Alternative Brennstoffe Reifen statt Kohle verheizen

Altreifen bieten ein ähnliches Heizpotenzial wie Steinkohle. Rund zehn Millionen von ihnen werden jährlich in einem kleinen Ort in Unterfranken verbrannt.

Bild: Beumer
10.07.2020

Die Herstellung von Zement ist sehr energieintensiv. Um den Einsatz wertvoller primärer Brennstoffe wie Kohle zu reduzieren, setzt ein Baustoffkonzern deshalb auf alternative Brennstoffe. Darunter im großen Maßstab alte Autoreifen.

Das Gummi von Altreifen hat einen vergleichbaren Heizwert wie Steinkohle. Zudem lässt sich das Eisen aus der Armierung mineralogisch in den Zement einbinden, was die Zugabe eisenhaltiger Korrekturstoffe mindert.

„Mit jeder eingesetzten Tonne Altreifen ersetzen wir die gleiche Menge wertvoller Steinkohle“, erklärt Michael Becker. Er ist Leiter bei HeidelbergCement im Werk Lengfurt, einem kleinen Ort in Unterfranken. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Heidelberg ist die weltweite Nummer Zwei bei Zement.

„Altreifen besitzen einen hohen Wärmeinhalt. Damit eignen sie sich ideal als Brennstoff für unsere Produktion“, erklärt Becker weiter. Für einen Anteil von etwa 20 Prozent des Wärmebedarfs verwertet das Werk jährlich etwa 20.000 t Steinkohle – das entspricht 20 Millionen Reifen. „Wir können so diesen Primär- durch den Sekundärbrennstoff Reifen ersetzen.“

Bei den Reifen handelt es sich um Produktionsausschuss der Hersteller sowie um Altreifen von Lkw und Pkw. Sie weisen damit auch erhebliche Unterschiede auf: Ihre Durchmesser variieren zwischen mindestens 300 und maximal 1.600 mm, ihre Breiten zwischen 100 und 400 mm. Das durchschnittliche Gewicht liegt bei den Pkw-Reifen bei etwa 8 kg, bei Lkw-Reifen bei rund 60 kg.

Aus zwei mach eins

Um das unterschiedliche Reifenmaterial dem Drehrohrofeneinlauf zuzuführen, hatte HeidelbergCement in Lengfurt bisher zwei halbautomatische Anlagen im Einsatz. Eine Linie förderte die kleineren und leichteren Pkw-Reifen, die andere die großen und schweren Lkw-Reifen. „Diese Lösung war uns nicht effizient genug“, resümiert Becker. „Die Pkw-Reifen wurden von unseren Mitarbeitern einzeln per Hand in einen Hakenlift gehängt und so in den Ofeneinlauf dosiert. Das Handling der schweren Lkw-Reifen übernahm ein Bagger, bevor sie in die Förderung aufgegeben wurden.“

Mit einer neuen vollautomatischen Anlage konnte der Prozess sowohl hinsichtlich der Arbeitssicherheit als auch in Sachen Leistung und Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter optimiert werden. „Wir hatten in verschiedenen Werken bereits gute Erfahrungen mit Lösungen von Beumer sammeln können“, sagt Becker. „Damit fiel es leicht, uns für diesen Systemlieferanten zu entscheiden.“

In acht Wochen zur Inbetriebnahme

Die Beumer-Lösung umfasste die gesamte Kette, von der Annahme und dem Entladen des Lieferfahrzeugs bis zum Lagern, Beproben, Fördern und Dosieren der festen alternativen Brennstoffe. „Zentrale Anforderungen an die Reifentransportanlage waren insbesondere eine zuverlässige Arbeitsweise bei den unterschiedlichen Reifengrößen, eine hohe Wartungsfreundlichkeit sowie ein umfassender Customer Support“, erläutert Becker. Dazu kam: Für die Montage und Inbetriebnahme war ein Zeitraum von acht Wochen vorgesehen.

Im Januar 2015 fand das erste Gespräch statt. Bis April desselben Jahres wurde im Rahmen des Engineering-Vertrags eine Lösung ausgearbeitet und vorgestellt. „Darauf basierend erstellten wir bis Juli ein Angebot, Ende des Monats erfolgte die Vergabe und Anfang August konnten wir starten“, berichtet Ralf Lehmkühler, Senior Sales Manager bei Beumer. Die Verantwortlichen bei HeidelbergCement waren überzeugt; denn neben den technischen Details spielte es ebenfalls eine große Rolle, dass der Systemanbieter sowohl die Lieferung als auch die Montage übernahm.

„Wir lieferten eine Aufgabe- und Dosierbox für die Radladerbeschickung, Hakenvereinzeler, Vereinzelungsstrecken für die Reifen, einen Wellkantengurtförderer einschließlich Bandbrücke, eine Reifentransportanlage für den Vorwärmturm sowie eine Reifenschleuse“, zählt Lehmkühler auf. „Dazu kamen verschiedene Kontrolleinrichtungen.“ Im Februar 2016 begann das Beumer-Team mit der Montage. Die Fachleute integrierten die kundenseitige Elektrosteuerung und kümmerten sich um den Stahlbau sowie um die Mechanik.

