Silizium dominiert weiterhin die Leistungselektronik. Es ist in der Gewinnung und Verarbeitung preisgünstiger als andere Alternativen und nach vielen Jahrzehnten im Einsatzes in seiner Leistungsfähigkeit ausgereift - allerdings auch nahezu ausgereizt. Deshalb und wegen drastisch steigender Ansprüche untersuchen Wissenschaftler und Ingenieure seit Jahren Materialien mit breiter Bandlücke (WBG, Wide Bandgap), um bessere und effizientere leistungselektronische Komponenten zu entwickeln. Bisher haben sich Siliziumkarbid (SiC) und Galliumnitrid (GaN) als die Top-Favoriten herauskristallisiert. Diese WBG-Werkstoffe bieten sich für die Hochleistungselektronik an, weil sie eine höhere Durchbruchsspannung aufweisen und bei höheren Temperaturen betrieben werden können, als Materialien mit schmalen Bandlücken, wie zum Beispiel Silizium.
Generell bieten sich SiC-Halbleiterbausteine für Anwendungen mit hoher Leistung von über 600 V und solche aus Galliumnitrid für Anwendungen mit mittlerer bis niedriger Leistung an. SiC und GaN führen zudem potenziell zu kleineren, robusteren Bauelementen, die schneller schalten und eine höhere Energieeffizienz aufweisen. SiC- und GaN-Produkte bieten eine deutlich bessere Leistung als Komponenten aus Silizium, wenn man den Einschaltwiderstand reduzieren und die Packungsgröße verringern will. Das führt zu schnellerem Laden, geringerem Stromverbrauch und effizienterer Energieum-
wandlung. Sie sind deshalb für Elektroautos und in mobile Geräte sehr gefragt.
Vorteile von Wide-Bandgap
Für effiziente Leistungsumwandlung von Hochspannung im Hochfrequenzbereich ist SiC inzwischen eindeutig zu einer vorteilhaften Alternative zu Si geworden. SiC-Bausteine arbeiten mit höheren Schaltgeschwindigkeiten und bei höheren Temperaturen, weisen gleichzeitig aber geringere Verlusten auf als herkömmliches Silizium. Darüber hinaus ermöglicht SiC den Bau von Umrichtern und anderen Energiewandlern mit verbesserter Leistungsdichte und Energieeffizienz bei geringeren Kosten. Fast alle OEMs und Tier-1s verwenden oder testen SiC-Geräte in Elektro- und Hybridfahrzeugen.
Mittlerweile ist der Mehrwert der SiC-Technologie bekannt und wird von der Leistungselektronikbranche breit akzeptiert. Die Analysten gehen von einer jährlichen Wachstumsrate (CAGR, Compound Annual Growth Rate) bis 2022 von 28 Prozent aus. Ein Teil der Attraktivität von SiC liegt in seinen physikalischen Eigenschaften. Während Silizium ein elektrisches Durchschlagsfeld von
0,3 MV/cm hat, hält SiC bis 2,8 MV/cm aus. Sein Innenwiderstand ist hundertmal kleiner als der von Silizium. Dadurch können Anwendungen mit einem kleineren Chip und damit auch mit kleineren Systemen den gleichen Strompegel bewältigen.
GaN verfügt sowohl über eine hohe Durchbruchsspannung und als auch einen niedrigen Leitungswiderstand. Das ermöglicht schnelles Umschaltung und die Miniaturisierung der Komponenten. Im Gegensatz zu herkömmlichen Si-Transistoren, die größere Chipflächen benötigen, um den On-Widerstand zu reduzieren, haben GaN-Bauelemente kleinere Abmessungen und eine geringere parasitäre Kapazität. Die Miniaturisierung ist unter anderem durch die kleineren passiven Bauelemente möglich. Die Vorteile von Hochspannungs-GaN-FETs kommen vor allem in der Leistungselektronik zum Einsatz, so in Stromversorgungen, Servomotoren und Photovoltaik-Wechselrichtern.
Als Beweis für die wachsende Reife von WBG-Materialien hat die Standardisierungsorganisation Jedec unter dem Namen „JC-70 Wide Bandgap Power Electronic Conversion Semiconductors“ ein neues Komitee gegründet. Es soll dazu beitragen, die für die Entwicklung von Stromversorgungen benötigte Industrieinfrastruktur zu schaffen. Es wird von Interims-Vorsitzenden von Infineon, Texas Instruments und Wolfspeed geleitet und hat zunächst, nicht weiter verwunderlich, die zwei Unterausschüsse GaN und SiC.
