Dabei beschreiben wir, was wir unter Industrieautomatisierung verstehen und wie wir sie segmentieren. Wir stellen die Spielregeln der einzelnen Segmente dar und arbeiten deren Gemeinsamkeiten heraus, die wiederum erklären, warum der M&A-Markt (Merger & Akquisitionen) in der Industrieautomatisierung bisher weitgehend so träge, und im Vergleich zu anderen Industrien so inaktiv war. Schließlich bewerten wir den Grad der Industriekonsolidierung, bevor wir die Implikationen aufzeichnen, die sich für den handelnden Unternehmer daraus ergeben.
Die Segmentierung ist aufgrund der Vielfältigkeit der Anwendungen, Produkte und Dienstleistungen eine Herausforderung und kann dieser nie vollkommen gerecht werden. Jedoch lassen sich nach eingehender Analyse vier grobe Segmente innerhalb der industriellen Automation ausmachen:
Sensorik, Mess- und Prüftechnik: Dieses Segment umfasst die Sensorik und dazugehörige Bauteile zur Messung und Verarbeitung physiochemischer Parameter: Mechanische und elektronische Sensoren, (elektro-)magnetische Sensoren, MEMS, optische Sensoren & Kameras, Akustiksensoren, (bio-)chemische Sensoren und weitere.
Kabel & Steckverbinder: Hierunter verstehen wir jegliche Anschluss- und Verbindungstechnik zwischen den einzelnen Maschinenkomponenten. Dieses Segment ist vergleichsweise stark standardisiert und umkämpft.
Steuer-, Regelungs- und Antriebstechnik: Dieses Segment umfasst Elektromotoren bzw. Aktuatoren, industrielle Steuerungen (SPS) und Regelkomponenten. Auch hier ist das Geschäft stark komponentenlastig.
Industrielle Software: Dieser stark wachsende, und auch in den Dienstleistungsbereich reinragende Markt setzt sich aus Software für zahlreiche Anwendungen zusammen: Shop Floor, ERP, PLM, Logistik & SCM sowie Implementierungsservice. Der Markt ist jung und zeichnet sich durch starke M&A-Aktivität aus.
Natürlich ist uns bewusst, dass damit nicht alle Bereiche der Automation abgedeckt werden. Viele weitere Segmente bestehen allerdings aus Kombinationen aus den oben genannten, darunter Stromversorgungen, Router & Switches, Robotik & Handling-Equipment, Displays, HMI, Eingabegeräte, Steuerschränke, industrielle PCs & Embedded Systems und viele mehr.
Was ist all diesen Segmenten gemeinsam bzw. was sind die Gesamtkennzeichen der Industrieautomatisierung? Um dies zu erfassen, muss man verstehen, dass jede realisierte Automatisierungslösung letztendlich eine einzigartige Lösung für ein spezifisches Unternehmen darstellt. Jedes Unternehmen, jeder Standort, jede Produktion hat eigene spezifische Anforderungen. Die Folge ist, dass es eine unüberschaubare Anzahl von Nischenprodukten, Nischenlösungen und damit eben auch Nischenanbietern gibt, deren „Bauchläden“ alle ihre Berechtigung haben. Es ist ein wunderbares Feld für ingenieursgetriebene Familienunternehmen, um Nischen zu besetzen. Die Anzahl von kleineren und mittelständisch geprägten Familienunternehmen in der Industrieautomatisierung ist daher sehr hoch, und es tummeln sich nur einige wenige Giganten wie bspw. Siemens unter ihnen. Dieses „Ingenieursgetriebene“ ist jedoch vermutlich auch ein Grund, warum der deutschsprachige Raum, neben Japan, weltweit so stark ist. So kommen 20 der 25 führenden Sensorunternehmen aus dem DACH-Raum und zwei der größten aus Japan (Keyence und Omron). Die USA und China spielen noch eine eher untergeordnete Rolle, wobei die Betonung hier ausdrücklich auf dem „noch“ liegt. Eine weitere Begründung für die Stärke des DACH-Raumes und Japan liegt vielleicht auch in der Knappheit, der für Produktionsanlagen zur Verfügung stehenden Flächen.
