Das vollständig autonome Fahrzeug ist eine enorme Herausforderung für die Sensorik, denn sie muss im Prinzip besser hören, sehen und fühlen als der Mensch. Die entsprechenden Sensoren gibt es zwar, doch die Entwickler stehen mit Blick auf die große Anzahl an bereits verbauten Assistenzsystemen stets vor der Frage, wo sie sich am besten platzieren lassen.
Bei Radarsensoren bietet es sich an, sie in die Frontscheinwerfer einzubauen. „Es ist die perfekte Position, denn dort decken sie den Nah- und Fernbereich komplett ab und erlauben auch einen Blick zur Seite“, erklärt Patrick Gretzki, Wissenschaftler in der Gruppe Mikro- und Nanostrukturierung am Fraunhofer ILT. „Ein weiterer Vorteil ist die Wärmeentwicklung der Scheinwerfer – diese sorgt dafür, dass die Sensoren auch bei widrigen Wetterbedingungen stets frei von Eis und Schnee sind und so einen ungestörten Blick auf die Umgebung haben.“
Beschichtung lenkt den Radarstrahl
Im Projekt RadarGlass wird untersucht, mit welchem Dünnschichtsystem sich Radarwellen verlustarm steuern lassen, ohne dass es die Beleuchtungsaufgabe des Scheinwerfers einschränkt. Die drei Institute decken hierfür alle notwendigen Kompetenzen ab – von der Entwicklung eines geeigneten Schichtsystems über die Auslegung der Hochfrequenzkomponenten bis hin zur präzisen Fertigung mittels Laserstrahlung. Gemeinsam entwickeln sie eine funktionale, elektrisch leitfähige Dünnschicht für die Innenseite der Schweinwerferabdeckung, mit der sich der Radarstrahl gezielt formen und lenken lässt.
Die Schicht kann den Strahl je nach Einsatzart unterschiedlich manipulieren. Um Fußgänger zu erfassen und zu erkennen, wird der Radarstrahl beispielsweise zur Seite gelenkt. Wie ein Auge lässt sich der Strahl außerdem auf den Nah- oder Fernbereich fokussieren.
Glas für bestimmte Frequenzen durchlässig
In gemeinsamer Entwicklungsarbeit wurde ein Schichtsystem entworfen, das die Kriterien für den Scheinwerfer- sowie Radareinsatz erfüllt. Eine Anwendung des Verfahrens für die Funktionalisierung von branchentypischen Scheinwerfern ist somit gewährleistet.
Um den Radarstrahl zu lenken und zu formen, müssen kleine Elemente der Beschichtung präzise strukturiert werden, sodass diese als Antennen für die Radarwellen fungieren können. Dazu wurde am Fraunhofer ILT ein Laserprozess zur Erzeugung der Antennenelemente entwickelt. Erfahrungen in diesem Aufgabenfeld konnten bereits in einer Vorstudie zur Strukturierung von Thermoverglasung gewonnen werden. Dieses blockiert normalerweise hochfrequente Wellen wie etwa WLAN oder Mobilfunknetze. Nach der Laserbearbeitung konnte das Glas selektiv für bestimmte Frequenzen durchlässig gemacht werden.
Die lasergefertigten Strukturen sind mit einer Auflösung von bis zu 10 µm sehr präzise. Alternative Verfahren wie die Lithographie sind auf flache oder leicht gekrümmte Flächen beschränkt und lassen sich damit nicht für die komplexen 3D-Oberflächen von Scheinwerferabdeckungen nutzen. Zudem erfordert sie eine aufwendige Prozesskette. Zwei Hindernisse, die durch das neue laserbasierte Verfahren überwunden werden sollen.
Realisierung mit Industriepartnern geplant
Mithilfe von Simulationen entwickeln die RadarGlass-Partner Strukturen für die gezielte Manipulation von Radarwellen im Bereich um 77 GHz. Anhand von Demonstratoren wird die Funktionalität der Technologie bestätigt und weiterentwickelt.
„Wir beweisen mit den Demonstratoren, dass wir die Antennen so simulieren, designen und produzieren können, dass sie die gewünschten Eigenschaften erfüllen“, sagt Gretzki. „Aktuell stellen wir die Lösung Industrievertretern vor, um dann weitere Verwertungsschritte anzugehen. In der nächsten Projektphase bauen wir die Lösung in einen realen Scheinwerfer ein.“
RadarGlass wird im Rahmen der Initiative VIP+ vom VDI/VDE Innovation + Technik unter dem Kennzeichen 03VP03201 gefördert.