Das Hub in Nähe zum Campus der Universität Bremen soll den Automatisierer Lenze und seine Kunden noch enger zusammenarbeiten lassen. Gleichzeitig wollen die Niedersachsen von dem universitären Forscherdrang in den benachbarten Instituten profitieren. „Unser Ziel ist es, unsere Kunden bei der digitalen Transformation zu unterstützen und ihnen ein Ökosystem für den Austausch anzubieten. Der Digital Hub Industry bietet dafür hervorragende Voraussetzungen und ein außerordentlich kreatives Umfeld“, lobte Lenze-CEO Christian Wendler die Idee des Hubs während der Eröffnung.
Platform-as-a-Service
Das Hub sei Ideen-, Experimentier- und Kollaborationsraum, der einlade, neu zu denken; Dinge auszuprobieren und auch mal Fehler zu machen. Wendler mahnte: „In einem typischen mittelständischen Unternehmen befassen sich einige wenige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im weitesten Sinne mit IT.“ Das sei zu wenig. Und der Fachkräftemangel schlage auch dort voll auf. Das Tagesgeschäft und die Innovationen zusammenzuführen sei heute allein als Unternehmen schwierig, warnte Wendler. Er und seine Kolleginnen und Kollegen wollen helfen – vor Ort, aber neben der physischen Präsenz in den Räumen entwickeln die Automatisierungsspezialisten auch digitale Plattformen für „ihre“ Mittelständler - made in Bremen by Lenze eben.
Einer, der den Spagat zwischen digitaler und analoger Welt täglich meistert, ist Klaas Nebuhr von Lenze. „Die Maschine steht bei vielen Kunden im Mittelpunkt des Geschäftsmodells, deshalb wollen wir die Kerngeschäftsprozesse um die Maschine herum mit digitalen Geschäftsmodellen und Services unterstützen. Dafür bieten wir den OEMs eine Asset-Platform as a Service (PaaS) an“, verspricht Nebuhr. Auch er hat sein Büro im Digital Hub Industry und arbeitet für das neue Geschäftsmodell eng mit jungen Unternehmen zusammen. Nebuhr ist einer der Vordenker bei Lenze.
Die Maschinenbauer, Lenzes Kunden, suchen nach neuen Geschäftsmodellen. Die Margen im Maschinenbau sind nicht so hoch. Das Geschäft wird einmal gemacht und dann entstehen kaum Umsatzchancen. Über eine Plattform könnten Maschinenbauer Zusatzservices anbieten oder Partner, die das Ersatzteilgeschäft vielleicht verantworten mit aufnehmen und gemeinsam Applikationen entwickeln und werden so am Umsatz beteiligt. Doch es mangelt an Expertinnen und Experten und manchmal an der Kreativität. Dort wollen Nebuhr und sein Team ansetzen. Dem Kunden Services anbieten, die er dann weiterentwickeln und wieder vermarkten kann, um so die Margen beispielsweise im Service zu verbessern. Lenze setzt dabei auf einen Platform-as-a-Service- (PaaS)-Ansatz.