22,5 Milliarden Marktvolumen
Einer Untersuchung des Beratungsfirma MarketsandMarkets zufolge wird der Markt für GaN-Halbleiterbauelemente bis 2023 einen Umfang von voraussichtlich 22,5 Milliarden US-Dollar erreichen. Die jährliche Wachstumsrate zwischen 2017 und 2023 liegt bei 4,6 Prozent. 2016 verzeichneten optoelektronische Bauelemente den größten Marktanteil der GaN-Komponenten. LEDs aus dem Material werden häufig in Displays verwendet. Die Analysten erwarten außerdem, dass die Anzahl der GaN-basierten Umrichter für Motorantriebe bis 2013 deutlich wächst.
Noch optimistischer ist das französische Marktforschungsunternehmen Yole Développement in seinem Bericht „RF GaN Market: Applications, Players, Technology, and Substrates 2018 bis 2023“. Darin heißt es: „In den letzten Jahren erlebte der Markt für HF-GaN ein beeindruckendes Wachstum und hat die Landschaft der HF-Energieindustrie neugestaltet.“ Bis Ende 2017 betrug der Gesamtmarkt für RF GaN fast 380 Millionen US-Dollar. Nach Ansicht der Analysten erlebte die Durchdringung der verschiedenen Märkte, besonders in den Bereichen Telekommunikation und Verteidigung, in den letzten beiden Jahren eine Phase des Durchbruchs: Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate in diesen beiden Märkten lag bei über 20 Prozent.
Diese Periode war aber nur der Anfang. Tatsächlich kündigen die Analysten von Yole einen weiteren starken Aufschwung an. Er soll zwischen 2019 und 2020 stattfinden, angeführt von der Implementierung von 5G-Netzwerken. Der gesamte RF-GaN-Markt wird bis Ende 2023 um den Faktor 3,4 wachsen und sich von 2017 bis 2023 durch eine CAGR von 22,9 Prozent auszeichnen. Obwohl das Segment der Stromversorgungen die größte Anwendung für GaN bleibt, deutet vieles darauf hin, dass Rechenzentren zukünftig ebenfalls verstärkt auf GaN-Lösungen
setzen.
Die Analysten von Yole gehen außerdem davon aus, dass der IGBT-Markt bis 2022 auf über 5 Milliarden US-Dollar ansteigen wird. Ein erheblicher Anteil des Wachstums soll auf IGBT-Leistungsmodule entfallen. Auch in diesem Bereich machen SiC und GaN Silizium stark Konkurrenz. IGBTs profitieren von der hohen Leistungsfähigkeit, die SiC- und GaN-Materialien bieten. Den IGBT-Markt im Aufwind sehen auch die Marktforscher von „More than Moore“. Die IGBT-Industrie wird ihnen zufolge ebenfalls dem Wachstumsmuster der Leistungselektronik folgen. Verantwortlich dafür sehen sie vor allem den hochvolumigen Automobilmarkt, und dort hauptsächlich die Elektrifizierung des Antriebsstrangs.
Galliumoxid und Diamant als Alternativen
Neben GaN und SiC sind aber noch zwei weitere WBG-Materialien im RF- und Hochvoltbereich im Rennen. Sie sind deutlich weniger ausgereicht, versprechen aber eine noch höhere Leistungsdichte. Das verhältnismäßig preisgünstige Galliumoxid (Ga2O3) gilt besonders für hohe Spannungen und hochfrequente Anwendungen als vielversprechend. Seine Bandlücke ist noch größer als die von SiC oder GaN; sie hält dadurch fast dreimal so hohe kritische Feldstärken aus. Einkristalle aus Galliumoxid lassen sich wie Silizium oder Saphir durch Tiegelziehverfahren herstellen. Dadurch können große Wafer gefertigt werden, die zehn- bis hundertmal preiswerter sind als SiC- oder GaN-Substrate.
Darüber hinaus wird an einkristallinen Diamanten geforscht, die mit chemischer Gasphasenabscheidung (CVD) sowie unter Hochdruck und hoher Temperatur hergestellt werden. Von allen WBG-Halbleitern besitzt CVD-Diamant bei Zimmertemperatur die höchste Ladungsträgermobilität. Einem hohen elek-
trischen Feld ausgesetzt, bestimmt jedoch die Sättigungsdriftgeschwindigkeit die elektrische Leitfähigkeit. Dabei erreicht Diamant vergleichbare Werte wie SiC. Die besondere Attraktivität von Diamant für die Leistungselektronik besteht darin, dass er die größten elektrischen Feldstärken aller Halbleiter aushält und die höchste thermische Leitfähigkeit aller bekannten Materialien besitzt.
Um Leistungsbauelemente herzustellen, wird Diamant meist mit Bor dotiert, um dadurch über ausreichend Ladungsträger zu verfügen. Auf diese Weise wurden bereits Schottky-Dioden und MOSFETs auf Diamant-Basis entwickelt, modelliert und experimentell verifiziert. Für aktuelle Bauelemente-Architekturen sind allerdings flache Dotierungen erforderlich. Deshalb besteht auf diesem Gebiet wegen des Mangels an effektiven Dotierstoffen für Diamant noch großer Forschungsbedarf.