Der Weg vom Sammelplatz in den Ofen

Radlader nehmen die Altreifen nach und nach vom Sammelplatz auf und beschicken damit die Aufgabe- und Dosierbox. Mit einem Volumen von 140 m3 ist sie groß genug, um genügend Material für eine Schicht bereitzustellen. Sie verfügt zudem über einen Schubboden: Lamellen, die durch einen hydraulischen Antrieb bewegt werden, fördern die Altreifen zur Austragsseite der Aufgabe- und Dosierbox. Lichtschranken in verschiedenen Höhen erkennen den Füllstand.

Kommt ein Reifen an der Austragsseite an, wird er vom Hakenvereinzeler erfasst. Dieser dreht sich nach oben und ändert an der Antriebsstation seine Laufrichtung. Der Reifen fällt auf eine Rollenbahn. „Erst wenn diese ein Freigabesignal sendet und die Lichtschranke oben am Hakenvereinzeler frei ist, geht der Hakenvereinzeler in Betrieb“, erklärt Becker. Dies verhindert, dass Reifen übereinanderfallen.

Dazu kommt: Durch den Aufprall auf die Rollenbahn verlieren sie Wasser, das sich im Inneren gesammelt haben kann, und es lösen sich Verschmutzungen. Eine Kontrolleinrichtung erkennt, ob die Reifen beschädigt sind oder sich noch Felgen darauf befinden. Sie werden automatisch aus der Anlage geschleust.

Von einer Taktrollenbahn gelangt das „gute“ Material auf einen Wellkantengurtförderer. Dieser stellt für jeden Reifen ein eigenes Fach bereit. Im Abwurfbereich des Förderers befindet sich eine Übergabeschurre. Diese ist so konstruiert, dass der Reifen immer geführt ist.

Der Förderer transportiert nun den Brennstoff in den Vorwärmturm. Eine Waage ermittelt das Gewicht des Reifens, der sich auf dem Förderer befindet. Das Ergebnis wird von der Steuerung erfasst und für die Dosierung der Reifen ausgewertet. Die Einlaufschurre fördert die Reifen anschließend zur Reifenschleuse. Mithilfe einer Bogenrutsche und eines einstellbaren Führungsblechs lässt sich der Reifen von der horizontalen in eine vertikale Position bringen.

Nacheinander kommen die Reifen einzeln in die Reifenschleuse. Um Wärmeverluste und Flammenrückschlag zu vermeiden, ist am Drehrohrofeneinlauf immer nur eine Pendelklappe geöffnet. „Zunächst wird die obere geöffnet. Dann schließt sie und die untere Pendelklappe öffnet sich“, beschreibt Lehmkühler. Der Druckbehälter stellt zudem sicher, dass bei einer Störung alle Klappen geschlossen werden.

Fazit

Montage und Inbetriebnahme wurden innerhalb der vorgegebenen acht Wochen abgewickelt. Die Förderleistung der neuen Anlage beträgt maximal drei Tonnen in der Stunde, das entspricht rund 700 Reifen. HeidelbergCement kann den Ofen in seinem Lengfurter Werk nun kontinuierlich und schneller mit Brennstoff beschicken – und somit effizient Kohle einsparen.

Bildergalerie

  • HeidelbergCement nutzt die Pkw- und Lkw-Reifen in seinem Zementwerk als Brennstoff.

    HeidelbergCement nutzt die Pkw- und Lkw-Reifen in seinem Zementwerk als Brennstoff.

    Bild: Beumer

  • Von der Sammelstelle gelangen die Reifen zunächst in die Aufgabe- und Dosierbox, die mit einem Schubboden ausgerüstet ist.

    Von der Sammelstelle gelangen die Reifen zunächst in die Aufgabe- und Dosierbox, die mit einem Schubboden ausgerüstet ist.

    Bild: Beumer

  • Der Hakenvereinzeler verhindert dabei, dass die Reifen beim Transport übereinanderliegen.

    Der Hakenvereinzeler verhindert dabei, dass die Reifen beim Transport übereinanderliegen.

    Bild: Beumer

  • Einer nach dem anderen gelangen die Reifen auf der Rollenbahn geführt zu den einzelnen Stationen.

    Einer nach dem anderen gelangen die Reifen auf der Rollenbahn geführt zu den einzelnen Stationen.

    Bild: Beumer

  • Die Anlage ist mit diversen Kontrolleinrichtungen ausgestattet. Dazu gehören auch Scanner, die überprüfen, ob Reifen übereinanderliegen oder sich noch Felgen in ihnen befinden.

    Die Anlage ist mit diversen Kontrolleinrichtungen ausgestattet. Dazu gehören auch Scanner, die überprüfen, ob Reifen übereinanderliegen oder sich noch Felgen in ihnen befinden.

    Bild: Beumer

  • Findet die Anlage Reifen mit Felgen, werden diese ausgeschleust.

    Findet die Anlage Reifen mit Felgen, werden diese ausgeschleust.

    Bild: Beumer

  • Für die „guten“ Reifen geht die Reise weiter in die Reifenschleuse.

    Für die „guten“ Reifen geht die Reise weiter in die Reifenschleuse.

    Bild: Beumer

  • Rund 700 von ihnen kommen pro Stunde in den Drehrohrofen.

    Rund 700 von ihnen kommen pro Stunde in den Drehrohrofen.

    Bild: Beumer

  • Der gesamte Prozess wird dabei am Leitstand von Mitarbeitern überwacht.

    Der gesamte Prozess wird dabei am Leitstand von Mitarbeitern überwacht.

    Bild: Beumer

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel