Transaktionsgeschehen in der Industrieautomatisierung Mergers & Acquisitions Quarterly

Der Fokus dieser Quarterly-Ausgabe gilt dem Markt für AMRs, der eine beeindruckende Dynamik zeigt, die sich in zahlreichen Transaktionen widerspiegelt.

Bild: iStock, Yevhen Lahunov
27.09.2024

Der Markt für selbstnavigierende autonome mobile Roboter (AMR) entwickelt sich rasant und steht im Fokus unseres aktuellen M&A Quarterly. Wir analysieren die bedeutendsten Übernahmen, beschreiben den Markt und geben einen Ausblick auf zukünftige Entwicklungen. Welche Unternehmen führen den Markt an, und wie sieht die Konsolidierung der Branche aus? Aquins detaillierte Analyse gibt Antworten.

In jeder Ausgabe des M&A Quarterly werfen wir zunächst einen Blick auf den Aquin Industrial Automation Index (siehe Abbildung 1) und relevante Vergleichsindizes, um die Performance der führenden börsennotierten Unternehmen im Bereich der Industrieautomatisierung zu vergleichen. Die Abbildung verdeutlicht, dass die globale Industrieautomatisierung eine resiliente Branche ist (Peergroup von 43 Unternehmen in Europa und Amerika). Obwohl die Kurse seit Jahresbeginn im Einklang mit dem Markt gestiegen sind, deutet sich im dritten Quartal dieses Jahres eine leichte schwächere Entwicklung im Vergleich zum Markt an. Der Fokus dieser Quarterly-Ausgabe gilt allerdings dem Markt für AMRs, der eine beeindruckende Dynamik zeigt, die sich in zahlreichen Transaktionen widerspiegelt. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die wichtigsten Akquisitionen in der Branche.

Besonders interessant sind die Transaktionen von 6 River Systems. Das Unternehmen wurde im Oktober 2019 von Shopify für über 337 Millionen Euro akquiriert. Damit wollte Shopify das im Juni 2022 eingeführte Shopify Fulfillment System unterstützen und Wachstum vorantreiben. Das Vorbild war Amazon und ihre Transaktion von Kiva Systems im Jahr 2012 für über 500 Millionen Euro. Doch nur knapp vier Jahre später war das Projekt offiziell fehlgeschlagen. 6 River Systems wurde für nur 11,6 Millionen Euro an die Ocado Group verkauft. Damit hatte Shopify einen Verlust von mehr als 320 Millionen Euro zu realisieren. Shopify hat zudem den Logistik-Bereich an Flexport verkauft. Damit will sich das Unternehmen wieder vollkommen auf den E-Commerce konzentrieren. Dennoch, ein solch großer Verlust ist ausgesprochen bemerkenswert in der M&A-Welt.

Auf einer positiveren Seite ist auffällig, dass Transaktionen in der AMR-Branche trotz schwieriger Marktbedingungen, wie erhöhter Inflation, Fachkräftemangel hohe Summen erreichen. Insbesondere der japanische Finanzinvestor SoftBank Group hat viel Kapital investiert, um sich eine starke Position in der AMR-Branche aufzubauen. 2019 hat SoftBank ihre erste Transaktion mit der Akquisition von 40% an AutoStore AS für über 2,42 Milliarden Euro vollzogen. Im Jahr 2023 kamen dann zwei weitere Akquisitionen hinzu: 41,08% der Balyo SA aus Frankreich für 11,8 Millionen Euro und 71,95% der Berkshire Grey Inc. aus den USA für 241,2 Millionen Euro. Das ergibt ein Gesamtinvestitionsvolumen von über 2,67 Milliarden Euro. Damit präsentiert sich SoftBank als einer der größten Spieler auf dem Markt und gibt der AMR-Branche eine große Bedeutung in der Automationsindustrie.

