Die Allianz hat die dritte Auflage ihrer globalen Trade-Umfrage veröffentlicht. Darin wurden 3.200 Exporteure in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Polen, Großbritannien, den USA und China zu den größten Chancen und Risiken im Welthandel, bei Lieferketten sowie wirtschaftlichen und geopolitischen Unsicherheiten befragt.
Trotz aller geopolitischen Spannungen blicken die deutschen Exporteure optimistisch in die Zukunft: Acht von zehn Unternehmen (81 Prozent) erwarten 2024, dass ihre Umsätze um mehr als zwei Prozent steigen. Das ist deutlich mehr als noch im Vorjahr. Damals erwarteten mit 54 Prozent mehr als die Hälfte steigende Umsätze – letztlich brachen diese jedoch um zehn Prozent ein.
Optimismus-Déjà-vu: Unterschätzen Firmen die Risiken?
Im Vorjahr gaben weltweit 70 Prozent der Unternehmen an, dass sie mit einem Umsatzplus bei den Exporten rechnen. Das Jahr endete jedoch mit einer Handelsrezession, da die Nachfrage stärker als erwartet zurückging. Für 2024 wird das Ende der Rezession erwartet. Sind die Unternehmen wieder zu optimistisch?
„Nach mehr als einem Jahr der Rezession erwarten die Exporteure nun einen Aufschwung in der zweiten Hälfte des Jahres 2024, da die Wiederauffüllung der Lagerbestände von Industriegütern zusammen mit der globalen Nachfrage an Fahrt gewinnt“, sagt Françoise Huang, Senior-Volkswirtin bei Allianz Trade. „Dies wird auch die Preise ankurbeln und die Konjunkturbelebung fördern.“
Die Prognosen der Allianz seien jedoch konservativer als die der Unternehmen: „Wir gehen davon aus, dass der Welthandel 2024 wertmäßig um 2,8 Prozent steigen wird, nachdem er 2023 um 2,9 Prozent geschrumpft war. Das liegt deutlich unter dem langfristigen Durchschnitt von +5 Prozent“, sagt Huang.
Das sind die größten Risiken
Lieferkettenschwierigkeiten und logistische Hürden bleiben wie im Vorjahr Top-Risiken der deutschen Unternehmen, gefolgt von geopolitischen Risiken und hohen Energiekosten. „Selten gab es so viele geopolitische Spannungen und Unsicherheiten wie aktuell“, sagt Dr. Jasmin Gröschl, Senior-Volkswirtin bei Allianz Trade. „Diese wirken sich teilweise auf die Lieferketten und Transportwege aus und offenbaren die Risiken von Störungen in der globalen Schifffahrt, wie zum Beispiel die Krise im Roten Meer. Auch die neuen Brexit-Grenzkontrollen dürften Lieferketten auf eine harte Probe stellen. Zudem bereitet der zunehmende Protektionismus Sorgen – insbesondere im Super-Wahljahr, das für Welthandel und Unternehmen viele Unsicherheiten birgt.“
Die meisten Unternehmen erwägen aufgrund zunehmender geopolitischer Bedenken eine Verlagerung ihrer Lieferketten. Aber werden sie das auch umsetzen? Die Allianz-Umfrage zeigt, dass 62 Prozent aus diesem Grund über eine Verlagerung ihrer Produktion nachdenken, der weltweite Durchschnitt liegt bei 53 Prozent. Die Bereitschaft, Lieferketten aufgrund geopolitischer Risiken zu verlagern, steigt häufig, wenn Unternehmen längere Lieferketten und einen größeren Anteil (mehr als die Hälfte) der Produktion im Ausland haben. Der Anteil solcher deutschen Exporteure liegt bei 67 Prozent (gegenüber 62 Prozent weltweit).
Ob es bei Gedankenspielen bleibt oder Exporteure tatsächlich konkrete Maßnahmen ableiten, bleibt abzuwarten. Insgesamt gab nur etwa ein Drittel (34 Prozent) der befragten deutschen Unternehmen an, konkrete Schritte zum Near- oder Friendshoring zu unternehmen. Damit ist der Anteil im Vergleich zum Vorjahr (28 Prozent) nur leicht gestiegen.
