Der Automobilproduzent stellt hohe Qualitätsanforderungen an die Fertigung seiner Fahrzeuge. Zu diesem Zweck werden alle Komponenten der PKWs nach strengen Kriterien geprüft und optimiert. Um eine kosteneffiziente und umfassende Kontrolle zu ermöglichen, kommt der automatisierten Qualitätsprüfung eine immer größere Bedeutung zu. Fehler werden somit nicht mehr manuell gesucht und nachgearbeitet, sondern durch Sensorsysteme – wie Ultraschallsensoren oder Kameras – erfasst, mit Hilfe einer Automatisierungseinheit ausgewertet und beispielsweise durch Roboter automatisch beseitigt. Im Karosseriebau des Automobilherstellers liegt ein großer Fokus auf der Qualitätskontrolle der Schweißstellen, welche die Blechteile miteinander verbinden. Die ordnungsgemäße Durchführung der Schweißarbeiten erweist sich für die Stabilität und Langlebigkeit der Fahrzeuge als essenziell. Abgesehen von der Überprüfung der Festigkeit ist die Entfernung von Schweißspritzern ein wichtiger Bestandteil der Inspektion, da die Kanten der Spritzer später gelegte Leitungen aufschneiden oder aufscheuern können.
In der Vergangenheit fand die Kontrolle manuell statt, indem die Karosserien seitlich eingeschwenkt und diffus beleuchtet wurden. Anschließend ließen sich die erkannten Schweißspritzer mit einem Dremel-Multifunktionswerkzeug beseitigen. Zur Automatisierung dieser visuell anstrengenden Arbeit entschied sich der Automobilhersteller für ein Proof of Concept, also eine Machbarkeitsstudie, in der acht Kameras die Kontrolle vornehmen. Die detektierten Schweißspritzer werden danach von einem robotergeführten Rotationswerkzeug entfernt.
Flexible Einsatzmöglichkeiten
Damit die automatisierte Beseitigung von Schweißspritzern durch Kameras und Roboter umgesetzt werden kann, wird eine zusätzliche Softwarelösung benötigt. Diese Software muss im ersten Schritt die Synchronisierung zwischen Kamera und Beleuchtung sicherstellen, sodass sich eine Helligkeitsregelung anwenden lässt. Gibt es ein stabiles Bild, ist der Bildausschnitt auf Schweißspritzer zu inspizieren. Wird ein Schweißspritzer identifiziert, erfolgt auf Basis der Kamerastellung eine Umrechnung der Position in das Koordinatensystem des Roboters. Im nächsten Schritt kann der Roboter an die entsprechende Stelle gesteuert werden, um den Spritzer mit seinem Rotationswerkzeug zu beheben.
Zur Erkennung der Schweißspritzer kommt im dargestellten System eine industrielle Bildverarbeitung zum Einsatz. Diese lässt sich sowohl regelbasiert als auch durch maschinelles Lernen (Machine Learing, ML) realisieren. Wegen der unterschiedlichen Form, Größe und Position der Schweißspritzer hat sich der Automobilhersteller für ein ML-basiertes Verfahren entschieden. Denn durch ihre Generalisierungseigenschaften kann die ML-Lösung flexibler für andere Bauteilformen herangezogen werden. In einem Positivbeispiel erlernt das vortrainierte ML-Modell während des Trainings das Feststellen der Schweißspritzer anhand von deren Eigenschaften auf dem Blech, zum Beispiel Glanz, Schattenwurf oder Form. Auf diese Weise lässt sich das Modell unabhängig vom betrachteten Karosserieteil und Aussehen des Spritzers nutzen.
Für die Verwendung des ML-Verfahrens sind im ersten Schritt Bilder von Bauteilen mit und ohne Schweißspritzern zu erstellen. Die Schweißspritzer werden dann manuell im Bild identifiziert und formell beschrieben. Dies kann beispielsweise durch die Koordinate auf dem Bild oder Begrenzungsrahmen um den Spritzer geschehen. Der Datensatz wird nun zum Modelltraining eingesetzt, die formelle Beschreibung zur Kontrolle der Erkennungsgenauigkeit genutzt. Im Anschluss lässt sich das trainierte Modell auf aktuellen, ungesehenen Bildern testen. Aufgrund der Generalisierung detektiert das Modell die Spritzer jetzt ebenfalls auf vorher nicht bereitgestellten Bildern und kann somit als Identifikator für deren Beseitigung verwendet werden.