Neue Automatisierungslösungen werden in der Regel mit neuen Produktionsanlagen eingeführt und sind an die entsprechend langen Investitionszyklen gekoppelt. Ein Stillstand der laufenden Produktion und deren Umrüstung wäre nicht akzeptabel und erklärt folglich die hohen Qualitätsanforderungen, die an automatisierte Produktionen gestellt werden. Sicherlich ist dies ein Grund, warum die Industrie insgesamt als sehr konservativ bezeichnet werden kann.
All diese Charakteristika haben dazu geführt, dass es in der Industrieautomatisierung eine Vielzahl von Familienunternehmen gibt, die in ihrer jeweiligen Nische bisher über ein wunderbares Auskommen verfügten bei hohem einstelligem, jährlichem Wachstum, und für die es somit keinen Anlass gab zu verkaufen, wenn nicht ein zwingender familiärer Grund vorlag: Daher die bisher geringe Zahl von Transaktionen in der Industrieautomatisierung. Die Spielregeln haben sich allerdings geändert:
Globale Standards werden definiert, und zwar nicht mehr nur von den Automatisierern.
Neue Fertigungskonzepte sind gefragt, die eine hohe Flexibilität der Produkte zulässt.
Kürzere Investitionszyklen.
Durchgehende Digitalisierung.
Neue Produkte und Lösungen erfordern rasche/rapide globale Vermarktung, um schnellstmöglich Degressionseffekte zu realisieren.
Die M&A-Dynamik in der Industrieautomatisierung müsste also deutlich zunehmen. Gehen wir nun noch einmal einen Schritt zurück und übertragen unsere Segmente auf die sogenannte Merger Endgame Graphik. Sie bildet den Grad der Industriekonzentration im Zeitablauf ab, und zwar unter der Annahme, dass sich jede Industrie konsolidiert.
Sensorik, Mess- und Prüftechnik
Die Konsolidierung hat begonnen. Die großen Sensoranbieter, wie beispielsweise Sick, wachsen stärker als die überwiegende Mehrheit der kleineren Anbieter (< 100 Mio. EUR Umsatz). Auch die Tatsache, dass Finanzinvestoren vermehrt in den Markt einsteigen, ist ein klares Zeichen von zunehmender Industriekonsolidierung. Beispielsweise hat die Industrieholding Adcuram Ende 2019 mit der Steinel-Gruppe, einem international agierenden Anbieter von Sensoren, Sensorleuchten, Heißluftgeräten sowie Industriekomponenten, eine Investition in der Automatisierung getätigt. Strategisch setzt man auf ein gemeinschaftliches Wachstum, insbesondere in der Gebäudeintelligenz und durch Internationalisierung. Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart.
Kabel & Steckverbinder
Der Fokus bei vielen Steckverbinder-Herstellern liegt in der kundenspezifischen Lösung. Ist das Unternehmen erst einmal „eindesignt“, oftmals als Single-Source, ist es über den gesamten Produktlebenszyklus ein stabiler Ergebnisbringer. Dieser Ansatz ist in der Industrieautomatisierung jedoch kaum mehr überlebensfähig. Ein gutes Beispiel ist diesbezüglich die Medizintechnik, die durch ein sehr hohes (Produktions-) Volumen den Nischenanbietern keinen Platz mehr bietet.
Steuer-, Regelungs- und Antriebstechnik
Während es bei den Steuerungen mit Siemens schon länger einen dominanten Anbieter gibt, befinden sich die Antriebe, aufgrund eines höheren Volumens, neuen technischen Standards und Schnittstellendefinitionen, in der Konsolidierung.
Industrielle Software
Die industrielle Software befindet sich in der Phase der Kumulation mit vielen Venture Investments oder Start-Up Transaktionen. So gab jüngst Bachmann die Übernahme des deutschen Tech-Startups Indalyz Monitoring & Prognostics (IM&P) bekannt, das von dem Physiker Professor Michael Schulz gegründet und geleitet wurde. Prof. Schulz und sein Expertenteam haben sich auf die Entwicklung, die Implementierung und den Betrieb von intelligenter Monitoring-Software spezialisiert. Auch die Akquise von Lantek durch Trumpf, die damit auf SW in der Blechbearbeitung setzen, die unabhängig vom Maschinenhersteller läuft, unterstreicht diesen Trend. Das SW-Know-how für nahezu jedes Unternehmen in der Industrieautomatisierung notwendig ist, ist offensichtlich, daher auch die steigende Zahl kleinerer Übernahmen. Was noch fehlt ist der Einstieg der Giganten, die noch abwarten, bis sich die Marktstrukturen klarer herausgebildet haben bzw. bis sich skalierbare, nachhaltige Bereiche oder Plattformen gefestigt haben.