Andere Unternehmen, die ebenfalls einen Footprint im AMR-Markt aufbauen wollen, setzen ebenfalls auf Akquisitionen und waren in den letzten Jahren sehr aktiv. Der Testsystem-Anbieter Teradyne (USA) hat 2018 mit Mobile Industrial Robots (MiR) in Dänemark für über 220 Millionen Euro seine erste AMR-Akquisition getätigt. 2019 kam dann AutoGuide für knapp 150 Millionen Euro hinzu. Damit vergrößert der Konzern das Portfolio an Robotik-Lösungen und kann gebündelt mit Universal Robots eine automatisierte Lösung von Anfang bis Ende für Kunden anbieten. Auch der deutsche Intralogistik-Spezialist Jungheinrich und Rockwell Automation (USA) haben ihre Portfolios durch strategische Übernahmen erheblich erweitert. Jungheinrich hat sich mit Akquisitionen von arculus GmbH und Magazino GmbH insbesondere auf den deutschen Markt fokussiert.

Die Akquisitionen in der AMR-Branche zeigen, dass die Unternehmen stark in die Weiterentwicklung ihrer Technologien investieren, um ihre Marktpositionen zu stärken. Insbesondere Technologien zur Verbesserung der Logistik- und Produktionsprozesse stehen im Fokus. Insgesamt ergibt sich aus unserer Stichprobe ein zweistelliger Umsatzmultiple, was außerordentlich hoch ist und sonst fast nur bei Software-Unternehmen beobachtet wird. Dies erscheint vor dem Hintergrund des hohen Softwareentwicklungs-Anteils für einem AMR jedoch plausibel.

Marktgröße und -segmente

Der Markt für AMRs erstreckt sich über mehrere Branchen, darunter Logistik, Produktion und inzwischen auch Kliniklogistik; speziell dort, wo keine Infrastruktur für „klassische“ spurgeführte AGVs vorhanden ist („Brownfield“). In Abbildung 2 werden ausgewählte Marktteilnehmer in einem Blasendiagramm dargestellt. Die x-Achse zeigt dabei die Genauigkeit der Manövrierfähigkeit in Millimetern an. Die y-Achse zeigt die Agilität (Platz-/Rangierflächenbedarf) der AMRs in Quadratmetern. Es wird deutlich, dass die AMRs immer genauer und wendiger werden. Es sei jedoch angemerkt, dass AMRs anwendungsspezifisch entwickelt werden: Genauere und wendigere AMRs werden für geringere Lasten und Geschwindigkeit angeboten und spielen ihre Vorteile vor allem in Umgebungen aus, in denen Fläche begrenzt und teuer ist.

Das Diagramm bildet hauptsächlich Unternehmen aus Nordamerika und Europa ab. Der asiatische Markt hat jedoch auch viele Marktteilnehmer aus China und Japan. Laut Logistics IQ gibt es 280 Unternehmen im Logistik- und Produktionsbereich der AMR-Branche. Logistics IQ prognostiziert zudem eine Marktgröße von etwa 20 Milliarden Dollar bis 2028. Andere Quellen sehen den Markt jedoch noch deutlich kleiner: Statista schätzt den gesamten AMR-Markt bis 2028 auf 2,55 Milliarden Dollar, während Precedence Research eine Einschätzung von 8,15 Milliarden Dollar abgibt. Diese große Diskrepanz zwischen den verschiedenen Prognosen zeigt die Komplexität des Marktes auf, der mit sehr unterschiedlich großem Potenzial gesehen wird.

Kurz- und mittelfristige Erwartungshaltung

Wie sieht also der AMR-Markt in den nächsten Jahren aus? Werden viele einzelne Anbieter auf dem Markt bestehen bleiben und es entsteht ein Polypol, oder wird sich der Markt konsolidieren und wenige große Anbieter werden den Markt dominieren? Derzeit ist die Branche noch stark fragmentiert. Aquin prognostiziert jedoch, dass sich die Branche nach Jahren der Öffnung des Marktes durch Innovation inzwischen in einer Phase der Konsolidierung befindet, in der größere Unternehmen kleinere Technologiefirmen erwerben, um ihre Innovationskraft zu stärken (z. B. im Hinblick auf Sensortechnologie zur Umgebungserfassung oder Software für Selbstlernfähigkeiten/KI und Flottenmanagement) und um ihre Marktanteile auszubauen.

