Kommentar von Christian Reinwald, Reichelt Elektronik Quantencomputer für die Industrie: Wohin geht die Reise in Deutschland?

Das Potenzial von Quantencomputern in Deutschland ist riesengroß. Aus diesem Grund investiert der Bund immer mehr in die Quantentechnologie.

Bild: iStock; Bartlomiej Wroblewski
26.10.2022

Mit kaum einer anderen Technologie sind derzeit so große Erwartungen verknüpft, wie mit einem Quantencomputer. Diese könnten mit ihrer enormen Rechenpower beispielsweise die Materialforschung revolutionieren oder Bauteile in verschiedenen Branchen optimieren. In Deutschland steht seit 2021 der erste Quantencomputer, der von IBM in den USA produziert wurde.

Das Anschaffen eines Quantencomputers in Deutschland war ein erster wichtiger Schritt, um sich der Zukunftstechnologie zu nähern und das Know-how auf diesem Gebiet auszubauen. Die deutsche Industrie könnte davon profitieren – doch wo stehen wir in Deutschland überhaupt? Christian Reinwald, Head of Product Management & Marketing bei Reichelt Elektronik schätzt die Lage folgendermaßen ein:

Was ist ein Quantencomputer?

Um die Vorteile eines Quantencomputers zu verstehen, ist es wichtig, zu wissen, wie dieser funktioniert. Die Abgrenzung zu einem herkömmlichen Computer kann dabei helfen: Während dieser nämlich klassische Bits verwendet, nutzt ein Quantencomputer als Rechner die Gesetze der Quantenmechanik. Bits kennen nur den Zustand 1 oder 0. Ein Quantencomputer arbeitet stattdessen mit Quantenbits.

Ein Qubit ist die kleinste Rechen- und Informationseinheit, mit der ein Quantencomputer arbeitet. In dieser Form können im Gegensatz zu den Bits viel mehr Information gleichzeitig repräsentiert und verarbeitet werden. Dadurch ist es möglich, enorm große Datenmengen viel schneller zu verarbeiteten – das birgt großes Potenzial für die Industrie und kann zukünftig zu einer gesteigerten Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, die die Technologie einsetzen wollen, führen.

Ein Praxisbeispiel aus der Automobilbranche zeigt, wie die neuartigen Rechner schon heute ausgetestet werden. Automobilhersteller nutzen viele Bauteile von Zulieferern und sind auf eine einwandfreie Lieferung angewiesen. BMW testet seit 2021 den Quantencomputer der US-Firma Honeywell. In der aktuellen Testphase verfolgt BMW das Ziel, die Lieferkette in Echtzeit zu beobachten und die Fertigungsgeschwindigkeit zu optimieren. Dabei geht es speziell darum, herauszufinden, welche Komponenten der Münchner Automobilproduzent von welchem Zulieferer zu welchem Zeitpunkt kauft, um insgesamt niedrigere Kosten im laufenden Betrieb zu erzielen – der Computer muss die beste Option abwägen.

Bei all den Versuchen am Markt und auch in der Forschung, ist die größte Herausforderung aktuell noch, dass die Qubits sehr störungsanfällig sind: Auslöser wie Umgebungsgeräusche, Vibrationen und Temperaturschwankungen können innerhalb von 100 µs dazu führen, dass sie ihre Quanteneigenschaft verlieren. Bis ein Quantencomputer in ein herkömmliches Rechenzentrum einziehen kann, muss er dafür gerüstet und die Umgebung entsprechend präpariert sein – Ansätze zur Fehlerkorrektur zu identifizieren ist deshalb ein wichtiger Teil der Forscherteams.

Potenzial für Deutschland

Nichtsdestotrotz ist sich die Bundesrepublik der Wichtigkeit dieser Technologie bewusst und förderte noch unter Altkanzlerin Angela Merkel 2021 den Erwerb des ersten Quantencomputers für Deutschland. Mit der Forscherplattform „IBM Quantum System One“ wurde im baden-württembergischen Ehningen ein Gemeinschaftsprojekt der Fraunhofer Gesellschaft für anwendungsorientierte Forschung und IBM mit dem ersten von dem IT-Unternehmen entwickelten universellen Quantencomputer eingeführt. Forscher aus Wirtschaft und Wissenschaft können dadurch die Technologie testen. Für 11.621 Euro Monatsmiete kann der Quantencomputer mit seinen 27 Qubits auch von Unternehmen getestet werden. Und der Bund investiert weiterhin in die Technologie: Bis 2025 möchte er zusätzlich zwei Milliarden Euro dafür einsetzen.

Außerdem gibt es ein Netzwerk aus Universitäten, Forschungsinstituten und Unternehmen – dem sogenannten „Munich Quantum Valley“. Zentrales Ziel des europaweit einzigartigen Netzwerks ist es, in den kommenden fünf Jahren ein Zentrum für Quantencomputing und Quantentechnologie (ZQQ) aufzubauen. Mit „Munich Quantum Valley“ soll nicht nur die Forschung hierzulande gefördert werden, sondern auch an Experten der Quantentechnologie ein klares Signal gesetzt werden, dass Deutschland im internationalen Wettbewerb auf dem Gebiet eine entscheidende Richtung einschlägt.

Welches hohe Ansehen Quantentechnologie weltweit bereits als Forschungsgebiet genießt, macht die diesjährige Nobelpreisauszeichnung der Quantenphysiker Alain Aspect, John Clauser und Anton Zeilinger deutlich. Die Arbeiten der Nobelpreisträger gelten dabei als Grundlage für ein neues Zeitalter in dem Bereich.

Ein Quantum Ausblick

Im Rahmen einer europäischen Initiative werden sechs Quantencomputer in bestehende Supercomputer integriert, wodurch europaweit ein breites Netz abgebildet werden soll – einer davon wird in Deutschland stehen. Die neuen Quantencomputer werden voraussichtlich in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 zu Verfügung stehen. Diese Maschinen werden nur aus europäischer Hard- und Software bestehen und europäische Technologie benutzen, die im Rahmen von EU-finanzierten Quanteninitiativen, nationalen Forschungsprogrammen und privaten Investitionen entwickelt wurde. Damit kommt Europa zwar wieder dem Ziel einen Schritt näher, bis 2030 zu den Vorreitern der Quantenfähigkeit zu gehören. Bis Quantencomputer allerdings in der Breite für die deutsche Industrie eingesetzt werden können, wird wohl noch mehr als ein Quantensprung von Nöten sein.

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  • Christian Reinwald ist Head of Product Management & Marketing bei Reichelt Elektronik.

    Christian Reinwald ist Head of Product Management & Marketing bei Reichelt Elektronik.

    Bild: Reichelt Elektronik

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