl gut ausgebildeter Ärzte, Forscher und Ingenieure und durch den hohen Standard der klinischen Forschung gute Voraussetzungen, neue Produkte und Verfahren zur Marktreife zu führen. Vorteile liegen auch in den kürzeren Zulassungszeiten und in der guten und kostengünstigeren klinischen Forschung. In Deutschland kostet es durchschnittlich rund 8 bis 10 Millionen Euro, eine neue Idee aus der Medizintechnik zur Marktreife zu bringen. In den USA sind diese Kosten mit rund 80 Millionen Dollar wesentlich höher. Die Bundesrepublik ist der größte Binnenmarkt für Medizinprodukte in Europa. Der Standort verfügt über eine gute Infrastruktur, eine zentrale Lage, gute Verkehrsanbindung und hohe Versorgungssicherheit. Wichtig ist auch die Nähe zu den führenden Maschinen- und Packmittelherstellern.
Jedoch gibt es auch Nachteile am Standort Deutschland, die unter anderem dazu führen, dass das Wachstum des lokalen Marktes weniger dynamisch ist, als das des Weltmarkts. Das Belegt auch die jüngste Studie des Bundesverbands für Medizintechnik BVMed. Die Umfrage unter Herstellern und Vertreibern von Medizinprodukten vom Herbst 2013 zeigt auf, dass das Wachstum der Medizintechnik-Branche in Deutschland deutlich abgeschwächt ist und der Standort an Attraktivität verliert.
Resultat der Studie
Das Umsatzwachstum der Medizintechnik-Unternehmen hat sich gegenüber dem Vorjahr deutlich abgeschwächt. Das Umsatzwachstum liegt im Inland bei durchschnittlich nur noch 2,6 Prozent. In den Vorjahren waren es noch rund 5 Prozent.
Auch die Gewinnentwicklung der Unternehmen ist deutlich zurückgegangen. Nur noch ein Viertel der Unternehmen erwarten in diesem Jahr in Deutschland ein besseres Gewinnergebnis. Über ein Drittel erwarten zurückgehende Gewinne. Das liegt vor allem am stärkeren Preisdruck unter anderem durch Einkaufsgemeinschaften, an der innovationsfeindlichen Politik der Krankenkassenverbände, an gestiegenen Rohstoffpreisen und an höheren Außenständen.
Wegen der schlechten Inlandsentwicklung gerät auch der Jobmotor Medizintechnik ins Stottern. Nur noch 45 Prozent der befragten Unternehmen haben gegenüber dem Vorjahr neue Arbeitsplätze geschaffen. Im Vorjahr waren es noch 58 Prozent. 16 Prozent haben gegenüber dem Vorjahr Personal abgebaut. Die neue Bundesregierung ist also laut Verband gefordert, durch eine kohärente Innovationspolitik aller beteiligten Ressorts den Medizintechnik-Standort Deutschland wieder attraktiver zu machen.
Die Umsatzentwicklung sieht weltweit deutlich besser aus als im Inland. 80 Prozent der befragten Medizintechnik-Unternehmen rechnen mit einem besseren Umsatzergebnis als im Vorjahr. Aus den Umsatzangaben ergibt sich ein weltweites Wachstum der BVMed-Unternehmen um 4,4 Prozent.
Arbeitskreis Medizintechnik
Trotz nachlassendem Wachstum hat der VDMA eine Arbeitsgemeinschaft Medizintechnik gegründet, da sich neben den klassischen Produktionstechnikherstellern auch Anbieter von Komponenten, die in medizinischen Endprodukten verbaut sind und einschlägige Forschungsinstitute für eine entsprechende Arbeitsgemeinschaft interessieren. Angesprochen sind außerdem die Abnehmer aus der Medizintechnik und Mediziner selbst.
Ziel der Arbeitsgemeinschaft ist es, eine gemeinsame Plattform rund um die Produktionsausrüstung und die Produktentwicklung für die Medizintechnik zu bieten. „Ein Dialog zwischen Maschinenbau, Medizin und Medizintechnik findet bisher nur unzureichend statt“, sagt Harald Preiml. „Das wollen wir ändern und alle Beteiligten in der Wertschöpfungskette an einen Tisch holen.“ Die Herausforderungen seien vielfältig und am besten interdisziplinär zu lösen. An der Arbeitsgemeinschaft beteiligen sich 14 Fachbereiche im VDMA: Antriebstechnik, Elektrische Automation, Fluidtechnik, Kunststoff- und Gummimaschinen, Laser für die Materialbearbeitung, Mess- und Prüftechnik, Mikrosystemtechnik, Nahrungs- und Verpackungsmittelmaschinen, Oberflächentechnik, Präzisionswerkzeuge, Robotik und Automation, Software, Textilmaschinen und Werkzeugmaschinen.
Diese Fachbereiche bedienen alle die Abnehmerbranche Medizintechnik. Während die Werkzeugmaschinenhersteller die Produktionstechnik zur Herstellung von Prothesen und Implantaten liefern, stellt die Oberflächentechnik z. B. deren Biokompatibilität sicher. Während die Mikrotechnik die zunehmende Miniaturisierung medizintechnischer Produkte ermöglicht, sichern Softwareanbieter, dass auf Basis individueller Patientendaten individuelle Teile gefertigt werden können und der Mediziner mit intelligenten Assistenzsystemen unterstützt wird. Darüber hinaus steuert Software hochkomplexe medizinische Geräte, in denen wiederum viele Komponenten aus der Antriebs- und Fluidtechnik stecken. Das Know-how der Spritzgießmaschinenhersteller fließt in die Produktion medizinischer Einwegartikel oder komplexer Teile aus Kunststoff ein.
Produktionstechnik-Plattform
Die Belieferung der überaus anspruchsvollen Abnehmerbranche Medizintechnik verlangt von den Ausrüstern viel Engagement und vor allem einen langen Atem: Jeder, der Leistungen und Produkte in die Branche verkaufen möchte, muss sich mit seiner Organisation auf die komplexen Prozesse und gesetzlichen Rahmenbedingungen bei den Kunden einstellen. Bei der Fertigung von Prothesen oder Implantaten besteht die Herausforderung beispielsweise darin, Einzelteile so wirtschaftlich herzustellen, wie es in einer Serienproduktion gelingt. Zudem sind validierte Produktionsverfahren notwendig, um alle Qualitätsanforderungen erfüllen zu können. Diese und andere Themen will die Arbeitsgemeinschaft aufgreifen und Unterstützung leisten. Im Mittelpunkt der Aktivitäten steht zunächst die Positionierung und Bekanntmachung der neuen Plattform in der Öffentlichkeit bei den relevanten Zielgruppen und die intensive Kommunikation ihrer fachlichen Kompetenz. Außerdem wird sie zügig den Dialog mit den Forschungspartnern aufnehmen und gemeinsam mit den Mitgliedern die wichtigsten Themen für das Arbeitsprogramm definieren.