Meterhohe Wellen, starke Stürme, dazu Öl, Schlamm und heftige Niederschläge: Leben und Arbeiten auf einer Ölplattform ist nicht nur ungemütlich, es ist auch gefährlich. Viel Handarbeit unter Zeitdruck, im Dreck und bei hohen Verletzungsrisiken. Das alles könnte aber schon bald vorbei sein: Der Trend zur Automatisierung ist auch auf Ölbohrplattformen zu beobachten. Ein neues Robotersystem könnte die Arbeiter entlasten. Energieketten von Igus sorgen dabei für die Energiezuführung unter Extrembedingungen.
Das Start-up Robotic Drilling Systems AS (RDS) in Stavanger, Norwegen, – einem Zentrum der europäischen Ölindustrie – entwickelt Roboter mit dem Ziel, die Bohrarbeit auf Ölbohrplattformen komplett zu automatisieren. Das ist ambitioniert: Die Robotik-Systeme arbeiten unter schwierigen Bedingungen und müssen daher unempfindlich gegenüber Salzwasser, Korrosion, mechanischer Beanspruchung und teilweise extremen Temperaturen sein. Außerdem sind die Arbeitsabläufe so komplex, dass beim Handling der Bohrgestänge bis zu 100 Achsen koordiniert werden müssen. Darüber hinaus müssen Energie, Medien und Signale zuverlässig zu den Greifern der Roboter geführt werden.
RDS hat eine ganze Familie von Robotern entwickelt, die diese Anforderungen erfüllen. Der zentrale Drillfloor-Schwerlastroboter mit sechs Achsen und einer Tragfähigkeit von 1.500 Kilogramm am ausgestreckt drei Meter langen Roboterarm verbindet die Elemente der Stands (Bohrgestänge) und steuert den Bohrvorgang. Der ebenfalls voll automatisierte Pipe Handler entnimmt die Segmente aus einem Finger Board (Bevorratungssystem) oder einer Fördereinheit an Deck und führt sie dem Roboter zu. Als weiteres RDS-System unterstützen der Electric Roughneck sowie ein Pipe Handling-Roboter den zentralen Schwerlastroboter beim Handling und Verschrauben der Stands. Alle Systeme sorgen dafür, dass der komplette Bohrvorgang ohne menschliches Zutun abläuft. Nach Angaben des Herstellers arbeitet ein solches System bis zu 40 Prozent schneller und spart zwischen 10 und 20 Millionen US-Dollar pro Jahr.
Bei der siebten Achse des Drillfloor-Robot handelt es sich um ein Schwerlast-Linearsystem, auf dem der komplette Roboter samt Last verfährt. Damit ergab sich für die Konstrukteure die Herausforderung, die Energie- und Signalzuführung entsprechend beweglich zu gestalten – und das bei beengten Platzverhältnissen. Zudem gelten in diesem Bereich hohe Anforderungen des Explosionsschutzes. Für die Linearbewegung der siebten Achse ließ sich die Energiezuführung verhältnismäßig einfach realisieren: Leichte Energieketten aus Kunststoff haben sich bei ähnlichen Einsätzen bewährt und ermöglichen, dass Leitungen für Energie, Daten und Medien gleichzeitig geführt werden können. Kniffliger war es dagegen, die Energie- und Signalzuführung an der Drehachse des Roboterfußes beweglich darzustellen.
Dreh-Modul im Gehäuse
Diese Aufgabe wird mit einem Dreh-Modul von Igus gelöst. Dabei handelt es sich um eine Energiekette, die auf der Seite liegend eingesetzt wird und mit einem rückwärtigen Biegeradius (RBR) arbeitet. Dies bedeutet, dass die Kettenglieder in beide Richtungen bewegt werden, anders als bei üblichen linearen Verfahrwegen. Die Leitungen und Schläuche werden dabei mit Rast-Trennstegen sicher in der Kette geführt und diese in einer runden Führungsrinne eingesetzt.
Beim RDS-Roboter ist das Dreh-Modul ins Robotergehäuse integriert. Das Ergebnis ist eine Komplettlösung in einer besonderen Roboter-Installation, bei der auch chainflex-Leitungen von igus zum Einsatz kommen. Sie sind für explosionsgefährdete Bereiche geeignet und nach NEK 606 zertifiziert. Die Leitungen wurden für bewegliche Anwendungen entwickelt und verfügen über eine lange Lebensdauer bei extremen Bedingungen.
Die Energieketten werden fertig konfektioniert als readychain-Systeme inklusive Steckern in Stavanger angeliefert. Das vereinfacht die Montage und gewährleistet, dass alle Anschlüsse und Verbindungselemente den Anforderungen des elektrischen Explosionsschutzes entsprechen. Gerade bei Offshore-Anwendungen ist die Korrosionsbeständigkeit sehr wichtig. Die wartungsfreien Kunststoffenergieketten können dort ohne Einschränkungen eingesetzt werden. Igus übernimmt sämtliche Arbeitsschritte von der Planung bis zur kompletten Montage vor Ort – auch auf hoher See, denn die Servicemitarbeiter sind für das Arbeiten auf Ölbohrplattformen testiert.
Einbaufertige Komponenten
An den anderen Automatisierungseinheiten des mannlosen Ölbohrprozesses wie dem Electric Roughneck und am Pipe Handler laufen 25 Energieketten. Sie sind an den Masten an den Vertikalachsen der Handlingsysteme angeordnet, mit denen die Stands aus dem Vorrat entnommen und dem zentralen Roboter zugeführt werden. „Es ist für uns wichtig, Komponenten für die Roboter möglichst einbaufertig zu beziehen. Die Systeme sollten zudem möglichst wartungsfrei sein“, sagt Jimmy Bostrom, Chief Operating Officer von Robotic Drilling Systems.
Das von RDS entwickelte Robotik-System eignet sich für die Installation auf neuen Ölbohrplattformen, aber auch für den Retrofit. Es schafft neue Spielregeln für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit von Explorationsprojekten – ein wichtiger Faktor angesichts der niedrigen Ölpreise. Aus diesem Grund stieß die Neuentwicklung von Beginn an auf großes Interesse – und führte unter anderem dazu, dass sich namhafte Bohrunternehmen an RDS beteiligt haben. Das System wurde auch bei den von Igus initiierten Vector Awards mit dem Goldenen Vector 2016 ausgezeichnet. Im September 2015 wurde eine erste Praxis-Installation auf einer Ölbohrplattform in Norwegen in Betrieb genommen.