„Es ist eine Plattform, die offen ist für Erweiterungen, Anpassungen und Integration. Und das natürlich DSGVO-konform“, verspricht Nebuhr. Er versteht sich mit seinem auf Azure laufenden PaaS-Angebot als Enabler für die KMUs. Lenze liefert sowohl die Komponenten als auch die Sicherheit, die Infrastruktur und erste Applikationen auch aus Partnerunternehmen. Dort mangelt es oft an Entwicklerinnen und Entwicklern. Diese Applikationen könne der Kunde für seinen Maschinenkäufer mit eigenen Funktionen individualisieren und Designs rebranden. „Anschließend kann er sie dann schlüsselfertig an seinen Kunden weitergeben und im nächsten Schritt gemeinsam mit dem Anwender verbessern.“ Lenze gehe mit dem Kunden den ersten Schritt hin zu digitalen Services. „Wir nehmen ihn an die Hand, weil wir dank unseres Asset Managements wissen, was für ihn und seine Kunden Sinn ergeben könnte. Wir sitzen mit unseren Komponenten direkt in der Maschine und kennen die Anwendungen sehr gut.“
Mit mehreren Applikationen geht Nebuhrs Team ins Rennen. „Startpunkt ist unsere OEE & Downtimetracking-Applikation“, berichtet Nebuhr. Denn: Die OEE bereitet vielen Unternehmen immer noch Kopfschmerzen. Bei 80 Prozent sollte sie schon liegen. Die Realität sieht oft anders aus. Es mangelt an Daten, aber viel öfter an deren Transparenz. Das ändert sich mit dem OEE & Downtimetracking. Es sorgt für mehr Transparenz im Produktionsprozess und das ohne zusätzliche Hardware oder Sensoren. Die Lenze-PLC berechnet die OEE. „Wir arbeiten an einer Lösung, die auch andere PLCs berücksichtigt. Die OEE-Lösung ist der erste Schritt für uns und unsere Kunden.“
Servicegeschäft für den Maschinenbau
Darüber hinaus entwickelten die Ingenieure ein Asset- und Ticketmanagement für höhere Maschinenverfügbarkeit, das direkt mit den Maschinen des OEM verknüpft wird. Tritt ein Fehler auf, kann die Maschine nun selbst automatisch ein Ticket erstellen, sodass der Servicetechniker frühzeitig informiert ist. Im Ticket lässt sich ablesen, welche Komponente betroffen ist. Deren Modell, Variante und Seriennummer lassen sich dort ebenso abfragen wie die Position in der Topologie der Maschine. Fehlinformationen aufgrund veralteter Dokumentationen sind dabei ausgeschlossen: Die Information stammt direkt aus der PLC, die stets den konsistenten Ist-Zustand widerspiegelt. „Da die Plattform herstellerneutral gehalten ist und auf offene Standards setzt, können nicht nur Lenze-Produkte abgerufen werden“, erklärt Nebuhr.
Per Remote-Funktion kann sich der Techniker direkt auf die Maschine schalten und beispielsweise Softwarefehler umgehend beheben oder genauere Infos einholen, falls benötigt. Bei Hardwaredefekten lässt sich sofort ein Ersatzteil ordern, das exakt dem verbauten Teil entspricht, ohne dass es zu Verwechslungen kommt, beispielsweise wegen unterschiedlicher Ausrichtungen. Das Lenze-Team entwickelt daraus ein Geschäftsmodell für ihre Kunden. Denn mit der Zeitersparnis auf Seiten des OEM wird sein Service dadurch effizienter und das schlägt sich auch auf die OEE des Anlagenbetreibers nieder, wenn Stillstände verkürzt und Servicekosten gesenkt werden können. „Damit eignet sich das Portal als Grundlage für einen kostenpflichtigen Service, der dem Endanwender immer noch Kostenvorteile, dem OEM sogar zusätzlichen Umsatz bringt“, verspricht Nebuhr. Die Lösung ist Multi-Tennant-fähig, sprich: jeder OEM kann das Portal in seinem Corporate Design gestalten.
Die Idee zu dem Geschäftsmodell entstand in Bremen – im Hub, „weil dort Kunden, Automatisierungsexperten und IT-Entwickler zusammensaßen“, berichtet Nebuhr. „Wir bringen für unseren Kunden die Menschen mit dem richtigen Mindset zusammen“, formuliert Lenze CEO Wendler eine Aufgabe für die nächsten Jahre. „Plattform sein bedeutet mehr als ein paar Applikationen auszutauschen“, unterstreicht der Ingenieur und blickt Nebuhr dabei an. Es brauche die richtigen Menschen mit der Begeisterung für neue Technologien und Ideen für Geschäftsmodelle. Nebuhr nickt zustimmend. Er und sein Team arbeiten schon am nächsten Schritt. Kommt etwa das Lenze-Metaverse? „So nennen wir es sicherlich nicht“, lacht Wendler und verweist auf den Herbst. Nach den Festivitäten zum 75-jährigen Firmenjubiläum will er mehr verraten.