Um es pointiert zu formulieren, haben Gesellschafter von Unternehmen aus dem Bereich der Automation nur zwei Möglichkeiten: entweder zu kaufen oder zu verkaufen. Die über Jahrzehnte vorherrschende Form des ausschließlich organischen Wachstums ist keine dauerhafte Option mehr. Wachstum allein ist kein Erfolg, sondern nur das stärkere Wachstum im Vergleich zu Wettbewerbern.
Diese Schlussfolgerung ist zugegebenermaßen sehr polarisierend und kommt dazu noch aus dem Munde einer M&A-Beratungsgesellschaft. Es wird sicherlich immer Nischen geben, in welchen Unternehmen noch über Jahrzehnte bestens überleben und hohe Erträge einfahren werden. Auch die Dauer des „Merger Endgames“ kann von niemanden genau bestimmt werden. Zudem ist und war die Automatisierung mit ihrer Vielzahl von maßgeschneiderten Unternehmenslösungen über viele Branchen hinweg von jeher eine eher zähe Industrie hinsichtlich der Veränderungsgeschwindigkeit.
Aber auch die Automation kann sich dem Merger Endgame, - „Jede Branche konsolidiert sich“ - nicht auf Dauer entziehen. Alle Zeichen einer zunehmenden Dynamisierung sprechen dafür: das stärkere Wachstum der „Großen“, die Globalisierung, der Eintritt von Branchenfremden und von Finanzinvestoren.
Welche Optionen habe ich nun als Unternehmer? Seien Sie offen für M&A, der Königsdisziplin der Unternehmensstrategie. Beobachten Sie die M&A-Transaktionen genau: Wer kauft wen, für wieviel und warum? Sehen Sie M&A nicht als Bedrohung für Ihr Unternehmen, als ein unangenehmes Thema an, sondern als Chance, als integralen Bestandteil ihrer Unternehmensstrategie.
Welche Implikationen hat diese zunehmende Industriekonsolidierung jedoch für den Unternehmer? Dabei betonen wir ausdrücklich, dass dies spezifisch für jedes einzelne Unternehmen untersucht werden muss. Dass sich die Charakteristika innerhalb der einzelnen Segmente der Industrieautomatisierung unterscheiden, haben wir in diesem Artikel hinlänglich dargestellt. Auf ein Produktunternehmen haben die Spielregeln andere Auswirkungen als auf einen Lösungsanbieter; und für einen Sensorhersteller, der kleinere Nischen besetzt, wiederum andere als für den Sensorhersteller, der Hochvolumensensoren anbietet.
Sicherlich wird es weiterhin Unternehmen mit einer begrenzten Anzahl von Kunden geben, die auch künftig auf die spezifische Lösung eines Anbieters und dessen Weiterentwicklung zurückgreifen. Aber für die Mehrzahl der Unternehmen trifft dies nicht zu. Für diese Mehrzahl ist es dringend geboten, sich mit dem Thema M&A und Partnerschaften auseinanderzusetzen. Ein Investor kauft nicht die wunderschöne Vergangenheit und die Ist-Zahlen, denn diese gehören ja noch dem gegenwärtigen Gesellschafter, sondern die zukünftigen Ergebnisse. Er kauft die Zukunft des Unternehmens. Ob jedes Unternehmen die Kraft hat, die guten Ergebnisse zu halten und die damit notwendigen Schritte umzusetzen (Stichwort Globalisierung oder Digitalisierung)?
M&A ist in der Industrieautomatisierung eindeutig angekommen. Oder wie es Christian Wolf (Geschäftsführer der Turck Gruppe) formuliert: „Unser gründergeprägtes Unternehmen wollte immer organisch wachsen, keine Akquisitionen tätigen und alles selber machen. Doch die Digitalisierung gibt uns die Zeit dafür nicht! Wer als Hardware-Anbieter die Software komplett alleine aufbauen will, kann mit der Dynamik des Marktes nicht mehr mithalten.“