Abgestimmtes Konzept
Neben der eigentlichen Lösung zur automatisierten Qualitätskontrolle in den Anlagen des Automobilherstellers bedarf es eines abgestimmten Automatisierungskonzepts. Dies umfasst die Anbindung und Spannungsversorgung der Kameras und Beleuchtung, die Nutzung einer prozessgebenden SPS zur Steuerung der Linie und der Roboter inklusive eines Melde- und Alarmsystems, die Ausführungseinheiten für die ML-Verfahren sowie eine Bedienstation zur Mensch-Maschine-Interaktion. Darüber hinaus müssen die einzelnen Komponenten in ein effizientes, störungsfreies Netzwerkkonzept überführt werden. Phoenix Contact hat den Automobilproduzenten bei der Erstellung des Konzepts sowie der Evaluierung einer passenden Hardware für die ML-Verfahren unterstützt.
Zur Automatisierung, Netzwerkankopplung und bei den Bedienstationen wurde auf bewährte Systeme des Blomberger Unternehmens zurückgegriffen, die beim Automobilhersteller bereits seit längerem im Einsatz sind. Für die Softwareauswahl zur Ausführung der ML-Verfahren stellte der Automobilproduzent mehrere vortrainierte Modelle zur Verfügung. Diese sind von Phoenix Contact in eine Laufzeitumgebung für maschinelles Lernen eingebunden und anschließend auf verschiedenen Industrie-PCs (IPC) des eigenen Portfolios getestet worden. Dazu wurden die CPU- und RAM-Auslastung der IPC in einem Dauertest überprüft. Dessen Ergebnisse sowie die Auswahl der am besten geeigneten Hardware unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit erhielt der Automobilhersteller abschließend. Hardware, Software und Services werden von Phoenix Contact im Rahmen der Kampagne Digital Factory now auch für andere Branchen angeboten.
Zukünftige Potenziale
Das ausgewählte Konzept integriert sich bestens in die aktuellen Anforderungen des Automobilproduzenten. Außerdem lassen die Weiterentwicklungen der ML-Technologie in der Fabrikautomation zukünftig zusätzliche Optimierungspotenziale erkennen. Auf der Grundlage einer Container-Virtualisierung können in Zukunft Dienste der Automatisierung und Verbesserungen – wie die Durchführung des ML-Verfahrens – ebenfalls in der IT- oder Cloudumgebung umgesetzt werden. Auf der Automatisierungsebene lässt sich die Modellausführung durch die Nutzung von GPU-unterstützenden Industrie-PCs deutlich beschleunigen. Ferner müssen die Netzwerke für die Automatisierungsprotokolle – etwa Profinet – heute von den Kameranetzwerken getrennt werden, da eine zielgerichtete Priorisierung der Datenpakete nicht möglich ist. Mit Technologien wie Time-Sensitive Networking (TSN) lassen sich beide Netzwerke zusammenfassen, was den Netzwerkaufwand erheblich reduziert. Phoenix Contact arbeitet bereits an der Anwendung von TSN. Im Anforderungsmanagement helfen die regelmäßige Durchführung von Technologietagen sowie der Austausch zwischen dem Automobilhersteller und den Spezialisten des Blomberger Unternehmens im operativen Geschäft bei der zielgerichteten Weiterentwicklung dieser Technologien gemäß den Ansprüchen der Automobilindustrie.
Der Automobilproduzent setzt schon jetzt ML-Verfahren zur automatisierten Qualitätskontrolle ein. Phoenix Contact unterstützt hier als Partner bei der Evaluierung sowie dem Automatisierungs- und Netzwerkkonzept mit Hard- und Software sowie entsprechenden Services.