„Die Diversifizierung ist zur wichtigsten Strategie geworden, um die Widerstandsfähigkeit der Lieferkette zu erhöhen“, erklärt Ana Boata, Global Head of Economic Research bei Allianz Trade. „Dies birgt jedoch eigene Risiken, steigende Komplexität und potenzielle Engpässe und ist keine perfekte Lösung. So würden beispielsweise 48 Prozent der US-Exporteure, die Produktionsstätten oder Zulieferer in China haben, Länder im asiatisch-pazifischen Raum oder Lateinamerika in Betracht ziehen, um ihre Lieferketten zu diversifizieren. Allerdings wären sie aufgrund der entscheidenden Rolle Chinas als globaler Zulieferer im verarbeitenden Gewerbe immer noch indirekt von China betroffen.“
Zahlungsausfälle bleiben Thema
Trotz der optimistischen Umsatzerwartungen sind sich Unternehmen der zunehmenden Risiken bewusst – auch bei ihren Finanzen. Eine schlechtere Zahlungsmoral, steigende Zahlungsausfälle sowie ein deutlicher Anstieg der Insolvenzen, sowohl in Deutschland als auch weltweit, mischen sich in den aktuellen Risiko-Cocktail.
„Fast 70 Prozent der Unternehmen weltweit werden zwischen 30 und 70 Tagen bezahlt, in Großbritannien, Frankreich und den USA sogar noch häufiger als in anderen Ländern“, sagt Aylin Somersan Coqui, CEO von Allianz Trade. „Vor dem Hintergrund eines geringeren Wachstums, Handelsunterbrechungen und geopolitischer Unsicherheit erwarten 42 Prozent der Unternehmen weltweit, dass sich die Dauer der Zahlungsfristen für Exporte in den nächsten sechs bis zwölf Monaten verlängert. Längere Zahlungsfristen bedeuten einen stärkeren Druck auf den Cashflow, und die Situation könnte sich sogar noch verschlechtern. Darüber hinaus gehen 40 Prozent der Befragten davon aus, dass das Zahlungsausfallrisiko im Jahr 2024 steigen wird. Dies deckt sich mit unserer Prognose, dass die weltweiten Unternehmensinsolvenzen in diesem Jahr um neun Prozent steigen.“
In Deutschland dürften die Insolvenzen in diesem Jahr sogar um rund 13 Prozent zunehmen. Entsprechend erwartet fast die Hälfte der befragten Unternehmen eine sich verschlechternde Zahlungsmoral (48 Prozent). Damit sind die Deutschen pessimistischer als der weltweite Durchschnitt (42 Prozent). Trotzdem rechnet mit 37 Prozent nur etwa jedes dritte deutsche Exportunternehmen (weltweit 40 Prozent) im laufenden Jahr mit mehr Zahlungsausfällen, im Vorjahr war es noch fast die Hälfte (46 Prozent).
Nachhaltigkeit gewinnt an Zugkraft
Auch das Thema grüner Handel und Nachhaltigkeit bei den Lieferketten spielt bei den Unternehmen eine immer größere Rolle. Bei rund drei Viertel der befragten Unternehmen sind die Verantwortlichkeiten für Lieferketten und ESG in einer Position gebündelt.
Dennoch sind die Fortschritte bei den Klimazielen nach wie vor gering. Mit 25 Prozent ist nur ein Viertel der befragten deutschen Unternehmen (weltweit 27 Prozent) der festen Überzeugung, dass ihre Unternehmen ESG-Maßnahmen ergriffen haben, die erhebliche Auswirkungen auf ihr Geschäft haben. Diese reichen von der Umstellung ihrer Logistik auf nachhaltigere Methoden über die Entwicklung nachhaltigerer Produkte bis hin zur Verbesserung der Klimaresistenz ihrer Lieferketten.
„76 Prozent der weltweit Befragten gaben an, dass ihr Unternehmen einen klaren Plan für den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen hat, unabhängig von den Preisschwankungen“, berichtet Coqui. „Dies ist ein großer Schritt nach vorn: Die Unternehmen konzentrieren sich vermehrt auf strukturelle Initiativen und nicht mehr nur auf kurzfristige Maßnahmen. Aber es bleibt noch viel zu tun: Fast zwei von drei Unternehmen planen, ihre Emissionen in den nächsten zwölf Monaten nur um ein bis fünf Prozent zu senken, was nicht ausreicht, um das Netto-Null-Ziel bis 2050 zu erreichen.“