Die große Anzahl der Anbieter erklärt sich auch durch die sehr unterschiedlichen Anwendungsumgebungen der jeweiligen AMR-Produkte. Zudem ist es von wesentlicher strategischer Bedeutung, neben der vergleichsweise einfachen Assemblierung der Elektronik der AMRs auch spezielle Kompetenzen für Steuerungen (SPS), Sensorik (u. a. LiDAR) und Mechanik (Antriebe/Räder) zu integrieren, um diese nicht komplett selbst entwickeln zu müssen. Die zunehmende Integration von AMRs in verschiedene industrielle Anwendungen deutet darauf hin, dass die Nachfrage nach diesen Technologien weiter steigen wird. Komplettlösungen sind dabei Kunden-seitig stark nachgefragt („One-Stop-Shop“).

Gleichzeitig stellen wir fest, dass der Preisdruck, vor allem getrieben durch die Konkurrenz aus Asien dazu führt, dass vor dem Hintergrund hoher F&E-Investitionen derzeit nur sehr wenige Anbieter profitabel arbeiten. In Kombination mit der schwächelnden Wirtschaft im verarbeitenden Gewerbe, insbesondere in Deutschland, ist damit der „AMR-Hype“ zunächst etwas zum Erliegen gekommen. Die nächsten Jahre könnten daher eine Welle weiterer Konsolidierungen und strategischer Akquisitionen bringen, insbesondere durch Marktführer, die ihre Position weiter festigen wollen. Denn grundsätzlich ist der Automatisierungs-Trend intakt, weil der Automations- und Robotik-Markt insbesondere durch den Fachkräftemangel und steigende Arbeitskosten sowie dem Wunsch nach widerstandsfähigeren globalen Lieferketten getrieben wird. Zusätzlich ermöglichen die beiden Ertragshebel (i) sinkende Total Cost of Ownership und (ii) steigende Flächenproduktivität der AMR-Systeme durch Skaleneffekte in der AMR-Produktion bzw. noch besserer Technologie den mittelständischen Unternehmen einen kostengünstigeren Einstieg und vergrößern den Markt weiter. Sinkende Preise bei AMRs, vergleichbar wie bei Cobots, sollten daher zu einer zunehmenden Marktdurchdringung auch bei KMUs führen. Starke Wachstumssegmente sind insbesondere die Produktions- und Kliniklogistik mit beengten und dynamischen Bereitstellungs- und Verkehrsflächen.

Schlussendlich zeigt sich der AMR-Markt trotz globaler wirtschaftlicher Herausforderungen resilient und zukunftsorientiert. Die strategischen Übernahmen und Investitionen der letzten Jahre haben den Grundstein für anhaltendes Wachstum gelegt. Unternehmen, die jetzt in fortschrittliche AMR-Technologien investieren, sind gut positioniert, um von der nächsten Wachstumswelle zu profitieren und ihre Marktstellung zu festigen. Investitionen der Kunden sind lediglich aufgeschoben, nicht aufgehoben.

Bildergalerie

  • Abbildung 1: Aquin Industrial Automation Index

    Abbildung 1: Aquin Industrial Automation Index

  • Abbildung 2: Genauigkeit-Agilitäts-Matrix mit ausgewählten Marktteilnehmern

    Abbildung 2: Genauigkeit-Agilitäts-Matrix mit ausgewählten Marktteilnehmern

  • Tabelle 1: Ausgewählte Transaktionen 2018-2024

    Tabelle 1: Ausgewählte Transaktionen 2018-2024

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